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„Die Zigeuner kommen! Markus Reinhardt entdeckt sein Volk“ – der Großneffe von Django Reinhardt trat neben Buchautor Heinz G. Schmidt im Paul-Gerhardt-Forum auf

Wohl auch ein bisschen ironisch gemeint war der Titel des Abends: „Die Zigeuner kommen!“ hieß es auf den Plakaten, die eine Lesung mit dem Autor Heinz G. Schmidt und dem Musiker Markus Reinhardt im Forum Paul-Gerhardt-Kirche der evangelischen Kirche gleichen Namens in Lindenthal ankündigten. „Die Zigeuner kommen! Markus Reinhardt entdeckt sein Volk“ ist der Titel eines Buches, das Schmitz geschrieben hat und in dem er Episoden von Reisen quer durch Europa und sogar bis Marokko schildert, die er mit dem Zigeuner Reinhardt unternommen hat.



Markus Reinhardt: Tief in der Tradition seiner Familie verwurzelt
Schmidt arbeitet seit 1972 als Reporter, Autor und Filmemacher für Radio und Fernsehen. Darüber hinaus ist er journalistischer Berater der Europäischen Union und der Weltbank in Mittel- und Osteuropa. Markus Reinhardt ist Großneffe des legendären Musikers Django Reinhardt, der in den 30-er Jahren zu Weltruhm gelangte. Markus Reinhardt ist tief in der Tradition seiner Familie verwurzelt: Als Sechsjähriger trat er mit Vater und Onkel auf und spielte dabei traditionelle Zigeunermusik. Er wollte aber auch schon früh andere Musik kennenlernen. Besonders hatten es ihm die alten Platten seines Vaters mit den unvergessslichen Aufnahmen des „Hot Club de France“ mit Django Reinhardt und Stephane Grappelli angetan. Mit 17 Jahren gründete er seine erste Gruppe. Aktuell leitet der Geiger ein Ensemble mit vier Streichinstrumenten. Markus Reinhardt lebt in einem Verband von Sinti-Familien im Kölner Norden.

Auf den Spuren der Zigeuner: Quer durch Europa und Asien
Die Spuren der Zigeuner lassen sich kaum noch verfolgen. Allgemein wird angenommen, so Schmidt, dass sie aus den Bergen und den Wüsten des Pandschab flohen und dort ihre Wurzeln hatten. Doch die Spurensuche ist schwierig, weil die Sinti und Roma keine Bücher kennen und ihre Geschichte mündlich überliefern. Da ist viel verloren gegangen. Aber es gibt ja noch die Musik. Kostproben davon lieferten Markus Reinhardt und sein Esemble reichlich an diesem Abend in der Paul-Gerhardt-Kirche, in die das „Forum Paul-Gerhardt-Kirche“ eingeladen hatte. Dazwischen las Schmidt immer wieder aus seinem Buch. Er berichtete von Zigeunern, die in Vorder- und Hinterasien als erstklassige Metallwerker bekannt waren, zum Beispiel sehr geschickt im Reparieren von Rüstungen. Schmidt erzählte von den Horden des Dschingis Khan, die auf ihren Raubzügen die Zigeuner im 13. Jahrhunderten vor sich her immer weiter nach Westen getrieben hätten. Viele seien im Südosten der heutigen Türkei gestrandet. Dort lebten 1,5 Millionen Zigeuner unbeachtet von der Welt zwischen den Fronten, zwischen den kurdischen Guerilla-Kämpfern auf irakischer Seite und dem türkischen Militär.

Von Köln ins KZ Treblinka: Die leidvolle Geschichte der Zigeuner
Reinhardt und Schmidt besuchten auch Zigeuner in Budapest, Andalusien, Rumänien und Bulgarien und fanden die unterschiedlichsten Lebensverhältnisse vor. Gut geht es den Sinti und Roma, den Gitanos und Travellers, den Kalderasch und den Cingene, den Tzigans und Manoush nirgends, immer wieder müssen sie sich wie etwa in Ungarn als Musiker verdingen, die Touristen Folklore vorgaukeln. Ganz still wurde es in der Paul-Gerhardt-Kirche, als Schmidt die Passage zitierte, in der Tutti Reinhardt, Vater von Markus, von seiner Deportation während der NS-Zeit berichtete. 1939 ist er in Köln von einer deutschen Schule in eine eigens eingerichtete „Zigeunerschule“ neben einer jüdischen Schule geschickt worden. 1940 sei die jüdische Schule geschlossen worden. Die Kinder seien in Ferien, habe man gesagt. Kurz darauf sei auch die „Zigeunerschule“ umstellt und die Kinder zum Messebahnhof Deutz gebracht worden. Von dort wurden sie in das berüchtigte KZ Treblinka gefahren. 500 Zigeuner aus Köln seien dort inhaftiert gewesen, etwa 100 hätten überlebt, so Tutti Reinhardt, damals 13 Jahre alt: „Wir haben ja auch Glück gehabt, dass der Russe schneller rein gekommen ist, sonst wäre ja soundso keiner mehr am Leben gewesen.“

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Rahmann