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Dietrich Bonhoeffer – Passion für Gott und die Welt. Vortrag von Sabine Dramm in der Lindenthaler Dietrich-Bonhoeffer-Kirche

„Dietrich Bonhoeffer zieht wohl immer“, begrüßte Pfarrerin Ulrike Gebhardt die über 60 Gäste in der Lindenthaler Dietrich-Bonhoeffer-Kirche. Sie ließen sich auch von Schnee und Glätte nicht abhalten, um Dr. Sabine Dramms Vortrag „Dietrich Bonhoeffer – Passion für Gott und die Welt“ im Rahmen der Veranstaltungen des Forums Paul-Gerhardt-Kirche beizuwohnen. Den hielt die bei Bonn lebende Dozentin und freie Autorin, unter anderem von Publikationen zu Bonhoeffer, anlässlich des nahen 100. Geburtstages des 1945 ermordeten Theologen.


Trennungslinien persönlicher und politischer Existenz überwinden
Ihren knapp 90-minütigen Ausführungen stellte Dramm zwei Bemerkungen voran. Sie warnte vor unangemessener Glorifizierung Bonhoeffers, um seiner willen. Und sie bat um Vorsicht vor einer politischen und theologischen Überhöhung. Sie selbst sei als Studentin erstmals beim Lesen von „Widerstand und Ergebung“ mit ihm in Berührung gekommen: „Ich empfinde noch heute die kraftvolle Befreiung.“ Die Überwindung der Spaltung von Diesseits und Jenseits, eine Gottesbeziehung, die mitten im Leben ihren Platz habe, eine Art zu glauben, die eine faszinierende Mischung aus bestechender Intellektualität und tiefer Emotionalität sei. Noch heute, machte sie deutlich, sei ihr diese Entdeckung des diesseitigen Glaubens wichtig. Verknüpft mit Risiko, vielleicht auch mit Scheitern. Bonhoeffers Ethik scheue sich nicht, die Trennungslinien persönlicher und politischer Existenz zu überwinden. Er sei ein ermutigendes Beispiel des Christseins in der damaligen und in der heutigen Zeit.

Das Leben Bonhoeffers könne in diesem Vortragsrahmen in nur unzulänglicher Weise erörtert werden, gab Dramm zu bedenken, um sogleich einen mit Fotoprojektionen bebilderten biographischen Abriss zu geben. Am 4. Februar 1906 in Breslau geboren, wuchs Dietrich Bonhoeffer in einem großbürgerlichen Ambiente liberaler Prägung auf. Protestantisch-preußisch erzogen, war er – „nach heutiger Terminologie“ – ein hochbegabtes Kind. „Er war ein Überflieger in der Schule, später in Studium und Beruf“, so Dramm. Mit 21 Jahren war er Doktor der Theologie, mit 24 wurde er habilitiert. 1933 bereits habe es von seiner Seite klarsichtige Proteste gegen die Ideologie und das Herrschaftssystem des Nationalsozialismus gegeben.

Das Leben eines „Überfliegers“
Dramm sprach von Bonhoeffers Aktivitäten in der 1934 gegründeten Bekennenden Kirche, seiner Zeit als Pfarrer in London (1933 bis 35) sowie als Leiter des Predigerseminars Finkenwalde (1935 bis 37), laut Bonhoeffer die beruflich erfüllteste. Ab 1939/1940 kam er über seinen Schwager Hans von Dohnanyi, der unter Wilhelm Canaris im Amt Ausland/Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht arbeitete, in Verbindung mit einer dort aktiven Gruppe des politischen Widerstandes. Ohne Wissen der Bekennenden Kirche nahm er seit Anfang 1941, getarnt als V-Mann der Abwehr, tatsächlich aber als Verbindungsmann und „Kurier des Widerstands“, Kontakte nach Skandinavien und in die Schweiz auf.
Am 5. April 1943 erfolgte die Verhaftung Bonhoeffers, seiner Schwester und von Dohnanyis. Während die Schwester bald frei kam, wurde der Schwager ohne Verfahren hingerichtet. Bonhoeffer verbrachte Monate des Wartens in Untersuchungshaft im Militärgefängnis Tegel. Im Zuge der nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 verschärften Verfolgung von Widerständlern wurde er zunächst in den Gestapo-Keller in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße gebracht, dann ins KZ Buchenwald, schließlich in das KZ Flossenbürg, wo er am Morgen des 9. April 1945 gemeinsam mit Wilhelm Canaris und Hans Oster ermordet wurde.

Konspiration: unter kirchlich-theologischem Aspekt ein „Grenzfall“
Bonhoeffers Entscheidung, sich dem politischen Widerstand anzuschließen, könne hier nur am Rande, „in unangemessener Vereinfachung“, angesprochen werden, bedauerte Dramm. Er habe seine eigene Beteiligung an der Konspiration unter kirchlich-theologischem Aspekt als Grenzfall gesehen, auf eigene Rechnung, eigenes Risiko gehandelt. Seine Widerstandsaktivitäten habe er nicht als christliches Handeln verstanden wissen wollen.

Liebe als Imperativ: „tue was du willst, und es wird Recht sein“
Dass er als Geistlicher hinter den konspirativen Plänen, die bis zum Tyrannenmord reichten, gestanden habe, sei nur zu verstehen durch seine spezielle Verantwortungs-Ethik. Danach müsse man angesichts einer konkreten Situation notwendigerweise Gebote brechen, als letzte Möglichkeit und selbst verantwortlich. Vor diesem Hintergrund erscheine Bonhoeffers „Ethik“ auch als Subtext seines Widerstandes. Letzteren habe er niemals als Antwort auf alle Probleme empfunden. Aber in diesem Fall sei er bereit gewesen zur „Schuldübernahme“, habe er Ja gesagt. Ja, im Wissen, schuldig zu werden, ob er nun handelt oder nicht handelt. Bonhoeffers Ethik sei, mit Augustinus gesprochen, „Liebe als Imperativ“, formulierte Dramm. „Und dann tue was du willst, und es wird Recht sein.“

Sein Schlüsselwort hieß Jesus Christus
„Es ist die Art zu glauben, wie sie Bonhoeffer eigen war, das vor allem anderen das Nachdenken lohnt“, sagte Dramm. Selbstverständlich seien, wie bei uns, auch bei ihm Lebenslauf und Glaubensweg verschränkt. Sein Schlüsselwort heiße Jesus Christus, der auf Jenseitigkeit und Diesseitigkeit verweise. Danach katapultiere sich christlicher Glaube nicht aus der Welt hinaus, sondern zeige sich solidarisch mit der weder leid-, noch schuldfreien Welt. In seiner Ethik verklammere Bonhoeffer Gott mit der Welt. Dies sei zugleich die Zentralfrage seines Lebens gewesen, und dies habe ihn auch in den politischen Widerstand geführt. „Bonhoeffer war ein weltlicher Christ par excellence, ein prominenter Partisan der Bekennenden Kirche“, sagte Dramm. „Er erfuhr eine Befreiung durch Gott in der gottlosen Welt.“ Die von ihm vehement vertretene Weltlichkeit des Lebens und sein Einlassen auf die Konspiration würden einander entsprechen. Letztere sei die Fortsetzung des Glaubens mit anderen Mitteln. „Sein Widerstand war kein Bruch, sondern Konsequenz aus seiner theologischen Erfahrung.“

Stark der Liebe Gottes teilhaftig geworden
Zu den Gründen von Bonhoeffers Unbehagen an Religiosität habe die Verkleinerung Gottes gezählt, die Verquickung der NS-Ideologie mit pseudo-religiösen Bedürfnissen. „Er war Zeuge eines ´unglaublichen´ Erosionsprozesses geworden.“ Einer Aushöhlung, einer religiösen Verbrämung der Welt, einer dramatischen Vermischung von tatsächlich christlichem Glauben und scheinbarer Religiosität, einer domestizierten Religiosität bar eines biblischen Stachels.
„Bonhoeffer hatte sehr viel über die Liebe Gottes zu sagen“, erläuterte die promovierte Theologin. „Als wäre er stark der Liebe Gottes teilhaftig geworden. Er kannte sie, er erhoffte sie, sie widerfuhr ihm.“ Bei Bonhoeffer werde Gott geglaubt in dieser Welt, nicht erst in einer jenseitigen Sphäre. Bei ihm gehe Gott nicht in der Welt auf, sondern in sie ein.

Passion für Gott und die Welt
Dramm machte an fünf unveränderlichen Merkmalen fest, was sie an Bonhoeffer heute und in Zukunft wichtig findet. „Sie hängen eng zusammen mit seiner Passion für Gott und die Welt“. Das erste sei die Konsonanz, der Zusammenklang etwa von Spiritualität und Denken, Emotionalität und Rationalität in Sachen Glauben. Dieser Zusammenklang komme in seinen akademischen Schriften wie „Glaubensbüchern“, in seinen Predigten wie Briefen aus dem Gefängnis zum Ausdruck. Zweitens sei Bonhoeffer ein Pionier der Hoffnung. Das Element des Vertrauens zu Gott habe seine Briefe und Selbstaussagen durchzogen. Optimismus sei eine Kraft der Hoffnung, zitierte Dramm Bonhoeffer, die die Zukunft niemals dem Gegner lasse. Als ein weiteres Merkmal nannte sie seine Zivilcourage. Am Anfang sein Nein zum Führer, sein Nein zu diesem Krieg – wohlwissend, dass danach an Reputation unter diesem Regime nicht mehr zu denken gewesen sei, dass er damit die Todesstrafe riskiert habe. „Hier können wir von ihm lernen.“
Er habe die soziale, sorgenfreie Sicherheit, ein „glückliches“ Leben ausgeschlagen, weil er es mit seinem Gewissen nicht habe vereinbaren können. „Es scheint, als habe Bonhoeffer schon ab Mitte der dreißiger Jahre eine Einstellung zum Tode gehabt, die nur unzulänglich als Todesgelassenheit zu bezeichnen wäre“, nannte Dramm ein viertes Kennzeichen. Dabei habe er den Tod weder verharmlost noch verherrlicht, sondern ihn angenommen. Was schließlich an Bonhoeffer, der sich selbst nicht als Heros des Glaubens, als Held des Widerstandes empfunden habe, nach wie vor zu entdecken sei, sei weltliches Christsein. Es sei eine ungeteilte, selbstverständliche Frömmigkeit, eine Ermutigung zum politischen Protest – seine Passion für Gott und die Welt.

Tipp: Mehr Material über Bonhoeffer
Unter der Adresse: http://www.dietrichbonhoeffer.de/ hat die EKD-Online-Redaktion ein Bonhoeffer-Spezial zusammengestellt.

Text: Broich
Foto(s): Broich