Dorothee bedeutet „Geschenk Gottes“ und Dorothee Sölle war eines. Der 2003 verstorbenen Theologin, Sprachwissenschaftlerin, Dichterin, Journalistin und Lehrerin widmete der Kirchenkreis Köln-Nord sein diesjähriges „Frauenmahl“ mit dem Titel „Den Himmel erden“. Bärbel Wartenberg-Potter, ehemalige Bischöfin der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, beschrieb sie als eine der wenigen Anwesenden, die Dorothee Sölle zu Lebzeiten kannten, besonders liebe- und respektvoll: als eine „bockige, mutige, moderne Prophetin“.
Dorothee = Geschenk Gottes
Der Name Dorothee Sölle steht selten allein, ohne den beigefügten Ritterschlag „radikale Heilige“. Sölle, die dieses Jahr ihren 90. Geburtstag gefeiert hätte, wäre das nicht recht gewesen, ist sich Sabine Petzke sicher. „Sie hätte sich nicht als protestantische Heilige verehren lassen wollen“, stellte die Pfarrerin für den Ortsbereich Pulheim fest. Mit Blick auf die Biographie Sölles beschrieb sie eine zweimal verheiratete, vierfache Mutter, die nicht nur gute Zeiten erlebt hat, die oft aneckte und selten das tat, was von ihr erwartet wurde. Ihr Elternhaus war weder religiös noch spirituell. Bei allen erlebten Veränderungen, kontinuierlichem Dazulernen und unausweichliche Positionsänderungen blieb dennoch ihr Glaube die unerschütterliche Konstante. „Wie Dietrich Bonhoeffer sah sie die Gegenseitigkeit von Gott und Mensch, suchte ihn im Lebendigen. Anderen Menschen bei- und für sie einzustehen war für sie gelebte Nachfolge Gottes“, ergänzte Pfarrerin Petzke. „Beziehung war ein wichtiges Wort.“
„Fahr zur Hölle, geh zur Sölle“
Jede(r) der rund 80 Frauen und wenigen Männer kannte Passagen aus Sölles Leben, vor allem die, für die sie als rebellisch und unbequem galt: Auf dem Katholikentag 1968 in Essen war sie erst ausgebuht und dann mit ihrem Wunsch nach einem politischen Gottesdienst mit den Worten „Ab 11 Uhr könnt ihr machen, was ihr wollt“ auf das abendliche Ende der Veranstaltung vertröstet worden. Dorothee Sölle ließ sich nicht abschieben und nahm den Ausweichtermin gern an – und ging „in Serie“. Aus der ursprünglich einmaligen Veranstaltung entstand ab dem folgenden Oktober das regelmäßig einmal im Monat in der evangelischen Antoniterkirche in Köln stattfindende „Politische Nachtgebet“. Aktuelle politische Fragen wurden diskutiert, gemeinsame Aktionen geplant und die eigenen Gedanken in den Kontext der Bibel gestellt. Tausende nahmen daran teil.
Die „Nachtbeter“ bekamen viel Aufmerksamkeit – allseits beliebt wurde Dorothee Sölle aber nicht. „Fahr zur Hölle, geh zur Sölle“ war ein damalig geflügeltes Wort, an dem die Stärke des Gegenwindes hervorragend gemessen werden konnte. Neben Kritikern und Gegner sammelten sich aber mindestens ebenso viele Gleichgesonnene an, die sie unterstützten und begleiteten. Sie stand mit beiden Beinen fest mitten im Leben und zog die an, die politisch wach und geistlich frustriert waren.
„In deinem Licht sehen wir das Licht“
Die positive Wirkung, die Sölle auf die Menschen um sich herum hatte, spiegeln sich in Bärbel Wartenberg-Potters Erinnerungen wieder. Sie sind freundlich, klug und wirkend inspirierend „anders“. „In den allerkleinsten Dingen war Gott für sie am größten“, erzählte Bärbel Wartenberg-Potter vor vollem Saal der Auferstehungskirche Bocklemünd. „Mystik war für sie kein Rückzug aus dem Leben, sondern Kraft zur Aktion.“ Als besonders berührend und beeindruckend schilderte die ehemalige Bischöfin den Anblick, wie Sölle klein und schmal in den 80er Jahren vor der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Vancouver stand und Empörung für ihre klaren Worte erntete. Dafür, dass sie dort sprechen durfte, hatte Wartenberg-Potter selbst gesorgt.
2003 starb Dorothee Sölle an den Folgen eines Herzinfarktes. Kurz vorher hatte sie noch als ihr Gast mit der ehemaligen Bischöfin am Tisch gesessen und viel geredet. Bärbel Wartenberg-Potter leitete Beerdigung und Trauerfeier zu ihren Ehren. „Sie hat mich inspiriert“, stellte sie schnörkellos fest. „Sie sagte: ,Ich stelle mir vor, dass ich nach meinem Leben ein Tropfen im Meer der Liebe Gottes werde.‘ Wenn sie ein Tropfen geworden ist, dann ist sie ein goldener!“
Frauenmahl im Kirchenkreis Köln-Nord
Der Theologinnenkonvent, der das Frauenmahl seit Jahren zu wechselnden Schwerpunktthemen initiiert, bietet den Pfarrerinnen, Prädikantinnen und Vikarinnen des Kirchenkreises Köln-Nord seit 20 Jahren die Möglichkeit zum Austausch und zur Fortbildung. Gemeinsam ist den Treffen das „Mahl“, das gemeinsame in Ruhe essen und genießen bei einem besonderen Thema. Den passenden musikalischen Rahmen gestalteten in diesem Jahr Christoph Kirschbaum an der Gitarre und Sabine Kirschner-Théry auf der Querflöte. Beendet wurde der Tag mit dem Lesen von Lieblingstexten von Dorothee Sölle als einer vielseitigen Frau und wegweisenden Theologin mit Blick für das „Dahinter“.
Foto(s): Claudia Keller