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Echte Beschützer und falsche Heilige – Daniel Spoerri und die „Art-Brut-KünstlerInnen“ der Kreativen Werkstatt ‚Allerhand‘ zeigen aufregende Kunstwerke

Davon träumt jede Kunstgalerie: Keine zwei Stunden nach der Eröffnung klebt unter jeder der kleinen, bunten Figuren ein roter Punkt. Und das heißt: „verkauft!“ Kleine bunte Figur? Nun, ganz so einfach ist das nicht, denn es handelt sich um die künstlerische Auseinandersetzung mit „Idolen“, mit Beschützern und Heiligen, ganz exakt sogar um die „Gottesdienstlichen Alterthümer der Obotriten“. Ein Buch mit diesem Titel nämlich hatte der international rennomierte Künstler Daniel Spoerri vor rund 30 Jahren antiquarisch erworben, ganz begeistert von den ganzseitigen Kupferstichen skurriler Bronzefiguren, die altslawische Götterfiguren darstellen sollten. Die Abbildungen in diesem Buch von 1771 erwiesen sich zwar als Fälschungen, doch das war nicht weiter schlimm. Schließlich war und ist Spoerri ein Künstler, der so ziemlich mit allen Fundstücken etwas anzufangen weiß. Und in diesem Fall ist das Ergebnis mehr als erstaunlich, noch bis 3. September zu besichtigen in den Räumen der KoKoBe Südstadt, einer Kontakt- und Beratungsstelle für Menschen mit Behinderung in Trägerschaft der Lebenshilfe Rodenkirchen und der Diakonie Michaelshoven.

„Prillwitzchen“ oder „gottesdienstliche Alterthümer“?
Spoerri lehrte in den 70er Jahren gerade als Professor an der Kunsthochschule Köln am Ubierring, als er das Buch entdeckte, die „gottesdienstliche Alterthümer der Obotriten“: „Ich wußte ganz  vage, dass die Ubier ein Keltenstamm waren… also schien es mir nicht unlogisch, dass auch die ‚Obotriten‘ ein Urvolk aus dieser Gegend wären“, dachte sich Spoerri damals und präsentierte die ganzseitigen Bilder seines Fund-Buches im „Musée Sentimentale de Cologne'“- einem Kunstprojekt, in dem er und seine StudentInnen Kölner Stadtgeschichte anhand ausgewählter Objekte dokumentieren wollten. Danach stellte sich zwar heraus, dass die vermeintlich slawischen Götter auf den Abbildungen des Buches alle sozusagen „falsch“ waren, die „Nachbildungen“ einer Familie Sponholz aus Mecklenburg. Immerhin hatte man aber doch rund 100 Jahre an die Echtheit dieser „Götter“ geglaubt.  Irgendwann, zwischen 1970 und 2005, haben sie dann ihren Namen gewechselt: Man bezeichnet sie nun nach ihrem „Fundort“ als „Prillwitzer Idole“. Spoerri nennt sie in seinem Einführungstext des Ausstellungskatalogs auch die „Prillwitzchen“. Noch schöner und treffender sagt es aber der Untertitel der Ausstellung, in die diese lange Geschichte mittlerweile gemündet ist: „Echte Beschützer und falsche Heilige“.

Echte Götter oder nicht – der Kreis ist geschlossen
Denn dann kam der nächste Glücksfall: Spoerri hatte – neugierig wie immer – im Jahr 2005 in den Gemeinnützigen Werkstätten Köln (GWK) eine Ausstellung gesehen, mit Arbeiten der Profi-Künstler dieser Werkstatt. Die Künstlerinnen und Künstler sind alle geistig behindert. Und damit nah an dem, was Spoerri von Anfang an so faszinierte, was er in den Figuren seines antiquarischen Buchs gesehen hat, nah an der „Art Brut“, die er als „spontane, durch Wissen und technisches Können unbelastete Gestaltung“ bezeichnet. Und die GWK arbeitet zusammen mit der Kontakt- und Beratungsstelle (KoKoBe) Südstadt, An der Bottmühle 2. Die Straße „An der Bottmühle“ nun wiederum zweigt vom Ubierring ab. Damit schließt sich der Kreis: Echte Götter oder nicht, Obotriten oder Ubier – Spoerri ist mit dem Ausstellungsort „An der Bottmühle“ quasi wieder an seinem Ausgangspunkt angelangt.

„Vogelbaum der Götter“
Denn Spoerri hatte sich längst entschieden, seine „Prillwitzchen“ auszubauen und weiter in die Welt zu schicken. Nicht nur schuf er selbst weitere Bronzeskulpturen in dieser Reihe, er schickte die Idee sozusagen auch auf Reisen, damit sich andere Künstler inspirieren lassen konnten. Seine Wahl fiel auf die KünstlerInnen aus dem GWK, die „Idee zündete“, in Kooperation mit der Kreativen Werkstatt ALLERHAND, einem künstlerischen Atelier der GWK. So entstanden nach Gesprächen zwischen Spoerri und den „Art-brut-Künstlern“, wie er sie nennt, innerhalb weniger Monate zahlreiche Werke, die das Thema „Prillwitzer Idole“ auf unterschiedlichste Weise aufnehmen. Spoerri stand dabei die ganze Zeit über seinen Kolleginnen und Kollegen der GWK ganz unmittelbar zur Seite; erklärte und begutachtete, fabulierte mit ihnen über Herkunft, Namen, Geschichte und Gewohnheiten der „Götter“, die sie abbilden wollten. Hinterher schrieb Spoerri begeistert: „Mehrere dieser Art-Brut-Künstler ließen sich durch die ‚Götter‘, wie sie jetzt dort genannt werden, inspirieren.“
Und wie! Es entstanden keramische Skulpturen, Zeichnungen, Bilder und Objekte. Da gibt es den „Vogelbaum der Götter“, ein „Reh, das so aussieht wie der Kapitän“, die Skulptur „Der ist so einer, der auf die Gärten aufpasst“, Götter mit und Götter als Löwen oder Vögel in vielfacher Form, den „Schrank. Daniel Woge“ (Und was es darin alles zu entdecken gibt, muss man selbst gesehen haben.)

Auch Kölns Kulturdezernent war begeistert
Begeistert war nicht nur Spoerri. Begeistert waren die vielen Menschen, die sich zur Eröffnung der Ausstellung in den Räumen drängten, begeistert waren auch Kölns Kulturdezernent Professor Dr. Georg Quander – der die Ausstellung miteröffnete –  und die Leiterin der Werkstatt ALLERHAND, Jutta Pöstges, die sich im Katalog ausdrücklich  für Spoerris Großzügigkeit bedankt: „Mit großer Offenheit und Wertschätzung bereitete er uns ein Terrain, auf dem die Künstlerinnen der Werkstatt forschen, spielen und experimentieren konnten.“
Die Künstlerinnen, das sind: Nicole Baginski, Cora Gasper, Tanja Geiß, Sarah Haas, Susanne Kümpel, Ilse Olschewski, Kerstin Recker, Irene Stamp, Stephanie Teichmann, Sabine Wirtz. Ein Künstler war auch beteiligt, und der heißt Markus Kroppmann. Und übrigens: Ganz gleichbereichtigt neben den Werken der KünstlerInnen der GWK stehen und hängen Skulpturen und Collagen von Daniel Spoerri – in jeder Hinsicht „auf Augenhöhe“.

Nur noch bis 3. September
Die Koordinierungs-, Kontakt- und Beratungsstelle (KoKoBe) Südstadt, An der Bottmühle, zeigt noch bis Sonntag, 3. September, die Ergebnisse dieser ungewöhnlichen Zusammenarbeit, geöfnnet ist täglich von 11 bis 17 Uhr und nach Vereinbarung, Telefon 02236/962 61 18. Die KoKoBe Südstadt ist eine Kontakt- und Beratungsstelle für Menschen mit Behinderung. Träger sind die Diakonie Michaelshoven und die Lebenshilfe Rodenkirchen. 
 

        

Text: Al-Mana
Foto(s): mal