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Dritte Ökumenische Tagung zum ehrenamtlichen Engagement in Kirche und Gesellschaft

Gut 350 Mitwirkende und Teilnehmende trafen sich in diesem Jahr zur dritten Ökumenischen Tagung. Veranstaltende waren die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und die Deutsche Bischofskonferenz in Kooperation mit dem Deutschen Caritasverband e. V., der Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband, des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung e. V. sowie der Arbeitsgemeinschaft der katholischen Organisationen Deutschlands und der Konferenz kirchlicher Werke und Verbände in der EKD.

Zum zweiten Mal im Maternushaus
Nach ihrer Premiere 2009 fand die Ökumenische Tagung zum zweiten Mal im Maternushaus in Köln statt. Zwei Tage lang wurde in Vorträgen, Diskussionsforen und Podiumsgesprächen unter verschiedenen Aspekten das Thema „Ehrenamtliches Engagement in Kirche und Gesellschaft“ beleuchtet. Dazu hatten sich hauptsächlich Ehrenamtliche aus Kirchengemeinden und Verbänden, Einrichtungen und Initiativen, aus Caritas und Diakonie, Landeskirchen und Bistümern eingefunden. Darüber hinaus waren hauptamtlich in der Engagementförderung Tätige sowie weitere Theologen/innen, Wissenschaftler/innen, Politiker/innen anwesend. Geleitet wurde die Veranstaltung von Oberkirchenrätin Cornelia Coenen-Marx, in der EKD Referentin für Sozial- und Gesellschaftspolitische Fragen, sowie von Dr. Sabine Schößler aus dem ZdK-Referat für Bildung, Kultur und Medien. Unter anderem ist sie Geschäftsführerin des Sachbereichs „Kulturpolitische Grundfragen". Bei der Eröffnung sprachen Oberkirchenrat Klaus Eberl, Vizepräses der Synode der EKD, und die ZdK-Vizepräsidentin Karin Kortmann. Vertretende des Bundesfamilienministeriums und des NRW-Familienministeriums sagten Grußworte.

Erarbeiten von Thesen
Referiert wurde etwa über „Ehrenamtliches Engagement angesichts biografischer Umbrüche“ sowie „Sozialstaatlichen und gesellschaftlichen Wandels“, über „Engagementbiografien in Kirchen und Verbänden“, „Christliches Selbstverständnis ehrenamtlichen Engagements“ sowie „Entwicklungen und Strategien ehrenamtlichen Engagements in den Kirchengemeinden“. Einen elementaren Teil bildete auch auf der dritten Ökumenischen Tagung die in verschiedenen Gruppen erfolgte gemeinsame Erarbeitung beziehungsweise Konkretisierung von Thesen.

"Unentgeltlich, aber nicht umsonst"
So hob man in der Erläuterung der These „Subsidiarität stärken! Öffentliche Engagementinfrastruktur nachhaltig ausbauen“ unter anderem die „Bedeutung förderlicher Rahmenbedingungen sowie ihrer nachrangigen subsidiären Funktion“ hervor, derer sich Staat und Politik bewusst sein müssten. „Unentgeltlich, aber nicht umsonst! Monetarisierungstendenzen im ehrenamtlichen Engagement“, lautete eine weitere These. In deren Ausführung betonte man unter anderem den „hohen Wert ehrenamtlichen Engagements für das Gemeinwesen“, der „bei der künftigen Ausgestaltung sozialer Sicherungen zum Ausdruck kommen“ solle. In Rahmen der These „Zwischen Ehrenamt und Arbeitsmarktinstrument. Gegenwärtige Entwicklungen der Freiwilligendienste“ stellte man fest: „Der Bundesfreiwilligendienst ist zwar ausdrücklich kein arbeitspolitisches Instrument und darf auch nicht als solches missbräuchlich in Anspruch genommen werden, gleichwohl hat aber die Einführung des Bundesfreiwilligendienstes einen Mangel an geeigneten arbeitsmarktpolitischen Instrumenten offenbart.“ Deshalb seien arbeitsfördende Maßnahmen bedarfsgerecht auszubauen und in geeigneter Weise von Freiwilligendiensten als besondere Form bürgerschaftlichen Engagements abzugrenzen.

Bürgerschaftliches Engagement entwickeln
Die Tagung schloss mit einem Podiumsgespräch. In diesem stellten sich Tabea Dölker (Evangelische Landeskirche in Württemberg, Rat der EKD), Manfred Bauer (Leiter der Koordinierungsstelle für bürgerschaftliches Engagement und demografischen Wandel, Potsdam) und ZdK-Generalsekretär Dr. Stefan Vesper den Fragen der Moderatorinnen Coenen-Marx und Schößler. Dabei blickte man auch auf die zu Ende gehende 9. Woche des bürgerschaftlichen Engagements. Die vom Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) organisierte Aktionswoche ist „die größte bundesweite Freiwilligenoffensive“. Insbesondere geht es dem BBE darum, „eine Kultur der Anerkennung bürgerschaftlichen Engagements mitzuentwickeln und zu gestalten“.

Beflügelnde Thesen
Eingangs des Gesprächs erkundigte sich Schößler bei den Podiumsgästen nach ihrem Eindruck von der Tagung und insbesondere von den Thesen. Dölker zeigte sich erfreut darüber, dass die Thesen alle eigensinnig seien: „Das beflügelt.“ Bauer hob bestätigend hervor, dass der Eigensinn sehr offen diskutiert worden sei. Vesper schilderte, er komme sich „vor wie beim Ökumenischen Kirchentag. Ich sehe wie stark die Vernetzung und gegenseitige Förderung ist. Wir sind ein Teil einer starken Demokratie.“ Coenen-Marx stellte fest, dass ein Prozess im Gang sei zwischen Kirche und ihren Verbänden, Diakonie und Caritas. Sie fragte: „Was hat sich verändert?“ Vesper meinte: „Erstens wissen wir mehr voneinander, wir vernetzen uns viel stärker.“ Zweitens werde ehrenamtliches Engagement mehr gewürdigt. „Wie ein roter Faden zog sich das durch die Tagung: würdigen und wertschätzen.“ Drittens sprach der ZdK-Generalsekretär vom Wollen: „Es sind Thesen aus dieser Tagung entwickelt worden, die stärker formulieren, was Ehrenamtliche wollen und was nicht.“ Weiter wollte Coenen-Marx von Vesper erfahren, ob er empfinde, dass seit der ersten Ökumenischen Tagung 2009 Kirchen in der Politik auf Augenhöhe seien und größeren Einfluss nähmen? „Ich glaube, dass der Einfluss der Verbände sehr stark ist“, sagte Vesper. Er betonte, „wie wichtig unser Engagement (…) in der konkreten Gestaltung von Politik, auf geeigneten Politikkanälen“ sei. „Der Einfluss ist zumindest gewachsen.“

Ehrenamt als Ideengeber
Auf die Frage nach Impulsen der Tagung etwa für einzelne Kirchengemeinden stufte Dölker Ehrenämter als Ideengeber ein. Als Motoren, die nicht so schnell stockten, wenn Widerstände sich bildeten. Wer ehrenamtlich ein Projekt in Angriff nehme, sei in der Regel hartnäckiger bei der Durchsetzung seiner Idee. Wichtig sei in diesem Zusammenhang, wie man eine starke ökumenische Vernetzung über die jeweilige Kommune hinaus etablieren könne. Sie nannte ein Beispiel, in dem ein ganzer Landkreis ein in kirchlichem Rahmen erfolgreiches Modell übernommen habe. So werde Vernetzung nach vorne gebracht. „Was ist die vordringliche Aufgabe?“, wollte Schößler erfahren. „Wenn wir das reformatorische Credo umsetzen wollen, müssen wir allen die Chance geben, teilzuhaben“, so Dölker. Es zähle nicht nur der Horizont der Hauptamtlichen. „Wir brauchen die Expertise und die Kraft aller.“

„Wir sind nicht Zuschauer, sondern Mitspieler in Kirche und Gesellschaft”
Bauer sprach von einer „guten” Woche des bürgerschaftlichen Engagements. Ein solches Engagement auch von Menschen mit anderem, nicht kirchlichem, nicht christlichem Hintergrund bringe wunderbare Projekte hervor. Laut Völker beanspruchten Christen keine Sonderrolle. Gleichwohl hätten sie eine eigene Motivation. „Wir sind nicht Zuschauer, sondern Mitspieler in Kirche und Gesellschaft”, wünschte er sich, dass Politik das weiter wertschätze. „Die Tradition der christlichern Werte tut unserer Gesellschaft gut”, betonte Dölker. Dies gelte es durch Diskussionen zu Gehör zu bringen. Ihr sei mit Blick auf die nächste Legislaturperiode das Thema Subsidiarität wichtig. Die Möglichkeit zur Entfaltung individueller Fähigkeiten, zur Selbstbestimmung und Eigenverantwortung sei „kein Geschenk, sondern gelebte Demokratie”. Laut unserer Verfassung bilde Subsidiarität einen wichtigen Baustein. Entsprechend müssten Politiker aller Couleur Menschen – darunter selbstredend auch „uns Ehrenamtlichen“ – Freiräume in der Lebensgestaltung ermöglichen, wies Dölker hin etwa auf finanzielle Strukturen und steuerliche Aspekte.

Nach der Tagung führten wir ein Interview mit Oberkirchenrätin Cornelia Coenen-Marx.

Wie empfanden Sie die Stimmung auf der diesjährigen Tagung?
Coenen-Marx: Die Tagung war wieder durch große Neugier, Lernbereitschaft und Offenheit geprägt. Wer ehrenamtlich unterwegs ist oder ehrenamtlich Engagierte begleitet, freut sich einfach, Mitstreiter zu finden. Schließlich geht es um Reformen in der Kirche, um eine neue Gemeinwesenorientierung in der Gesellschaft. Da ermutigt es und regt an, spannende und innovative Projekte zu entdecken und von dem zu lernen, was andere erforscht und ausprobiert haben. In den Vorträgen und auf dem Podium trafen ganz unterschiedliche Perspektiven aufeinander: aus Politik, Kirche und Wissenschaft, aus Wirtschaft und Verbänden. Das führte zu engagierten und anregenden Debatten.

Wodurch hat sich Ihrer Meinung nach diese dritte Veranstaltung ausgezeichnet?
Coenen-Marx: Die Tagung war die dritte nach 2009 und 2011 – natürlich nicht immer mit den gleichen Teilnehmenden; aber es war doch zu spüren, dass sich allmählich ein gemeinsamer Diskussionsrahmen und gemeinsame Standards und Forderungen entwickeln. Dazu trägt auch die Tatsache bei, dass bei jeder Tagung gemeinsame Thesen erarbeitet wurden, auf die wir inzwischen zurückgreifen können. Sie sind zu finden unter www.wir-engagieren-uns.org. Das ökumenische Netz ist inzwischen dicht geknüpft und das Vertrauen untereinander ist gewachsen. Ich habe den Eindruck, dass sich das ehrenamtliche Engagement zunehmend und selbstbewusst als wesentlicher Teil der Zivilgesellschaft empfindet. Das war ja auch Thema der Tagung: es ging um die Selbstbestimmung, um Subsidiarität im ehrenamtlichen Engagement.

Gab es für Sie Unerwartetes?
Coenen-Marx: Ja, eine heftige Debatte über die Rolle der Wirtschaft mit ihren CSR-Projekten (CSR = Corporate Social Responsibility beziehungsweise Unternehmerische Gesellschaftsverantwortung). Manche Teilnehmer und Teilnehmerinnen, vor allem Verbandsvertreter, hatten das Gefühl, dadurch sei der Wettbewerb in der Zivilgesellschaft schärfer geworden. Sie sehen Wirtschaft nach wie vor eher als Steuerzahler und sozialer Investor und weniger als Akteur in der Zivilgesellschaft. Andere dagegen sind der Auffassung, dass der Wettbewerb um Ehrenamtliche in einer pluralistischen Gesellschaft ohnehin wächst, weil Menschen sich eben die Angebote suchen, die zu ihren Gaben und Interessen passen. Warum sollte dann nicht auch die Wirtschaft Angebote machen – nicht zuletzt, in dem sie eigene Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen freistellt. In den USA beispielsweise ist das längst selbstverständlich und gehört zum dortigen Verständnis von Zivilgesellschaft. Hinter dieser Debatte zeigt sich deutlich die Veränderung unseres Wohlfahrtsstaats in Richtung auf einen neuen Welfare-Mix (Wohlfahrtspluralismus) und die Veränderung der Bürgergesellschaft hin zu einer Trisektoralität mit Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft.

Was war für Sie das Besondere an dieser Tagung, vielleicht auch im Vergleich zu den beiden vorherigen?
Coenen-Marx: Neben den Vorträgen und Podien gab es wieder einen Markt der Möglichkeiten mit Filmbeiträgen aus der Lobby. Diesmal war Gisela Steinhauer Lobby-Reporterin. Und unter den Projekten waren einige Kölner Projekte ganz vorn, darunter: Kölsch Hätz vom Caritas-Verband und ein Projekt aus Michaelshoven, dessen Buttons, Sinnstifter, Türöffner, Mutmacher sehr gefragt waren, wurden besucht. Allen Referenten, Moderatoren und Impulsgebern wurde schließlich das „Kölner Armutszeugnis“ des Künstlers Felix Droese überreicht – vergleiche das Caritas-Projekt „Brmherzigkeit als soziale Form“. Es gab also viel Lokalkolorit, auch beim ökumenischen Gottesdienst in St. Ursula und am Abend im Brauhaus „Em Kölsche Boor“.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich