Es sind eindringliche Fotos. Fotos von Gesichtern, in denen die Spuren eines harten, schmerzhaften und entbehrungsreichen Lebens unverkennbar sind. Allerdings: Es sind Gesichter, die die wenigsten Menschen im Alltag bewusst wahrnehmen. Beim Anblick von Obdachlosen wird der eigene Blick oft schnell und verschämt zur Seite gewendet. Um diesen „verschämten Blick“ zu bannen, ist die Kunst ein gutes Medium: Mit ihren Porträts bewirkt die Fotografin Ingrid Bahß, dass ihre Nahaufnahmen dieser Gesichter den Blick des Betrachters geradezu magisch auf das Gesicht des Porträtierten ziehen. Hinter der vom Schicksal zerfurchten Haut lassen sich vielfältige Biografien erahnen, mit fiktiven Berufen und einer Aufnahme scheinbar alltäglicher Gegenstände fotografisch konfrontiert, bietet die Künstlerin einen nur scheinbar einfachen Weg, sich der Biografie des porträtierten Menschen zu nähern – und sie erreicht mindestens mit dem Titel ihrer Ausstellung ihr Ziel, diese namenlosen Menschen ein Stück weit sichtbar zu machen. „. . . ich habe einen Namen!“ heißt die Ausstellung der Fotografin, die noch bis 14. November in der evangelischen Trinitatiskirche zu sehen ist.
Fiktive Namen und Berufsbezeichnungen
Vor über einem Jahr erschien Ingrid Bahß beim Obdachlosen-Frühstück im „Vringstreff“ in der Südstadt und fragte, ob sie dort Porträtfotos von den Anwesenden machen könne. Dr. Peter Deubner, dessen Stiftung das Kölner Obdachlosen-Frühstück organisiert und zu einem Teil auch finanziert, war von der Idee begeistert. „Dann müssen die Fotos aber auch gezeigt werden“, sagte er damals zu der Fotografin, und so ist es nun ja auch gekommen. Hauptsächlich im „Vringstreff“, aber auch im Johanneshaus, wo Obdachlose betreut werden, entstanden die Porträtaufnahmen. 30 sind es, die nun in der evangelischen Trinitatiskirche, Filzengraben 4, zu sehen sind. Die Absicht der Künstlerin ist es, den Menschen am Rande der Gesellschaft ihre menschliche Würde zurückzugeben. Jedes Foto ist mit einem fiktiven Namen und einer fiktiven Berufsbezeichnung versehen. Aus dem verschmähten „Penner“ wird so ein Mensch mit einem eigenen Leben, eigener Geschichte und eigener Persönlichkeit
Einen Namen haben, menschliche Nähe erfahren
Dass die Fotos ausgerechnet in einer evangelischen Kirche zu sehen sind, ist kein Zufall, denn hier wird nicht zuletzt auch christliches Engagement sichtbar: Der Vringstreff ist ein Verein, der zu großen Teilen von den christlichen Kirchen der Südstadt getragen wird, Stadtsuperintendent Ernst Fey erinnerte in seinem Grußwort zur Eröffnung an die Bauwagen auf Grundstücken evangelischer Kirchen, wo – beispielsweise in Bickendorf oder Lövenich und mit Unterstützung der evangelischen Diakonie – Obdachlose nicht nur ein Zuhause finden, sondern in sichtbaren Namensschildern auf den Bauwagen auch endlich wirklich einen Namen und eine Adresse haben. Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes, Schirmherrin der Aktion, knüpfte dort an, betonte – mit ihrem eigenen evangelischen Selbstverständnis – die Notwendigkeit zur Nächstenliebe und sprach von den vielen glücklichen Gesichtern, die ihr jeden Sonntag beim Kölner Obdachlosenfrühstück begegneten: „Die meisten Menschen suchen hier weniger das kostenlose Essen als vielmehr menschliche Nähe, die Möglichkeit der Gemeinschaft und des Austauschs.“ Auch die Kunsthistorikerin Prof. Dr. Anne-Marie Bonnet zeigte sich berührt. In ihrer Einführung zur Ausstellung betonte sie, dass ihr das selten auf einer der zahlreichen Fotoausstellung, die sie besuche, passiert sei.
„Menschensinfonieorchester“ spielte zur Eröffnung
Bei der Ausstellungseröffnung spielte auch eine vierköpfige Gruppe des „Menschensinfonieorchesters“ zwei Stücke. Dieses Orchester setzt sich aus Menschen mit und ohne festen Wohnsitz zusammen. Gegründet wurde das deutschlandweit einzigartige Orchester an der evangelischen Lutherkirche in der Südstadt, und unter der Leitung von Alessandro Palmitessa hat es bereits zahlreiche Konzerte in und um Köln gegeben, sowie zwei erfolgreiche CDs eingespielt. Ihre Musik umfasst Klänge aus der ganzen Welt, so individuell und unverwechselbar wie die Herkunftsländer dieses bunt gemischten Orchesters, in dem Kölner (Star-)Musiker wie Stephan Brings, Helmut Zerlett, Markus Stockhausen oder „Klaus der Geiger“ gern als Gäste mitspielen, neben Musikern aus aller Herren Länder – „Weltmusik“ im wahrsten Sinn des Wortes.
Frühstückstreff bietet Raum der Ruhe
Im „Vringstreff“ und in den Räumen der christlichen Sozialhilfe Mülheim bieten Peter Deubner und seine Mitstreiter seit gut zweieinhalb Jahren regelmäßig ein kostenloses Frühstück an. „Die Idee habe ich Nürnberg bekommen, wo ich ein ähnliches Projekt gesehen habe“, erzählt Deubner, dessen Stiftung schon seit langem Projekte für Obdachlose unterstützt. 45 Besucher kamen beim ersten Mal, mittlerweile sind es rund 170 Gäste, „und damit ist der ,Vringstreff‘ rappelvoll“, so Deubner. Auf drei Sonntage im Monat wurde der Frühstückstsreff mittlerweile ausgedehnt. Zwischen 15 und 20 Helfer sind regelmäßig im Einsatz, insgesamt kann Deubner auf einen Pool von etwa 60 Freiwilligen zurückgreifen. „Es geht dabei aber nicht nur ums Essen und Sattwerden. Der Frühstückstreff bietet den Obdachlosen einen Raum für Ruhe und Gespräche, abseits des täglichen Kampfes ums Überleben“, ergänzte der Stiftungsgründer. Und: „Viele empfinden es als etwas Besonderes, bedient zu werden!“ Mittlerweile wird der Frühstückstreff auch einmal im Monat bei der Christlichen Sozialhilfe in Mülheim angeboten, wo sich jeweils um die 100 Besucher einfinden. Finanziert wird das Projekt durch zahlreiche Spenden, vor allem Lebensmittel von der „Kölner Tafel“, und durch die Dr.-Peter-Deubner-Stiftung.
Benefizkonzert für das Kölner Obdachlosenfrühstück
Die Fotoausstellung „. . . ich habe einen Namen!“ ist noch bis Mittwoch, 14. November, in der evangelischen Trinitatiskirche, Filzengraben 4, zu sehen. Öffnungszeiten sind montags bis freitags von 10 bis 12 Uhr, samstags und sonntags von 10 bis 15 Uhr.
Am Donnerstag, 8. November, spielt das „Menschensinfonieorchester“ um 20 Uhr in voller Besetzung in der Trinitatiskirche. Gespielt werden Titel aus der jüngsten CD „Tanz mit mir“. Der Erlös dieses Benefizkonzerts ist für das Kölner Obdachlosenfrühstück bestimmt.
Foto(s): Dr. Peter Deubner-Stiftung