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„Die Zukunft des Menschlichen“ in der Abtei Brauweiler: Präses Thorsten Latzel beim ökumenischen Zukunftstag

Was die Menschen in 1000 Jahren über die ersten Gehversuche der Künstlichen Intelligenz sagen werden, wissen wir nicht. Wahrscheinlich sind wir ihnen so fremd wie uns Pfalzgraf Ehrenfried, auch Ezzo genannt, der sich vor 1000 Jahren aufgerufen fühlte, auf dem Hofgut Brauweiler ein Kloster zu stiften. Der Legende nach ruhte sich seine Frau Mathilde unter einem Maulbeerbaum aus, und als sie erwachte, tat sich der Himmel auf und gleißendes Licht fiel auf die Pfalzgrafgattin. Das nahm man damals als ein Zeichen für einen Ort, der von Gott ausgewählt war. Hier hatten sich Himmel und Erde berührt. Den Maulbeerbaum gibt es immer noch, die Abtei entstand kurz darauf.

Die Zukunft des Menschlichen

Einen Blick in die Geschichte warf Christoph Nötzel, Pfarrer der evangelischen Christuskirche an der Glessener Höhe, bei der Begrüßung der Gäste in der Abteikirche zum „Ökumenischen Zukunftstag in der Abtei Brauweiler“. Thema war nichts Geringeres als die „Zukunft des Menschlichen“. In einer von Algorithmen gesteuerten Welt stelle sich die Frage nach dem wesentlich Menschlichen neu, schickten die Veranstalter voraus. Eingeladen hatten die Melanchthon-Akademie, die Karl-Rahner-Akademie, die Gemeinde an der Glessener Höhe, die katholische Pfarreiengemeinschaft Brauweiler-Geyen-Sinthen und der Freundeskreis Abtei Brauweiler der Evangelischen Studierendengemeinde in Köln.

Alles Gute und alles Böse dieser Welt habe die Abtei erlebt, fuhr Nötzel fort. Da gebe es den Maulbeerbaum, aber auch das Denkmal für Opfer von Unrecht und Gewalt. Die Abtei war von 1802 bis 1978 Arbeitslager, unter den Nazis Gestapo-Gefängnis. „Es wurden Menschen gefoltert und zwangssterilisiert“, erinnerte Nötzel: „Immer wieder hat auch die Hölle diesen Ort berührt.“

„Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen“

Dr. Jürgen Rüttgers, ehemaliger Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, ist Vorsitzender des Freundeskreises der Abtei Brauweiler. Im Jubiläumsjahr habe es bisher 165 Veranstaltungen in der Abtei gegeben und 175 Führungen. Menschen aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland hätten sich das ehemalige Kloster angesehen. Rüttgers berichtete, dass auch Konrad Adenauer während der Nazi-Diktatur in Brauweiler inhaftiert gewesen sei. „Er wurde hier mit dem Tode bedroht. Aber er hatte später den Mut, etwas Neues zu wagen. Und er war der festen Überzeugung, dass der Mensch von Gott eine einzigartige Würde verliehen ist“, so der Ministerpräsident a.D. Heute herrsche in manchen Gebieten Terror und Krieg, Menschen stürben. „Wir müssen uns wehren“, lautete Rüttgers Fazit. Er zitierte Konrad Adenauer: „Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen. Sie wurde eine Hoffnung für viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für uns alle.“ Ein Nachdenken über Sicherheit sei nötig: „Wir brauchen einen Neuanfang. Eine geistig-moralische Wende kann da helfen.“

„Die Abtei hat in 1000 Jahren Geschichte viel erlebt“

Anne Henk-Hollstein ist Vorsitzende der Landschaftsversammlung des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR). Das ehemalige Kloster wurde in ein LVR-Kulturzentrum umgewandelt, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Geschichte und das kulturelle Erbe des Ortes aufzuarbeiten und zu vermitteln. Auch Henk-Hollstein warf einen Blick in die Geschichte des Ortes. „Die Abtei hat in 1000 Jahren Geschichte viel erlebt. Sie war Kloster, Arbeitslager, Gefängnis, Psychiatrie und kultureller Ort. Menschen waren hier freiwillig und gegen ihren Willen.“ Heute herrschten in der Abtei Kunst und Kultur vor. „Aber sie ist auch Mahnung für das, was Menschen sich antun können.“ Henk-Holstein zitierte aus einem Lied von Herbert Grönemeyer: „Und der Mensch bleibt Mensch, weil er mitfühlt und vergibt.“

„Was wird… Mensch?“

Den Festvortrag zum Thema „Was wird… Mensch?“ hielt Dr. Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Seine zentrale These: „Nein, unser Saugroboter zu Hause braucht keinen Namen.“ Beispielhaft nannte er „Alexa“, die manchmal schon zur Familie gehöre. In den vergangenen 100 Jahren habe sich die Zahl der narzisstischen Kränkungen der Menschheit drastisch erhöht, so der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Latzel nannte die technologische Kränkung – „Wir schaffen Maschinen, die wir nicht beherrschen und die uns bestimmen statt wir sie“ –, die ethische Kränkung – „Es gelingt uns nicht, Menschen als Menschen zu behandeln“ –, die ökologische Kränkung – „Wir leben wie ein Krebsgeschwür auf Kosten anderer Arten und schaffen es nicht einmal, unseren eigenen Lebensraum zu erhalten“ – und aktuell vor allem die digitale Kränkung mit der Entwicklung künstlicher Intelligenz.

Kritisch sieht der Präses die Vorstellung, dass in Zukunft die Maschine immer mehr Mensch wird: „Die Faszination technologischer Utopien verdeckt oft die viel drängenderen Fragen lebensweltlicher KI-Anwendung, etwa von Transparenz, Fairness, Kontrolle von Algorithmen im Alltag. Ich bin zutiefst skeptisch, wenn Maschinen Bewusstsein, Gefühl, gar Seele zugeschrieben wird. Und schon allein die Rede von maschinellem Lernen statt von künstlicher Intelligenz setzt hier einen anderen Akzent.“

Der rheinische Präses hält der Technikgläubigkeit mit „Gott wird Mensch“ die Botschaft von Weihnachten entgegen: „Mit der Freiheit zu lieben, zu leiden, in Beziehung zu sein, aus Gott zu leben und nie fertig zu sein, bekommt unser Menschsein von Gott her seinen Glanz, seine Würde, seine Bestimmung.“ Aus dem Satz „Gott wird Mensch“ folgt für Latzel die Konsequenz, dass die Begegnung mit lernenden Maschinen positiv dazu beitragen könne, dass die Menschen sich nicht einseitig über Fähigkeiten definieren – seien sie intellektueller, kreativer oder kognitiver Art – sondern über Freiheiten, wie wir sie im Lieben, Leiden, in Beziehung, im Hoffen erfahren. „Es wäre gut, wenn wir – im Lichte des Evangeliums – Gottes Ebenbild im Angesicht des Menschen neben uns suchen. Und wenn wir dann jeden Mitmenschen auch so behandeln: als Menschen mit unverlierbarer Würde und unverlierbaren Rechten, als Gotteskind.“

Am Ende des Vortrags hatte der Präses noch einen ganz praktischen Tipp für die Festversammlung: „Vielleicht schauen Sie hin und wieder einfach mal vom Handy auf und lächeln jemanden an. Probieren Sie es einfach mal aus.“

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann