You are currently viewing Die Weihnachtspredigt 2012 des Stadtsuperintendenten

Die Weihnachtspredigt 2012 des Stadtsuperintendenten

Die Predigt des Stadtsuperintendenten Rolf Domning an Heiligabend in der Christvesper der Kartäuserkirche über Johannes 7, Vers 28 und 29:

Liebe Gemeinde!

Im Lauf des Lebens ändern sich Feste und Feieranlässe in ihrer Bedeutung. Den eigenen Geburtstag feiert man mit zehn anders als mit 18 und wieder anders mit 60 Jahren – obwohl der Anlass doch immer der gleiche ist. Eine Silvesterparty hat in der Jugend eine andere Bedeutung als in fortgeschrittenem Alter. Und auch das Weihnachtsfest durchläuft innerhalb eines Menschenlebens verschiedene Phasen.

Als Kind fiebert man dem 24. Dezember entgegen, freut sich an den geheimnisvollen Familienritualen zum Heiligen Abend, erwartet sehnlichst die Bescherung. Teenager finden das ganze Getue in der Familie manchmal peinlich und würden sich am liebsten ausklinken. Junge Erwachsene wiederum wissen oft nicht so genau, was sie anfangen sollen mit diesen Feiertagen – selber was organisieren? Nach Hause zu den Eltern? Mit Freunden was unternehmen? Wer später Kinder oder Enkel hat, erlebt dann die eigene Kindheit noch einmal und freut sich, dem Nachwuchs Geschenke machen zu können.

Man erfährt und erlebt Weihnachten stets anders, jeder Lebensabschnitt hat seinen eigenen Bedeutungshorizont. Nur eines bleibt immer gleich: das Kind in der Krippe. „Es begab sich aber zu der Zeit …“ – selbst Menschen, die es sonst nicht so haben mit Religion und Kirche, ist doch die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium noch halbwegs geläufig. Und in vielen Familien wird zum Fest der Karton mit den Krippenfiguren vom Speicher geholt und die Heilige Nacht liebevoll unterm Baum nachgebaut. Da liegt es dann zwischen Ochs und Esel, das niedliche Jesuskind, gebettet auf Stroh, wem wollte da nicht das Herz aufgehen? Die Weihnachtslieder tun ein Übriges. „Kommet, ihr Hirten, ihr Männer und Fraun, Kommet, das liebliche Kindlein zu schaun“.

„Das liebliche Kindlein“ ist die Konstante des Weihnachtsfestes. Was immer sich drum herum ändert, das Christkind bleibt. Das ist zunächst ja auch nicht zu beanstanden – an Weihnachten feiern wir nun einmal Jesu Geburt. Da darf das Geburtstagskind schon vorkommen. Schade ist nur, dass es oft bei dieser einen Geburtstagsfeier bleibt. Bis in den Januar hinein darf das Jesuskind noch in der guten Stube dabei sein. Dann muss es zurück in seine Kiste, zusammen mit Eltern, Stall, Krippe, Ochs und Esel, und kommt wieder auf den Speicher oder in den Schrank mit der Weihnachts-Deko. Bis nächstes Jahr!

„Lebte denn der Christus nur ein paar Stunden?“ hat der Dortmunder Schriftsteller Josef Reding einmal gefragt. Wenn wir an Gandhi denken, dann nicht an einen rosigen Säugling auf einem Krabbelfell. Wir sehen dann einen ausgezehrten Mann vor uns, der mit gewaltfreiem Widerstand eine Besatzungsmacht in die Knie zwang. Wenn wir Martin Luther King sagen, hat niemand ein farbiges Kleinkind vor Augen. Wir denken dann an einen Mann im Anzug, der an der Spitze eines Demonstrationszuges für die Gleichberechtigung kämpft. Fällt aber der Name Jesus, schrumpfe das Vorstellungsvermögen vieler Zeitgenossen auf das Krippenkind zusammen, so beklagt es Josef Reding. Die ersten Stunden seines Lebens bekämen an Weihnachten größte Aufmerksamkeit – die restlichen über 30 Jahre dagegen fänden kaum noch Beachtung.

„Es muss die schlichte Vermutung geäußert werden, dass viele Menschen sich das Dasein des Christus so willkürlich zurechtkürzen, dass viele seine ersten Lebensstunden derart angestrengt feiern und ihn dann später kaum mehr beachten, weil fast alles an seinem kommenden Wirken sie irritiert.“

Ist das wirklich so? Hat Reding recht und wir verbannen Jesus, den Christus übers Jahr gerne in eine Schachtel? Warum? Damit er uns so nicht unangenehm nah kommen kann mit seinem Leben und mit seiner Lehre? Als Vertreter von Kirche Ihnen heute am Heiligen Abend mal eben eine Moralpredigt zu halten und zwar über die geringe Verweildauer Jesu in unserem Leben, darüber, dass wir es lieber sehen, wenn er als süßes Jesuskind das Kontinuum unserer biografisch sich zwar verändernden, aber bleibenden Weihnachtsromantik ist: Das tue ich besser nicht, ich bin ja selbst bekennender Weihnachtsromantiker. Aber etwas dran ist schon an der Kritik von Josef Reding.

Denken wir doch einmal an die Urform aller Krippendarstellungen in Bethlehem, der Partnerstadt Kölns. Denken wir an die Geburtskirche Jesu, ihre Wurzeln gehen auf das 3. Jahrhundert zurück. Dieses etwa zehn Kilometer südlich von Jerusalem gelegene Gotteshaus soll den religiösen Überlieferungen zufolge über der Höhle errichtet worden sein, in der Jesus zur Welt kam. Nach der Kreuzfahrerzeit gingen die einzelnen Gebäudeteile in den Besitz der griechisch-orthodoxen, der armenisch-orthodoxen und der römisch-katholischen Kirchen über.

Wir freuen uns darüber, dass wir auch heute Abend in diesem Gottesdienst wieder das Friedenslicht aus Bethlehem dabeihaben, das aus der Geburtskirche wieder in alle Welt hinausgeht und auch in diesem Gottesdienst bald nach der Predigt wieder durch die Reihen wandert, als Zeichen des Friedens. Denn wir wissen schon, Jesus lebte nicht ein paar Stunden und sein Wirken ist nicht begrenzt auf seine Geburt. Fest steht aber: Dieser andere, dieser erwachsene Jesus irritiert, auch und gerade mit seiner konsequenten Botschaft der Gewaltlosigkeit, seiner Friedensbotschaft. Nur, wir müssen sie leben und das gilt für uns alle als eine immerwährende Herausforderung.

Schon die Umstände seiner Geburt sind, wenn man allen weihnachtlichen Brauch einmal beiseite lässt, höchst ungewöhnlich. Wie sagten oder sangen es die himmlischen Heerscharen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“ Lk. 2,14.

Warum? Weil der Sohn Gottes dort zur Welt kommt, wo die Romantik nicht gerade zu Hause ist, in einem armseligen, wahrscheinlich stinkenden Stall. Die ersten Besucher an seinem Krippen-Kinderbett sind Hirten, die Randfiguren der damaligen Gesellschaft, Menschen die das ABC des guten Benehmens bisher nicht kennengelernt hatten.

Die Welt hat sich über die Jahre an diese Geschichte gewöhnt, sie romantisch entrückt und Jesus wird in einem Stall geboren, der schon lange nicht mehr stinkt.

Da kann es gut sein, dass wir für den heutigen Abend einmal einen vorgeschlagenen Predigttext haben, der nicht vom Kind in der Krippe spricht, sondern vom erwachsenen Jesus. Und das hört sich erst einmal überhaupt nicht weihnachtlich an. Die Juden feierten das Laubhüttenfest, eine Art Erntedankfest, und auch Jesus hatte sich unters Volk gemischt, heimlich, er wollte nicht erkannt werden. Offenbar hatte sich seine Anwesenheit aber herumgesprochen und die Menschen suchten ihn. Kurzerhand begibt sich Jesus in den Tempel und beginnt dort zu lehren – obwohl ihm das eigentlich nicht so recht zusteht. Schließlich ist er ja kein Priester oder Schriftgelehrter. Jesus weiß auch nur zu gut, dass er sich damit in Gefahr begibt, dass er Aufsehen erregt, indem er im Tempel auftritt. Viele halten ihn einfach für einen Aufschneider, andere schlicht für besessen. Und jetzt der Predigttext:

(28) Da rief Jesus, der im Tempel lehrte: Ihr kennt mich und wisst, woher ich bin. Aber nicht von mir selbst aus bin ich gekommen, sondern es ist ein Wahrhaftiger, der mich gesandt hat, den Ihr nicht kennt. (29) Ich aber kenne ihn; denn ich bin von ihm, und er hat mich gesandt. (Joh 7,28-29)

Ihr kennt mich und wisst woher ich bin, ruft Jesus. Und die Menge im Tempel wird vielleicht bei sich gedacht haben: Ja, wir wissen es. Du bist der Sohn eines einfachen Zimmermanns aus Nazareth, der hier große Reden schwingt. Das wäre sogar richtig gewesen – aber doch nur ein Teil der Wahrheit. Der Mensch sieht eben nur, was vor Augen ist. Und deshalb sagt Jesus weiter: Ich bin nicht von mir selbst aus hier, etwa, um mich wichtig zu machen. Der Wahrhaftige hat mich gesandt, einer, den ihr nicht kennt, den ihr offenbar nicht sehen wollt. Aber ich kenne ihn, denn ich bin von ihm, und er hat mich gesandt.

Die Reaktion folgt prompt: „Da suchten sie ihn zu ergreifen“, heißt es gleich im nächsten Vers. Das Volk will seine Meinung über Jesus nicht ändern. Denn das würde ja alles auf den Kopf stellen, was bisher gegolten hat. Jesus, der Messias? Der Sohn Gottes? Da könnte ja jeder kommen!

Liebe Gemeinde, wir kennen heute die ganze Geschichte. Wir wissen, dass man Jesus tatsächlich irgendwann „ergriffen“ und umgebracht hat. Weil man glaubte zu wissen, wer er war. Weil man nicht verstand – oder verstehen wollte -, dass er nicht ganz von dieser Welt ist.

All das wissen wir. Aber an Weihnachten machen wir es dann doch ein bisschen so wie die Leute im Tempel oder in der Geburtskirche. Wir singen zwar davon, dass Jesus vom Himmel hoch daherkommt – aber dann stellen wir ihn doch ganz gerne als Krippenkind in die Ecke und freuen uns an seiner hilflosen Niedlichkeit: „Da liegt es – das Kindlein – auf Heu und auf Stroh.“ So kennen wir es, so lieben wir es. Aber dieses Jesuskind ist ja viel mehr. Es ist nicht gekommen, damit wir es niedlich finden. Es ist irgendwann erwachsen geworden. Dieser Jesus hat uns etwas zu sagen, nämlich die Botschaft von dem Wahrhaftigen, der ihn gesandt hat. Aber – wer will das schon hören, wer will das ernst nehmen, damals wie heute? Denn die Botschaft des wahrhaftigen Gottes fordert auch von uns Wahrhaftigkeit, wenn sie nicht scheitern soll.

In diesem Gottesdienst reichen wir nachher wieder von hier vorn ausgehend das Licht von Bethlehem durch die Reihen, dieses Zeichen des Friedens. „Mit Frieden gewinnen alle“ steht über der Friedenslichtaktion 2012 in Deutschland. Es geht um die kleine Flamme, die sich von der Geburtsgrotte Jesu in Bethlehem auf den Weg macht, um allen Menschen in der Advents- und Weihnachtszeit als Zeichen für Frieden und Völkerverständigung zu leuchten. Wir brauchen dieses kleine und gefährdete Licht, in unseren Wohnungen, in unserer Welt. Dieses Licht ist nicht nur Teil einer romantischen Verklärung, auf die wir uns immer wieder gerne einlassen, sondern es erinnert uns ganz elementar an die Friedensbotschaft, die mit Jesu Geburt verbunden ist: Friede auf Erden, Friede für diese Welt!

Die Geburtskirche selbst ist dafür ein wichtiges Zeichen und Mahnmal. Mitte dieses Jahres hat die Regierung der palästinensischen Autonomiegebiete des Westjordanlandes erfolgreich für die Geburtskirche den Status eines Weltkulturerbes beantragt und erhalten. Diese Kirche ist damit besonders geschützt, hoffentlich, und bleibt Sinnbild für einen gerechten und umfassenden Frieden in dieser für den Weltfrieden so entscheidenden Region. Mit Schrecken erinnern wir uns daran, dass sich vor gut 10 Jahren, im April 2002 während der zweiten Intifada, vierzig bewaffnete Palästinenser samt 160 Zivilisten für 39 Tage in der Geburtskirche verschanzten und diese Kämpfe zwischen ihnen und israelischen Militärs einige Schäden anrichteten. Der Geburtsort Jesu, ein Ort militärischer Auseinandersetzungen, hoffen wir, dass die friedensfördernden Teile der jüdischen, christlichen und muslimischen Religionen dazu beitragen, dass es endlich zu einer von allen Seiten akzeptierten und gerechten Lösung kommt. Der Botschaft und dem Wirken des „erwachsenen Jesus“ würde das allemal entsprechen.

Vielleicht haben Sie schon einmal vor einem mittelalterlichen Altar gestanden und eine Darstellung von Jesu Geburt betrachtet. Oder eine Marienstatue mit dem Jesuskind auf dem Arm. Oft hat dieser Jesus überhaupt nichts Kindliches an sich. Der Körper ist zwar der eines Kleinkindes, aber das Gesicht wirkt schon so erwachsen und ernst, so, als trüge das Kind bereits kurz nach seiner Geburt die Spuren des ganzen menschlichen Lebens. Als ruhte nicht nur die Herrschaft auf seiner Schulter, wie es bei Jesaja heißt -, sondern auch die Last der Welt.

Ihr kennt mich, spricht Jesus, ihr wisst woher ich bin. Und darum hat er es verdient, dass wir ihn nicht nur als das Kind in der Krippe sehen, sondern – auch an Weihnachten – die ganze Wahrheit bedenken.

Gott kommt als Kind zur Welt. Im Stall von Bethlehem schlägt er die Augen auf. In dieser Heiligen Nacht bitten wir Gott im Himmel, dass er auch in uns die Augen aufschlägt, dass auch in uns das Christuskind geboren wird und mit ihm Glaube und Hoffnung, Liebe und Frieden.

Amen.

Text: Rolf Domning/APK
Foto(s):