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Die Weihnachtspredigt 2005 des Stadtsuperintendenten Ernst Fey

Stadtsuperintendent Ernst Fey
Weihnachtspredigt Heilig Abend 2005 in der Dreifaltigkeitskirche, Köln-Ossendorf
Text: Jesaja 9, 1-6


Liebe Gemeinde!

I.
Jetzt ist er da, der Heilige Abend.
Ist er auch für Sie ein ganz besonderer Abend?
Immer noch erwartet und herbeigesehnt, auch in unserer Zeit, nicht nur von den Kindern, de-nen mitunter die Tage und Stunden unendlich lang werden. Sondern auch von den Erwachsenen. Ja, auch wir spüren: Dieser Abend ist anders, der Rhythmus der normalen Alltäglichkeit gerät durch ganz viele Dinge aus dem Takt. Da wird geplant, die Wohnung geschmückt. Da riecht es anders! Viele machen auch ein anderes Gesicht – nicht nur kritische Jugendliche wünschen sich, dass die Familien zusammen sind; manche kommen in die Kirche und lassen sich mit ihren Gedanken fallen. Sie hören und beten. Menschen versuchen, der Sehnsucht in ihrem Herzen ein Gesicht zu geben.
Treffen wir uns heute an der Krippe – Symbol für die Geburtsstätte der Christenheit – können wir da sagen: Wir haben richtig gewartet! Für mein Leben habe ich auf Gottes Zeichen gewartet?
Gesprochene Gedanken in einer Zeit, in der alles schneller gehen muss. Sofort, gleich, gestern – eine Zeit der Ungeduld und mancher Finsternis.

Also, wo beginnt Weihnachten?

Der Theologe Paul Tillich hat zu dieser Frage auf Gott bezogen einmal formuliert:“ Wir sind stärker, wenn wir warten, als wenn wir besitzen…“
Besitzen wir Gott oder Weihnachten?
Nein, es ist schon gut, wenn wir erwarten, wonach wir uns sehnen. Wenn wir nicht aufgeben, auf Frieden und Gerechtigkeit zu hoffen. Wenn der Dank für überstandene Lebenskrisen nicht vergessen wird. Wenn wir sehen, dass große Enttäuschungen uns am Leben nicht verzweifeln lassen. Wenn wir uns doch freuen können, dass Gott für uns da ist und er auf uns wartet.

Wo, also, beginnt nun Weihnachten?

II.
Für uns suchen wir auf diese Frage am heutigen Heiligen Abend beim Propheten Jesaja eine Antwort im 9. Kapitel, in den Versen 1 bis 16:
Jesaja: 9, 1-6
1 Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über de-nen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.
2 Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt.
3 Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians.
4 Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.
5 Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst;
6 auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er’s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth.

Und so frage ich noch einmal, den Worten des Propheten Jesaja hinterher: Wo beginnt Weih-nachten?

Weihnachten beginnt dort, wo Jubel und Freude sind, wo die Bedrückung und das Elend der Menschen vorüber sind, wo Zeichen der Gewalt im Feuer verbrennen, wo Frieden und Gerechtigkeit Einzug halten in unser Leben, wo Teilen und Helfen die Menschen fröhlich macht.
Diese Hoffnung schreibt Jesaja – wie damals, um 730 v. Chr., dem Volk Israel – uns heute in unsere Herzen: Was für eine wunderbare Vision des Propheten!

Vor Zeiten Menschen gesagt, die gerade einen Krieg hinter sich hatten und die schon wieder in Angst lebten. Das Volk Israel wurde von den Assyrern bedroht. Neue militärische Gewalt zog am Horizont auf. Israel als Spielball der Mächtigen, scheint ohnmächtig abwarten zu müssen.
In dieser Situation verkündet Jesaja seine Verheißung vom Licht in der Finsternis, von der Möglichkeit der Befreiung durch einen Retter aus dem Hause Davids, der von Gott gesandt und von Geburt an mit besonderen, außergewöhnlichen Heil und Frieden schaffenden Kräften ausgestattet ist, einer, der die Jochstangen und die Knüppel der Sklaventreiber wieder zerbricht, wie in der Geschichte in Ägypten schon einmal wirklich erfahren.

Das bedeutete damals Licht in der Finsternis, in dieser Hoffnung tat sich eine Helligkeit für die Menschen auf, dass sie in ihrem Leben, in ihren Gefühlen und in ihrem Verhalten verändert wurden.
Neue Erwartungen setzten neue Visionen frei.

III.
Und hier melden sie sich heute, all die vermeintlichen Ratgeber und Nothelfer, weil nicht we-nige Menschen sich vorkommen wie Leute, die im Dunkeln umhertappen. Weil ihnen der Sinn abhanden gekommen ist. Weil ihnen das Gespür verloren gegangen ist für das, was wirklich wichtig ist im Leben. Weil sie nichts mehr verstehen, wenn denn Entscheidungen von Politikern und Wirtschaftslenkern einfach nicht mehr nachzuvollziehen sind: Da etwa, wo – trotz Gewinnen in historischen Rekordhöhen – Zehntausende von Arbeitsplätzen vernichtet werden.
Unsicherheit, Mutlosigkeit und Zukunftsangst sind beherrschende Themen, und sie sind zu benennen. Und zu der Besorgnis tritt die Wut – über den rücksichtlosen Umgang mit unseren ökonomischen und ökologischen Lebensgrundlagen, über die unersättliche Gier nach Profit jener Geschäftemacher, die verdorbene Lebensmittel verkaufen. So darf es doch nicht weitergehen. Alle Versuche der Beschönigungen müssen wirklich ins helle, kritische Licht gerückt werden!

Wie menschenverachtend gegen das jüdische Volk, ja gegen viele Staaten, kann sich ein iranischer Staatspräsident vor aller Welt äußern und vor Ignoranz entblöden, den Holocaust zu leugnen? Was wird denn erst der verblendete und fanatisierte Mob auf der Straße schreien und tun? Welche tiefe Finsternis tut sich da auf?
Wo sind die Schreie des Protestes?? Nicht nur, weil Weihnachten ist und wir die Geburt eines Kindes feiern, das jüdische Eltern hatte!
Wann hört der sinnlose Terror im Irak und in anderen Ländern endlich auf?
Wo sind die Worte der Hoffnung und der Versöhnung? Wo sind die sichtbaren Zeichen gegen die Welt der dröhnenden Stiefel und der immer noch durch das Blut Unschuldiger geschleifter Mäntel?

Wo, bitte, beginnt in diesen Zeiten Weihnachten?

Dort, wo wir Menschen in all‘ dem Wahnsinn begreifen, dass wir die intensive Erinnerung an Gottes Kommen in dieser Welt so dringend brauchen – Erinnerung an seine Liebe, an seine Versöhnung, an seine Barmherzigkeit.

Weihnachten ist die Frage an uns, durch das Gewühl der oft lieb gemeinten Geschenke: „Mensch, wie hältst du es mit deiner Hoffnung auf Gott – in all‘ dem Getriebe der Welt? Wie lässt du dich hineinnehmen in ein Geschenk, dass du dir nicht selber machen kannst?“

Weihnachten ist dort, wo wir Menschen erkennen, dass es ein bewegendes Fest ist, eine Be-wegung für unsere Herzen, auf dass wir verstehen, woher wir kommen und entdecken: Dahin gehöre ich! Auf dass wir spüren, was Gott für uns Menschen möchte, und was in meinem Leben auch zurücktreten kann!

Weihnachten ist die Aufhebung der Orientierungslosigkeit und die Freude, vom offenen Himmel Gottes zu hören. Weihnachten ist die Erinnerung an das Kommen Seines Sohnes in unsere Welt, der für mich bezeugt: Auch Du bist in Gott geborgen. Alles Künstliche kannst Du ablegen, Mensch, weil Gott Dich in ein Leben in Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit führen möchte – mach‘ DU es spürbar im täglichen Leben, in der Politik, im geschäftlichen und im persönlichen Miteinander.

Darum reduziert sich Weihnachten nicht, wie die Zyniker und Kritiker nicht aufhören zu verbreiten, auf die Frage:“ Was schenken wir bloß dem, der schon alles hat?“

Wenn der Himmel sich Weihnachten für uns öffnet, kann sich auch unser Herz öffnen für Trauriges und Fröhliches, für Hilfreiches und Liebevolles.
In der Geburt dieses Kindes Jesus – in der Ärmlichkeit seiner Ankunft auf dieser Welt – zeigt sich die andere Welt Gottes.
Ein Pfarrer hat einmal Heilig Abend Kinderschuhe und Soldatenstiefel auf die Kanzel gestellt und gefragt: „Wem trauen wir auf lange Sicht mehr zu??“

IV.
Und da ist – für mich – auch noch die Frage: „Wie geht Weihnachten weiter?“

Weihnachten geht weiter, weil Sie alle da sind – hier in der Kirche und die vielen Menschen in den anderen Gotteshäusern am Heiligen Abend. Sie alle, mit allen Ihren Fragen und Wünschen, mit Ihren Hoffnungen und Gebeten, ja auch mit Ihrer Treue zu dem Gott, der Licht in diese Welt gebracht hat.

Darum wünsche ich mir mehr Mut, dass bei uns Christinnen und Christen fröhlich ihren Glauben dort vertreten, wo sie leben und arbeiten, und sich für Gottes Wahrheit einsetzen.

Darum wünsche ich mir, dass für Jugendliche etwas „rüberkommt“ von dem mutmachenden Glauben, der keinen einzigen verloren gibt.

Weihnachten ist nicht der Endpunkt der Geschichte Gottes mit uns Menschen, sondern ein ewiger Erinnerungspunkt für ein wachsendes Geschenk der Nähe Gottes, für seine spürbare Hoffnung.
Es hat einmal jemand gesagt: „Hoffnung ist die Fähigkeit, die Musik der Zukunft zu hören. Glaube ist der Mut, in der Gegenwart danach zu tanzen.“

Wenn denn Weihnachten diese Seite des Glaubens in uns zum Schwingen brächte… – es wäre ein wunderbarer Tanz, in Gottes Namen diese Welt ins Gebet zu nehmen und nach der Wahrheit zu fragen und die Achtung des Menschen zu suchen.
Vor einigen Tagen ist der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch gestorben, ein praktizierender e-angelischer Christ, und er hat in wunderschöner Weise diesen Gedanken in ein Gedicht hineingeschrieben:

Mit fester Freude
Lauf ich durch die Gegend
Mal durch die Stadt
Mal meinen Fluss entlang
Jesus kommt
Der Freund der Kinder und der Tiere
Ich gehe völlig anders
Ich grüße freundlich
Möchte alle Welt berühren
Mach dich fein
Jesus kommt
Schmück dein Gesicht
Schmücke dein Haus und deinen Garten
Mein Herz schlägt ungemein
Macht Sprünge
Mein Auge lacht und färbt sich voll mit Glück
Jesus kommt
Alles wird gut.

Darum traue ich den Kinderschuhen, wie dem Kind in der Krippe, auf lange Sicht mehr zu, weil in ihnen neues Leben und neue Hoffnung symbolisiert sind. Daraus können wir unsere Freude schöpfen, und so geht für mich Weihnachten weiter – gehen Sie mit?

Amen.

Text: Fey
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