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Dr. Athina Lexutt predigte während der zentralen Reformationsfeier

„An Luther kommt niemand vorbei“, erklärte Stadtsuperintendent Rolf Domning in seiner Begrüßungsansprache bei der zentralen Reformationsfeier des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region in der Trinitatiskirche. Um Luthers Bild von der Kirche sollte es an diesem Abend gehen. „Das Kirchenverständnis der Reformatoren klingt zunächst ganz einfach: Wo immer Gläubige sich versammeln und das Evangelium hören, da ist Kirche. Oder, mit Luther: ,Wo das Wort ist, da ist die Gemeinde'“. Dem wolle man nachgehen, in Liedern, Gebeten und Gedanken. Dazu begrüßte er auch katholische Gäste: den neuen Stadtdechanten Monsignore Robert Kleine, den Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, Rainer Fischer, die Vorsitzende des Katholikenausschusses Köln, Hannelore Bartscherer, und Gabriele Behr vom Katholikenausschuss für die Region Rhein-Berg.

Mehr als nur irdische Geschöpfe
Bürgermeisterin Elfi-Scho-Antwerpes wünschte der Gemeinde in ihrem Grußwort, dass sie „die Auseinandersetzung mit dem Glauben, der Kirche und unseren Mitmenschen wach halten“. Gerade die Kirchen seien unverzichtbar, wenn es darum gehe, deutlich zu machen, „dass wir mehr sind als nur irdische Geschöpfe und dass Weltliches und Überweltliches zusammen gehören“.

„Es ist einfach gruselig“
Die Lacher auf ihrer Seite hatte Athina Lexutt gleich zu Beginn ihrer Predigt: „Sie wissen, was für ein Tag heute ist? Natürlich wissen Sie das, sonst wären Sie ja nicht hier! Heute ist – selbstverständlich! – … – Halloween“, leitete die Professorin und ausgewiesene Luther-Expertin von der Uni Gießen ihre Predigt mit dem Titel „Martin Luther, die Kirche und wir“ ein. Und zunächst ging es launig weiter: „Sie wissen, was für ein Tag heute ist? Natürlich wissen Sie das, sonst wären Sie ja nicht hier! Denn außer Halloween ist natürlich auch noch – Reformationsfest! Bundesrepublikanische Kirchen werden mehr oder weniger bevölkert von traditionsbewussten Protestanten beiderlei Geschlechts, Orgeln und Chöre geben ihr Bestes und verschämt bietet ein Drittes Programm eine dreiviertelstündige Doku, während das ehemals in dieser Richtung immer sehr rührige Zweite Deutsche Fernsehen heute für so etwas zwischen ,SOKO Wismar‘ und den ,Garmisch-Cops‘ keinen Platz mehr hat. Es ist Reformationsfest, und es ist einfach gruselig!“

Was dachte Luther?
Dann war aber auch schon Schluss mit lustig, und die Professorin ging ans Eingemachte: „Wissen wir noch, was Luther und die Reformation dachten und wollten und bewegten? Wissen wir, was den Augustinermönch dereinst im fernen Wittenberg so erregte, dass er mit 95 Thesen die akademische Welt wachrütteln wollte? Haben wir noch im Kopf, worum es ihm wirklich ging? Und haben wir noch in Herz und Verstand, was es heißt, protestantisch zu sein? Wissen und leben wir das noch? Oder bleibt da zwischen besten ethischen, ökumenischen und allgemein religiös gewordenen, auf Toleranz gerichteten Absichten kein Raum mehr? Es ist Reformationsfest und damit Erinnerung an evangelische Identität und evangelisches Profil.“

Das Wesen der Kirche
Auf die Frage nach dem bleibenden Erbe der Reformation würden viele Antworten gegeben. Auf die Antwort „Kirche“ würde kaum jemand kommen. Kirche sei „irgendwie peinlich und anrüchig“. Kirche sei das notwendige Übel einer Organisationseinheit, die man zur Verwaltung und Strukturierung brauche, zum Glauben aber nicht. Der Predigttext, 1. Korinther, 12, 4-12, mache die Kirche zum Thema. Zwar falle das Wort nicht, aber Paulus rede in diesem Brief von nichts anderem als der Kirche. „Es sind verschiedene Gaben, aber es ist ein Geist. Dies alles aber wirkt derselbe eine Geist und teilt einem jeden das Seine zu, wie er will.“ Oder: „Denn wie der Leib einer ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus.“ Das sei das Wesen der Kirche: Viele Glieder, ein Leib. Viele die sich einbringen in unterschiedlichen Bereichen.

Keine Gabe ist unverzichtbar
„Keine dieser Gaben ist einer anderen vorzuziehen, wichtiger oder besser als eine andere oder umgekehrt weniger wert. Jedes Glied in diesem Leib ist unverzichtbar und wertvoll, jedes gehört an seinen Platz und hat mit seiner Funktion Sorge und Verantwortung für das Ganze. Das Entscheidende und Wichtige aber ist letztlich, dass keines der Glieder, keine der Gaben Sinn hat, ohne dass es Teil dieses Leibes wäre. Keine Gabe ist eine Gabe, wenn sie sich nicht aus dem heraus versteht, der sie gegeben hat. Keine dieser Charismen ist nutzbringend, wenn nicht klar ist, dass sie keinen Selbstzweck erfüllt oder dem Begabten selbst dienen soll, sondern dass sie dazu gegeben ist, den Leib gesund und kräftig zu halten. Keine dieser Gaben ist dienlich, wenn sie nicht zugleich Dienst an Gott und Dienst am Nächsten ist. Kein Glied im Leib und keine Gabe taugen etwas, wenn nicht Jesus Christus das Haupt des Leibes ist.“

Kirche als „kritische Kraft“
Das wahre Wesen der Kirche seien aber nicht die vielfältigen Begabungen und Fertigkeiten und Ämter: „Ihr Wesen ist der alle Begabungen und Fertigkeiten ins Leben rufende und sie begleitende und einende Geist Gottes.“ Das habe die Kirche in ihrer wechselvollen Geschichte immer wieder verwechselt. „Über ihre äußere Gestalt und deren Verstrickungen in Gesellschaft, Politik und Kultur hat sie vernachlässigt, nach ihrem Wesen zu fragen und sich von dort als kritische Kraft zu verstehen, die ihrerseits Gesellschaft, Politik und Kultur zu gestalten hat mit der ihr ganz eigenen Gabe, nämlich diese Welt als Gottes Geschöpf zu begreifen, das erhalten und gestaltet sein will nach seinem Willen. Viel zu sehr ging es ihr darum, ihre eigenen Pfründe zu sichern, Macht zu stärken und zu erhalten und eigenes Für-wahr-Halten als Wahrheit notfalls auch mit Gewalt zu vertreten.“

Nicht die eine wahre, unfehlbare Kirche
Aber alle, die an Jesus Christus glaubten, alle, die ihr Unvermögen erkennen würden, aus eigener Kraft selig und heil zu werden, und die wüssten, dass allein der Glaube an Christus sie selig und heil macht – all die seien bereits vor Gott heil. „Und dass wir alle Papst sind, diese Meinung hat sich Luther schon 485 Jahre vor einer gewissen Zeitung gebildet.“ Kirche existiere in dieser Welt und zu deren Bedingungen. Sie bestehe aus Menschen, die Sünder und Gerechte zugleich seien. „Sie ist nicht unfehlbar, sie ist kritisch zu beäugen, sie ist ständig auf Prüfung und Reform angewiesen, man kann und muss sich an ihr reiben, man kann auch an ihr verzweifeln. Sie ist zugleich aber auch der einzige Raum, wo der Mensch wirklich ganz und gar das sein darf, was er ist: Sünder und Gerechter zugleich, stark im Glauben und angefochten bis zur Verzweiflung, betend, klagend, trauernd, schwach, ohnmächtig, krank, arm, einsam, verfolgt, voll Reue, fragend, begabt, charismatisch – so vielfältig, wie Paulus es beschrieben hat. Und sie ist deshalb dieser Raum, weil es nicht auf die Stärken oder Schwächen ihrer Glieder ankommt, sondern auf das Gnadenwort Gottes. Sie ist deshalb dieser Raum, weil ihr Wesen nicht in ihrer äußeren Gestalt besteht, sondern im Geist, der sie treibt. Daher gibt es auch sichtbar immer viele Kirchen und nicht die eine wahre, unfehlbare.“

Der Chor CONSTANT und Dirigent Harald Jers in der voll besetzten Trinitatiskirche
Beeindruckende Interpretationen

Die liturgische Leitung des anspruchsvollen Gottesdienstes hatten die Superintendenten Dr. Bernhard Seiger und Markus Zimmermann. Es sang der Kammerchor „CONSTANT“ unter Leitung von Harald Jens, die Orgel spielte Wolf-Rüdiger Spieler für den kurzfristig erkrankten Kirchenmusikdirektor Johannes Quack. Der Organist machte seinem Namen alle Ehre: Mit viel Freude begleitete er den Gemeindegesang und beeindruckte mit den Interpretationen von Vor- und Nachspiel. Dem Chor gelangen Harmonien, die spüren ließen, worum es beim Bedenken des Reformationstages auch ging: um den Geist hinter den Dingen.

Die Predigt von Professorin Dr. Athina Lexutt können Sie hier nachlesen.



Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann