You are currently viewing Diskussion über die Trierer Heilig-Rock-Wallfahrt

Diskussion über die Trierer Heilig-Rock-Wallfahrt

„Unser Thema ist aktuell“, stellte Dr. Bernhard Seiger mit Blick auf die am 13. April gestartete Heilig-Rock-Wallfahrt fest. Bis zum 13. Mai wird in der Domkirche in Trier ein Gewand ausgestellt, das Jesus auf seinem Gang zur Kreuzigung getragen haben soll. Nach 1996 sei die Evangelische Kirche erneut zur Teilnahme an der Wallfahrt eingeladen worden, informierte Seiger, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Süd. Damals habe die Einladung kontroverse Diskussionen ausgelöst. Abermals in Pro und Contra teilten sich die zahlreichen aktuellen Meinungsäußerungen. Jedenfalls habe Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland und Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, die Offerte des Trierer Bischofs Dr. Stephan Ackermann zur Mitwirkung gerne angenommen und weitergegeben an die evangelischen Christinnen und Christen.

Distanz oder nicht?
Zum Thema veranstalteten der Kirchenkreis Köln-Süd und die Melanchthon-Akademie unter Leitung von Dr. Martin Bock jetzt einen Vortrags- und Diskussionsabend im evangelischen Gemeindehaus Brühl. Bevor der Referent Dr. Andreas Mühling, Professor für Evangelische Kirchengeschichte und Leiter des Ökumenischen Instituts für Interreligiösen Dialog der Uni Trier, ans Pult trat, äußerte Seiger einleitende Gedanken und Fragen. Für evangelische Christinnen und Christen sei diese Wallfahrt eine Herausforderung. „Was tun sie, wenn sie sich auf das Thema Wallfahrt einlassen oder nicht einlassen?“ „Gibt es einen evangelischen Zugang zum Thema?“ Im evangelischen Sinn könne ein Stück Stoff nichts Heiliges sein. Gleichwohl ein Zeichen – eine Deutung. Aber sei eine solche Deutung nicht weit hergeholt. Man könne also provokant sagen, „nichts ist heilig am Rock von Trier“. Und gleichzeitig feststellen: „Wir sind unterwegs zu Christus.“ Gemeinsam mit katholischen wie orthodoxen Christen. „Wir sind in dieser Welt unterwegs.“ In dieser Deutung auf Christus hin liege die ökumenische Chance. „Aber müsste die Wallfahrt dann nicht Christus-Wallfahrt heißen? Oder sei nicht viel mehr Distanz angesagt angesichts einer möglichen Gefahr der Vereinnahmung?“

Heiliger Ort ein Offenbarungsraum
„Trier steht ganz im Zeichen der Wallfahrt“, berichtete Mühling von eigenem Erleben. Zu Beginn seines frei gehaltenen, bemerkenswert klaren Vortrages ging der Kirchenhistoriker auf die kirchengeschichtliche Bedeutung von Wallfahrten ein. Die ältesten Christen seien davon überzeugt gewesen, dass sich das Göttliche an bestimmten Orten manifestiere. In diesem Zusammenhang begegne man dem Pilgern, dem Wallfahren hin zu heiligen Orten. An solchen besonderen Stätten, so die zeitgenössische Überzeugung, manifestierten sich bestimmte Heilige, Jesus und Gott. Daher habe der Mensch im Mittelalter auch die Nähe zu, die Berührung von Reliquien als Kontaktaufnahme letztlich mit Jesus Christus selbst empfunden. „Im Hochmittelalter ist der heilige Ort ein Offenbarungsraum, in dem uns Christus, Gott, leibhaftig begegnet.“ Als problematisch bewertete Mühling die Sichtweise, dass mit Wall- und Pilgerfahrten ein Erlassen der Sündenschuld und -strafe verbunden worden sei.

Verehrung bezieht sich auf Gott
Von höchster Bedeutung für die inhaltlichen Grundlagen, für die Dogmatik der Römisch-Katholischen Kirche sei das Konzil von Trient (1545-63) gewesen. In Reaktion auf die Reformation habe diese sich dort endgültig konstituiert. Auf die protestantische Kritik an Wallfahrten reagierend, sei in Trient festgelegt worden, dass die Verehrung der Reliquie nie den Gegenstand an sich meine, sondern sich beziehe auf Jesus selbst. Danach solle die Reliquie zum Glauben hinführen. Sie sei nicht Gegenstand des Glaubens, sondern diene als hinweisendes Symbol. Trient habe zu einer Aktualisierung der spätmittelalterlichen Rituale und Glaubensformen, zu verfremdeten, neuen Formen der Spiritualität geführt. Das gelte ebenso für die Wallfahrt, die auch als äußere Einwirkung auf die Protestanten verstanden worden sei – „so, als wäre überhaupt nichts passiert“. Dabei hätten Wallfahrten und Prozessionen eine außerordentlich brisante Wirkung entfaltet, mit teils verheerenden, auch politischen, Folgen. „Wallfahrten standen nie im luftleeren Raum“, konstatierte Mühling. „Sie dienten immer als Instrumente kirchenpolitischer Absichten.“

Fahnen bei Wallfahrten
In den beiden letzten Jahrhunderten sei dies mit der Heilig-Rock-Wallfahrt nicht anders gewesen. So nannte Mühling die etwa eine Million Teilnehmende verzeichnende Veranstaltung von 1844 eine große Machtdemonstration der Katholischen Kirche in der Rheinprovinz. Sie habe auf das protestantische Preußen wie eine Provokation gewirkt. Auch die Trierer Wallfahrt 1891 müsse man in den historischen Kontext einordnen. Sie könne mit ihren über eine Million Teilnehmenden als eine Siegesfeier nach dem überstandenen Kulturkampf im preußischen Reich verstanden werden. Ebenso mit den Händen zu greifen seien die zeitgenössischen Bedingungen bei der Wallfahrt 1933, die über zwei Millionen Besuchende gezählt habe. Die Katholische Kirche habe gehofft, dass sie trotz der Gleichschaltungspolitik des NS-Regimes Bestand haben und eine Sonderrolle spielen könne. Daher seien auf dieser Wallfahrt Fahnen katholischer Gruppierungen und solche mit Hakenkreuzen nebeneinander getragen worden. Dagegen hätten sich in der Wallfahrt von 1959 erstmals die historischen, politischen Bezüge nicht mehr so deutlich formuliert gefunden. „Diese Veranstaltung war auf die Kirche konzentriert, mit starken ökumenischen Impulsen“, so Mühling.

Magische Erwartungshaltung
Luther habe sich einige Male zum Thema Wallfahrt geäußert, kam Mühling auf die entsprechende Einschätzung von Reformatoren zu sprechen. Luther habe Wallfahrten aber nicht als böse erachtet. Vielmehr als ärgerlich – wenn sie auf die „Werkgerechtigkeit“ abzielten. Scharf verurteilt habe Luther die durch sie beförderte magische Erwartungshaltung. Denn das magische Denken führe die Menschen von Gott weg. Diese Ansicht, so der Kirchenhistoriker, werde von der lutherischen Orthodoxie vehement vertreten. Laut Mühling sah der reformierte Protestantismus mit Calvin und Zwingli in Wallfahrten Teufelswerk und Götzendienst. Nach ihrer Meinung drücke sich in Wallfahrten der Gedanke einer Verdrängung von Christus aus. Dagegen habe Heinrich Bullinger für Mäßigung in der Betrachtung des Themas Wallfahrt plädiert und von „Mitteldingen“ gesprochen. Diese könnten der Gemeinsamkeit der Taufe und Schrift nichts anhaben. Wenn sich die Katholische Kirche gerne der Wallfahrt bediene, sei dies kein Grund, ihr Götzendienst vorzuwerfen, habe er eine moderate Position eingenommen.

„Kommen auch Sie nach Trier“
Schließlich fragte Mühling, ob angesichts des kirchengeschichtlichen „Gesamtpaketes“ die Evangelische Kirche die Einladung zur Teilnahme an der Heilig-Rock-Wallfahrt annehmen könne. „Unsere Tradition ist erstmal ablehnend.“ Aber wenn man, von Bullinger ausgehend, erkenne, dass Wallfahrten eben nicht magisches Denken implizierten, und wenn man darauf achte, dass keine sogenannte Werkgerechtigkeit propagiert werde, sondern Christus im Zentrum der Wallfahrt stehe und nicht aus dem Leben der Gläubigen verdrängt werde, „sollten wir uns daran beteiligen – dass wir nach Trier kommen und deutlich unsere Position und Kritik nennen“. Entsprechend habe es auch Bischof Ackermann erwartungsvoll formuliert: Mit der Evangelischen und mit anderen Kirchen habe man sich seine Verwandtschaft eingeladen, die jetzt und zu Recht eben ihre Meinung sage. Den Evangelischen werde eine große Akzeptanz entgegengebracht, meinte Mühling. Sie würden nicht nur geduldet, sondern dazu aufgefordert, die eigene religiöse Überzeugung zur Sprache zu bringen und ihre Meinung zu äußern. „Das ist gut so“, schloss der Referent. „Kommen auch Sie nach Trier, einen Parkplatz finden Sie schon.“

Moderierte Diskussionsrunde
Bock dankte Mühling für seinen „deutlich strukturierten Vortrag“ und eröffnete die von ihm moderierte Diskussionsrunde. „Ein Stück Stoff kann nicht heilig sein“, wiederholte ein Besucher Mühlings Feststellung. Aber könne denn ein Ort, ein Stück Holz, ein Knochen heilig sein, fragt er nach. „Nein, natürlich nicht“, so der Referent. „Davon kann man sich verabschieden.“ Seit Trient sei der Gegenstand ein Symbol für etwas anderes, für Jesus. Aber Missverständnisse darüber bestünden bis in die jüngste Zeit, verwies Mühling etwa auf die Fernseh-Übertragung der Messe zum Auftakt der Wallfahrt in Trier. Darin seien in Großaufnahme behinderte Menschen gezeigt worden, wie sie den Schrein mit dem „Heiligen Rock“ berührten. „Da wurden alte Bilder wachgerufen.“ Alte Bilder von magischem Denken. „Das geht nicht, und das wird auch nicht gewünscht.“ Ebenso ist Bock eine Widersprüchlichkeit aufgefallen. Die Predigt sei begrüßenswert auf Christus konzentriert gewesen, während Bilder von Gottesdienstbesuchenden am Schrein etwas genau anderes suggeriert hätten. Ein weiterer Gast meinte, „auch wir Evangelische sind nicht frei“ von antisäkularen Dingen. Man solle die Bedürfnisse der Leute aufgreifen. Ihm selbst begegne das Heilige im Nächsten, im Alltag – „da, im Menschen, ist das Heilige anwesend“.

Ökumenische Übersetzungsarbeit
Rainer Will vom Katholischen Bildungswerk Köln plädierte für die Weiterentwicklung einer ökumenischen Übersetzungsarbeit. Er redete einer gegenseitigen Hilfe, dem Verständnis füreinander das Wort. Auch im Hinblick auf bestehende „Grauzonen“. So verbindet Will mit dem Wunsch vieler Menschen, Reliquien oder andere (besondere) Gegenstände zu berühren, kein magisches Verständnis, sondern sieht darin einen Ausdruck von Verehrung. „Das Ganze ist eine Aufgabe.“ Es gelte die Spannung auszuhalten, die dieses Thema bereithalte. „Ja, wir kommen in den Kontext des Religiösen“, so Bock. Dabei müssten wir uns ökumenisch helfen. Schließlich bedankte sich eine katholische Besucherin in Brühl für den Hinweis auf Heinrich Bullinger (1504-1575). Und rannte damit bei Mühling offene Türen ein. „Ich bin begeistert von Bullinger. Er ist einer der großen reformierten Theologen.“ Aber es sei mühsam, ihn ins Bewusstsein zu rücken. Denn die Forschung nehme weniger diesen „klugen, politischen Kopf“ in den Blick, der als Nachfolger des gefallenen Zwingli über 40 Jahre an der Spitze der Zürcher Kirche amtierte, sondern konzentriere sich deutlich auf Luther, Calvin und Zwingli.

5. Mai 2012: Tag der Ökumene
Abschließend wies Dr. Martin Bock auf den „Tag der Ökumene“ in Trier hin, zu dem auch die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Köln am Samstag, 5. Mai, unter dem Leitwort „Und führe zusammen, was getrennt ist“ einlädt. Detaillierte Informationen zu dieser ökumenischen Pilgerfahrt finden Sie unter www.oekumene-koeln.de.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich