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Ein Pfarrer in Ruhestandsverweigerung: Superintendentin Susanne Beuth entpflichtet Hans Mörtter

„Niemals geht man so ganz“ ist die kölsche Hymne, wenn jemand Abschied nimmt. Für wen könnte der Refrain treffender sein als für Hans Mörtter? Er wurde in einem Gottesdienst in der bis auf den letzten Platz besetzten Lutherkirche in der Kölner Südstadt entpflichtet. Und er tritt tatsächlich Ende September in den Ruhestand. „Wenn man Abschied nimmt…“ heißt es in der Hymne. Abschied? Da kann Mörtter nur milde lächeln. „Ich werde nicht verabschiedet, ich werde entpflichtet.“ Das bedeutet, dass er sich ab dann ausschließlich selbst in die Pflicht nimmt. Und das natürlich in Mörtter-Manier. Ändern wird sich eigentlich nur, „dass ich mich dann nicht mehr mit dem ganzen Verwaltungskram herumschlagen muss“.

Ab jetzt will er als Freibeuter ohne die Fesseln der Pflicht unterwegs sein. Und die Zahl der Vorhaben, die er „im Ruhestand“ umsetzen möchte, ist groß. Ganz oben steht ein lang gehegtes Vorhaben, das in Kürze Wirklichkeit wird. Mörtter lässt an der Ecke Bonner Straße/Schönhauser Straße ein Haus bauen mit 30 Housing-First-Wohnungen für Obdachlose. „Die Finanzierung steht, die Baugenehmigung haben wir in Kürze.“ Vieles wird er fortsetzen. Natürlich wird er weiter im Vorstand des Vringstreffs arbeiten, den Gottesdienst vor der Party in der Lutherkirche an Karnevals-Samstag feiern, an Veilchendienstag den Südstadt-Zug anführen und spät abends vor dem Filos die Trauerrede auf den Nubbel halten. Mit den Vorbereitungen des Festes auf der Merowinger Straße im nächsten Jahr beginnen Mörtter und Mitstreiter in diesen Tagen.

„Gott ist  der, der in die Freiheit führt“

Aber egal ob Ruhestand oder nicht. Er bleibt Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland. „Künftig bekommst du die Post von der Kirchenleitung privat. Als Pfarrer i.R.“, sagte Superintendentin Susanne Beuth im Entpflichtungsgottesdienst. „Ich habe lange darüber nachgedacht, was dieses i.R. für dich bedeuten könnte. Es bedeutet in Ruhestandsverweigerung.“ Die Gottesdienstbesucher quittierten diese Interpretation mit Gelächter. Wie später die Bemerkung von Pfarrerkollege Christoph Rollbühler aus der Christuskirche im Belgischen Viertel: „Hans, für mich bist du der Schimanski unter den Pfarrern.“

Mörtter wurde 1955 in geboren. Sein Vater besaß eine Metzgerei. Schon als Gymnasiast machte er als „ewiger Klassen-“ und Schülersprecher mehr mit dem Engagement für andere als mit dem Einsatz für die Verbesserung der eigenen Noten auf sich aufmerksam. Eigentlich wollte Mörtter Psychologie studieren. Dem stand aber der Numerus Clausus im Weg. Also schrieb er sich für Theologie ein, um Psychologie-Vorlesungen zu hören. Bei den Theologen hörte er dann in einer der ersten Veranstaltungen den Satz, „der voll reinhaute“. Der Professor erklärte: „Gott ist  der, der in die Freiheit führt.“

Die erste Pfarrstelle führte Mörtter nach Bogota in Kolumbien. Nach einem kurzen Intermezzo ging es dann in die Kölner Südstadt. „Bevor ich mich an der Lutherkirche beworben habe, bin ich sämtliche Straßen zu Fuß abgewandert. Da war mir klar: Das ist es.“

„Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“

Er erinnert sich noch sehr genau an damals: „Meine erste Predigt habe ich noch auf dieser schrecklichen Kanzel gehalten. Heute dient die als Elektroniklager“, erzählte Mörtter während des Gottesdienstes. Für den hatte er das Bibelwort „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“ ausgewählt. Aus gutem Grund.   „Früher bin ich immer gegen Mauern gerannt. Bis ich gemerkt habe, dass es auch Seitentüren gibt.“ Und dabei hat der „rheinische Schamane“, wie er sich selbst nennt, für sich entdeckt: „Nichts ist schöner, als etwas für möglich zu halten.“

Die Predigt im Gottesdienst, der epische zweieinhalb Stunden dauerte, hielt der Kabarettist Wilfried Schmickler: „Hochgeehrte Zweifelnde, bedauernswerte Irregleitete, liebe Brüder und Schwestern: Wir leben in trostlosen Zeiten. Und jetzt hört auch noch der Mörtter auf.“ Es gebe angesichts der Kriege und Krisen weltweit eine große Sehnsucht nach Sinn, Zusammenhalt und Geborgenheit: „Ostdeutschland ist laut Statistik die gottloseste Gegend der Welt. Und so sieht es da auch aus. Hans, die Welt braucht Spinner wie dich. In Gottes Namen.“ Tosender Applaus war dem Prediger sicher. Und trieb ihn abermals an das Mikrofon vor dem Altar. „Paulus schrieb an die Apachen: Ihr sollt nicht nach der Predigt klatschen.“ Aber man darf sicher sein: Bei der Entpflichtung von Hans Mörtter hätte der gestrenge Paulus bestimmt eine Ausnahme zugelassen. Und wäre bestimmt gespannt gewesen auf die Freibeuter-Karriere des Pfarrers im Ruhestand. Klingt ein wenig nach Mörtterei auf der Bounty.

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann