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Die Stationen auf dem Lebensweg der Dorothee Sölle: Führung der AntoniterCityTours mit ihrem Sohn Martin durch Köln

Rastlos ist wohl der Begriff, mit dem das Leben von Dorothee Sölle am ehesten zu beschreiben ist. Als Grenzgängerin zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen war sie beliebt wie umstritten, wurde sie verehrt und verdammt. „Hinabgefahren zur Sölle“ war nicht die schlimmste Schmähung, die die streitbare Theologin erfuhr. Ihre Bewunderer und Bewunderinnen stammten aus den Reihen der Feministinnen und der Anhänger der Befreiungstheologie in Lateinamerika.

Stationen
Das alles war der Tochter aus guten Hause nach ihrer Geburt am 30. September 1929 in Köln-Marienburg nicht an der Wiege gesungen worden. Ihr Vater war der bekannte Arbeitsrechtler Hans Carl Nipperdey, der zunächst in Jena und ab Mitte der 20er Jahre an der Kölner Universität lehrte. „Er vertrat die neue Auffassung, dass man das Arbeitsrecht nicht nur unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten sehen durfte“, berichtete Martin Sölle, Sohn von Dorothee, bei einem Spaziergang der AntoniterCityTours unter der Überschrift „Wie ich Köln sehe“. Kurz vor dem 80. Geburtstag seiner Mutter, die am 25. April 2003 gestorben ist, erinnerte Sölle an ausgewählten Stationen an das Leben der engagierten Theologin.

Die Großeltern
„Ich lege Wert darauf, dass der Sohn nicht als Annex seiner prominenten Mutter auftritt, sondern als ganz und gar authentische Person über die Kölner Geschichte spricht“, erklärte Günter Leitner, Stadtführer der AntoniterCityTours und moderierender Begleiter Sölles, der von der ambivalenten Haltung seines Großvaters gegenüber den Nazis erzählte: „Einerseits war er als Vierteljude nie ganz ungefährdet. Die Familie hat auch eine jüdische Frau in ihrem Haus versteckt, die später tragischerweise bei einem Bombenangriff ums Leben kam.“ Der Großvater war areligiös und wollte während der NS-Diktatur aus der Kirche austreten. Das wurde ihm aber, so sein Enkel, von der Großmutter mit den knappen Worten „Jetzt doch nicht“ ausgeredet. Gleichzeitig war Hans Carl Nipperdey insofern für das Regime tätig, als er das Arbeitsrecht mit der vorherrschenden Ideologie in Übereinstimmung zu bringen versuchte. „Er war sicher kein Scharfmacher“, so Sölle: „Aber in seinen Texten von damals findet man etwa das Wort Arier durchaus.“ Das schadete Nipperdeys Karriere im Nachkriegsdeutschland nicht. Von 1954 bis 1963 war er erster Präsident des Bundesarbeitsgerichts in Kassel.

Befreiung und Studium
Dorothee Nipperdey besuchte in den 30er Jahren zunächst die Volkschule an der Annastraße in Raderberg, bevor sie auf die Kaiserin-Augusta-Schule wechselte, die sie mit dem Abitur verließ. „Den 8. Mai 1945 erlebte sie wie viele andere als nationale Katastrophe. Der Tag erschien zum einen als Befreiung, aber auch als Untergang Deutschlands. Da dachte meine Mutter wohl auch ein bisschen nationalistisch“, berichtete Martin Sölle. Nach dem Abitur studierte seine Mutter in Köln, Freiburg und Göttingen Literaturwissenschaften, Philosophie und Theologie. „Die Hinwendung zur Theologie hat die Eltern überrascht. Die Familie hat eigentlich einen höchstens minimalen theologischen Bezug.“ 1954 legte sie ihr Staatsexamen ab und heiratete den Maler Dietrich Sölle. Sie trat eine Stelle als Religions- und Deutsch-Lehrerin im Genoveva-Gymnasium Kölns an. Die Familie zieht in ein später erweitertes Reihenhaus am Pauliplatz in Braunsfeld.

Begegnungen
Mit Sölle hatte Dorothee drei Kinder. Erstgeborener ist Martin, der 1956 zur Welt kam. Die Ehe zwischen ihr und Dietrich wird 1965 geschieden. 1957 wird Tochter Michaela geboren, 1961 Caroline. Dorothee Sölles Karriere nimmt langsam Fahrt auf. Anfang der 60er Jahre verfasst sie erste journalistische Beiträge für den WDR und diverse Zeitschriften. Darüber hinaus nimmt sie Lehraufträge an der Technischen Hochschule Aachen und der Universität zu Köln an. Schließlich wird sie Lehrbeauftragte der Mainzer Universität, wo sie unter anderem auf Eckart Schubert trifft, später Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Köln-Mitte. „Meine Mutter fuhr damals zwei Tage die Woche nach Mainz, um dort ihren Lehrauftrag wahrzunehmen. Sie war dann eine Nacht fort“, erinnert sich Martin Sölle. In jene Zeit fällt auch der Beginn der engen Freundschaft seiner Mutter zu Luise Schottroff, die sich beispielsweise mit ihren Beiträgen zur feministischen Befreiungstheologie einen Namen gemacht hat. Schottroff ist Herausgeberin der „Bibel in gerechter Sprache“. Auch Sölles Freundschaft mit Heinrich Böll beginnt Mitte der 60er Jahre.

Kein „blanker Antiamerikanismus“
Eines der einschneidendsten Erlebnisse in der Biographie Dorothee Sölles war sicher der Deutsche Katholikentag in Essen. Vor dem Hintergrund der Tet-Offensive während des Vietnam-Krieges wollte der Ökumenische Arbeitskreis Köln, zu dem neben Sölle auch Fulbert Steffensky, Böll und Egbert Höflich gehörten, einen „politischen Gottesdienst“ feiern. Die Organisatoren terminierten diesen Gottesdienst auf 23 Uhr in der Kirche St. Martin. Daraus entstand der Begriff „Politisches Nachtgebet“, die Aktivisten und Aktivistinnen nannten sich „Nachtbeter“, wie Sölle erklärte. „Erste Thema dieses Nachtgebetes waren der Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die damalige CSSR genauso wie der Vietnamkrieg und die damit verbundene Verantwortung der Christen“, erzählte Leitner. Es sei eben nicht darum gegangen, einen blanken Antiamerikanismus zu vertreten. Man habe in dem politischen Nachtgebet den sowjetischen Imperialismus ebenso abgelehnt wie den amerikanischen.

Mit Kerzen gegen „Machthaber“
Nach dem Kirchentag sollten die Nachtgebete in Köln fortgesetzt werden. Als Ort hatte man sich die Jesuitenkirche St. Peter ausgeguckt. Da hatte man allerdings die Rechnung ohne Joseph Kardinal Frings gemacht. Der verbot das Nachtgebet kurzerhand und kraft seiner Autorität. Die hätte Joachim Beckmann, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR), im Jahre 1968 wohl auch gern besessen. Er konnte allerdings nichts ausrichten gegen den Beschluss des Presbyteriums der Evangelischen Gemeinde Köln, die „Nachtbeter“ in die Antoniterkirche einzuladen. Beckmann wusste sich aber einig mit dem Kardinal: „Ich beglückwünsche den Kardinal, dass er das Recht hat, so etwas in der Kirche zu verbieten“, ließ der oberste Repräsentant des presbyterial-synodalen Systems der EKiR in jenen Tagen verlauten.

Irgendwann erlosch das Feuer der „Nachtgebete“
„Beim ersten politischen Nachtgebet in Köln drängten sich 10.00 Menschen in die Antoniterkirche“, erinnerte sich Leitner, der damals dabei war. „Wir saßen auf dem Boden, überall brannten Kerzen, und alle hatten Angst, dass eine umfiel.“ „Die Themen waren vielfältig. Es ging zum Beispiel um so genannte ,Fürsorgezöglinge‘, Thematiesiert wurden aber auch die amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis, die wirtschaftliche Mitbestimmung, die Baader-Meinhof-Gruppe und der Paragraf 218“, ergänzte Sölle. Aber das Feuer der politischen Nachtgebete loderte nicht ewig. „Das hatte sich irgendwann überlebt“, bilanzierte Sölle. Seine Mutter, die 1969 den „politischen Nachtbeter“ Fulbert Steffensky, einen ehemaligen Benediktinermönch, geheiratet hatte, und nun von 1975 bis 1987 eine Professur am Union Theological Seminary in New York innehatte, war längst eine prominente Person geworden. Sie engagierte sich in der Friedensbewegung der 80er Jahre, hielt Vorträge, schrieb aber unter anderem auch Gedichte. Während einer Vortragsreihe 2003 starb sie nach einem Herzinfarkt.

Die lange Nacht der Dorothee Sölle
Am Mittwoch, 30. September, wäre sie 80 Jahre geworden. Anlässlich dieses Geburtstages laden die evangelische Melanchthon-Akademie, die AntoniterCityKirche und der Frauengeschichtsverein ein zur „Langen Nacht der Dorothee Sölle“ ein: In der Antoniterkirche an der Schildergasse 57 – dem Ort, an dem Sölle ihr legendäres politischen Nachtgebet initiiert hat, werden ab 18 Uhr ihre theologischen, politischen und poetischen Texte zu Gehör gebracht, die bis heute nichts an Aktualität eingebüßt haben. Zu der Collage gehören außerdem noch Musik, Zeitzeugeninterviews und Bilder

Vom Jurastudium zum Buchhandel
Ihr Sohn Martin studierte zunächst auch Jura wie so viele in seiner Familie, wandte sich dann aber dem Buchhandel zu. Er ist heute Teilhaber des „anderen Buchladens“ in Köln mit Filialen in einigen Stadtteilen.

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Rahmann