Das Christentum mit seinem Glauben, dass ein Opfertod notwendig gewesen sei, um die sündige Menschheit zu retten, sei in seinen Augen ein archaisches Relikt der Menschheitsgeschichte, sagte Dieter Wellershoff, einer der profiliertesten deutschsprachigen Schriftsteller der Gegenwart, im Anschluss an seine Lesung in der evangelischen Trinitatiskirche. Und obwohl Stadtsuperintendent Rolf Domning ansonsten viel Gutes über das aktuelle Werk von Wellershoff, den Roman „Der Himmel ist kein Ort“, gesagt hatte, konnte er diese Aussage nicht unerwidert lassen. „Auch ich habe selbstverständlich immer wieder mit einigen Glaubensinhalten meine Probleme“, gestand Domning frei ein. „Aber wenn ich etwa das Apostolische Glaubensbekenntnis lese und im Gottesdienst laut spreche, dann spüre ich vor allem, dass ich in einer langen Glaubenstradition stehe – über zeitgeschichtliche Differenzen hinweg“.
Auftakt der Reihe ‚Literatur und Musik‘
Eingeleitet worden war der Abend in der Trinitatiskirche von Günter A. Menne, dem Pressesprecher des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region, der „den Auftakt einer Reihe ‚Literatur und Musik‘ in diesem wunderbaren klaren Raum mit seiner außergewöhnlichen Akustik“ ankündigte. Als „gelernter“ Kunsthistoriker und Literaturwissenschaftler leitet Menne zusammen mit dem Dirigenten und Kulturmanager Wolf-Rüdiger Spieler 2010 auch das Festprogramm „150 Jahre Trinitatiskirche“ mit über 70 Veranstaltungen – ab 2011 soll es ein regelmäßiges Kulturleben an der evangelischen Kirche am Filzengraben geben. Für den musikalischen Teil sorgte an diesem Abend der Klarinettist Matthias Mauerer mit zwei Solostücken: dem Präludium für Klarinette von Krystof Penderecki sowie der Rhapsodie für Klarinette von Willson Osborne.
„Zufälligkeiten, Möglichkeiten und Denkbarkeiten des Lebens“
Der Kölner Literaturwissenschaftler Dr. Anselm Weyer gab vor der Lesung von Dieter Wellershoff eine kurze Einführung in Leben und Werk des 84-jährigen Autors. Er sprach von den „Zufälligkeiten, Möglichkeiten und Denkbarkeiten des Lebens“, die in den Texten Wellershoffs dargestellt werden, von den Problemen, die mit der Privatisierung der Glückserwartungen der Menschheit einhergehen und die Dieter Wellershoff beschreibt. Weyer wies auf die Auszeichnungen hin, etwa den Hörspielpreis der Kriegsblinden und den „in Köln so wichtigen Heinrich-Böll-Preis“, sowie die Kriegserfahrungen von Wellershoff, auf denen sein Leben und Werk fußt, obwohl der Krieg selbst von diesem Autor erst sehr spät geschildert wurde.
„Der Himmel ist kein Ort“
Als Wellershoff unter dem Applaus des Publikums die Bühne betrat, kündigte er einen Querschnitt durch den Roman „Der Himmel ist kein Ort“, an. „Ein einzelner Ausschnitt“, erklärte er, „ist wenig aussagekräftig, weil die einzelnen Teile doch sehr stark aufeinander aufbauen“. So las Wellershoff zunächst den Anfang, bei dem ein junger evangelischer Pfarrer, der gerade von seiner Lebensgefährtin verlassen worden ist und dem auch der Glauben an Gott langsam abhanden kommt, an eine Unfallstelle gerufen wird. Ein Mann ist mit seinem Auto von der Straße abgekommen und ins Wasser gefahren. Seine Frau hat dies nicht überlebt, sein Sohn trägt schwerste Hirnschäden davon. In den späteren Passagen des Buches, aus denen Wellershoff las, wird der Verdacht immer lauter, dass der Mann den Unfall nur fingiert hat, weil seine Frau ihn verlassen möchte. Der Pfarrer kann nicht anders, als sich selbst in dem Mann, der ihm eigentlich unsympathisch ist, zu erkennen.
Kein „eindeutiges Ende“
Bei der abschließenden Diskussion zwischen Wellershoff und Domning, die Weyer moderierte, wurden die großen Themen, mit denen sich dieses Alterswerk beschäftigt, nochmals angesprochen. Und obwohl er den Schluss des Romans nicht vorgelesen hatte, machte Wellershoff denjenigen, die ihre Lektüre noch nicht beendet haben, keine Hoffnung auf ein eindeutiges Ende. „Ein Happy End ist etwas für Trivialliteratur“, meinte Wellershoff abschätzig. „Moderner Literatur kann es nicht darum gehen, Lösungen zu präsentieren. Wer bin ich, dass ich so etwas wie Wahrheiten verkünden könnte? Mir geht es darum, ein Problem möglichst vollständig zu entfalten und dann dem Leser vorzulegen“.
Die Leserinnen und Leser ihrerseits kamen nach Lesung und Diskussion, an der zum Schluss auch noch das Publikum beteiligt wurde, in Scharen, um ihre Wellershoff-Bücher dem Autor zum Signieren vorzulegen. Und hier, im direkten Gespräch mit dem Schriftsteller, wurden dann einige der unlösbaren Probleme noch weiterdiskutiert.
Foto(s): v. Czarnowski