„Die Leute von Google sagen, dass sie keine Kontrolle über uns ausüben wollen. Ich glaube ihnen das. Aber sie sind nicht die Letzten in der Reihe“, war das Fazit von Professor Dr. Norbert Schneider am Ende seines Vortrags mit dem Titel „Transparenz – Eine Gefährdung des Inidividuums“ im Gemeindesaal der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Lindenthal im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Kirche trifft Kultur„. des Forums Paul-Gerhardt-Kirche. Schneider hat an den Universitäten Tübingen, Marburg und Hamburg evangelische Theologie und Publizistik studiert, bevor er Direktor für Hörfunk und Fernsehen beim Sender Freies Berlin, Geschäftsführer der Allianz-Film GmbH und zuletzt Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) sowie Beauftragter für Programm und Werbung der Kommission für Zulassung und Aufsicht der Landesmedienanstalten (ZAK) wurde. Auch in der „evangelischen Welt“ ist er kein Unbekannter: Bis 1981 war er Direktor im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik in Frankfurt am Main.
Wo Transparenz dem Menschen hilft
Zunächst erklärte Schneider , dass der Begriff „Transparenz“ unter vielen Aspekten positiv besetzt sei: „Transparenz macht dunkle Ecken hell und schafft bei Hempels unterm Sofa Ordnung. Die Kuppel über dem Reichstag ist gläsern. Sie soll als Symbol dafür dienen, dass Politik transparent ist.“ Transparenz sei allerdings ein Wort, das in verschiedenen Bereichen verwendet werde. Informatiker verwendeten „Transparenz“, Physiker und Betriebwirtschaftler auch. In der Politik bedeute Transparenz, dass alle Akteure ebenso bekannt seien wie die Informationen, die zur Entscheidung führten. In der zivilisierten Gesellschaft sei Transparenz Voraussetzung für alles. Dann könne man sagen: Jeder kann es sehen. Deshalb sei ja die Drohung „Dann mache ich es öffentlich“ die Moralisten-Drohung schlechthin. In der Wirtschaft sei Transparenz sogar ein eigenes Gut, für das in manchen Dax-Unternehmen sogar ein Mitglied des Vorstands zuständig sei. Deren Aufgabe sei beispielsweise die Aufdeckung von Korruption. Länder wie Schweden hätten der Transparenz sogar Verfassungsrang eingeräumt. So weit, so gut.
Der Mensch als „Datensack“
„Es gibt aber eine zweite Seite der Transparenz. Im privaten Bereich ist sie geächtet. Das Private soll den Blicken Fremder verborgen bleiben“, sagte Schneider. Lange Zeit habe eine hohe Mauer zwischen dem Privaten und dem Transparenten bestanden. Diese Mauer sei aber über lange Zeit abgebaut und verschoben worden. Mit der Reformation habe die Individualität des Menschen erstmals die Chance erhalten, sich zu entfalten. Damit lag dem Menschen immer weniger daran, das Private der Gesellschaft zu entziehen. „Heute kann man sich das kaum vorstellen: Es war mal undenkbar, in der Öffentlichkeit zu essen und zu trinken.“ Der Puritanismus habe sogar nackte Stuhlbeine verhüllt.
Da lebe man mit Sendungen wie „Deutschland sucht den Superstar“ in ganz anderen Zeiten. In den Casting-Shows erlebe man Menschen, die überhaupt nichts mehr verbergen wollten. Ein Teil an Entprivatisierung sei allerdings unerlässlich. Im Vorzimmer des Arztes müsse man seine Krankenkasse nennen und über Vorerkrankungen Auskunft geben. Bei der Einreise in die meisten Länder müsse man einen Personalausweis oder einen Pass vorzeigen.
Aber: „Alles, was der Mensch von sich preisgibt, kann elektronisch gesammelt werden. Der Datenabgleich scheint da harmlos. Ist er nicht. Luther nannte den Menschen einen ,Madensack‘. Ich sage, er ist ein Datensack. Er besteht aus Wasser und Daten.“ Alles werde offenbar, transparent und gläsern. Der Mensch müsse etwas tun, um unsichtbar zu werden. „Was Dritte über Sie wissen, könnte Sie in blankes Entsetzen stürzen“, warnte der Referent.
Die „tyrannische Seite der Transparenz“
Firmen wie „google“ und „Facebook“ wollten alles von allen wissen. Das sei deren Geschäftsgrundlage. Die ganze Welt als Mitglied bei „Facebook“ sei zwar eine Wahnsinns-Vorstellung, läge aber in der Logik. „Kein Mensch weiß, was sich in den Rechnern abspielt. Man sieht es nicht. Wir leben in einer bildersüchtigen Gesellschaft, aber man sieht nix.“
Als Beispiel nannte Schneider die globale Finanzkrise, die sich auch in erster Linie in Rechnern abgespielt habe. Und es gebe eine weitere „tyrannische Seite der Transparenz“: Dann gehe es gehe darum, der Datengier Dritter Zügel anzulegen. Man müsse wissen, wer aus dem eigenen „Datenabfall“ Gold machen wolle. „Ich will nicht sagen, dass man Daten nicht abgeben soll“, erklärte Schneider. Es sei allerdings eine merkwürdige Situation. „Jemand holt meine Daten, aber sie bleiben ja trotzdem bei mir. Man muss sich kümmern um das, was man abgibt. Ich muss verhindern, dass ich durch das, was ich abgebe, kontrollierbar werde. Google sagt, dass man keine Kontrolle ausüben wolle. Ich glaube ihnen das. Aber sie sind nicht die Letzten in der Reihe.“
Foto(s): Rahmann