Rund 300 Gäste begrüßte Stadtsuperintendent Ernst Fey beim Jahresempfang des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region in der vollbesetzten Kartäuserkirche zu Beginn des Kirchenjahres 2007. Gekommen waren unter anderem Oberbürgermeister Fritz Schramma, Dechant Rainer Fischer, Hannelore Bartscherer, Vorsitzende des Katholikenausschusses, Regierungspräsident Hans-Peter Lindlar, Manfred Kock, Altpräses der Evangelischen Kirche im Rheinland, und der langjährige Oberbürgermeister Dr. Norbert Burger. Fey wünschte sich, dass der Deutsche Evangelische Kirchentag in Köln im kommenden Juni gemäß dem Motto zu einer „lebendigen, kräftigen – ja und auch: schärferen Zeitansage wird, allen voran in der Frage der Gerechtigkeit in einer globalisierten Welt, in der die Verantwortung und Haftung für lebensverneinende und lebens- und arbeitsvernichtende Prozesse bei niemandem mehr festgemacht werden kann, bei keiner Person, keiner Organisation, keinem Staat mehr, so scheint es.“
Finanzielle Zusagen
machte der Oberbürgermeister. Für den Deutschen Evangelischen Kirchentag im Juni in Köln werden zwei Millionen Euro als Zuschuss in den städtischen Haushalt eingestellt. „Damit behandeln wir Euch genauso wie den Weltjugendtag. Das ist doch eine faire Geste“, erklärte Fritz Schramma. Der Kirchentag sei nach dem Weltjugendtag und der Fußball-WM in den beiden Jahren zuvor das herausragende Ereignis im kommenden Jahr. Schramma verwies auf die wichtige Rolle der Religionen und das Engagement der Kirchen in der Gesellschaft. Dass er die Kirchen unterstütze, machte er an zwei Beispielen deutlich: Die Einberufung des Rats der Religionen und die Unterzeichnung der Friedensverpflichtung im Rathaus.
Über die Zukunft der christlichen Kirchen
sprach der Wiener Pastoraltheologe Professor Paul Zulehner. „Die Sehnsucht boomt, aber die Kirche schrumpft“, lautete das erste Ergebnis seiner Analyse. Dabei sei die Kirche die erste Adresse für „spirituelle Pilger“. Er empfahl „mehr Taizé und eine Kirche, in der man zusammenkommt, um in Gott einzutauchen“. Es könne in Gottesdiensten nicht immer nur darum gehen, Moral zu vermitteln. Im Übrigen soll die Kirche Spiritualität vermitteln und nicht immer nur vom – meistens akademisch gelehrten – Wort abhängen. Sie soll Kirche der „Heilung“ sein: „Die christliche Kirche muss sich in Nachfolge des Heilands als Heil-Land präsentieren.“ Darüber hinaus gebe es einen politischen Gott, aber keinen politisierenden. Die Kirche müsse Mystik und Politik zusammenhalten. In ihren Reihen dürfe es nicht nur Frömmler oder Sozialarbeiter geben.
Es schreie zum Himmel,
wie die Gesellschaft umgehe mit Langzeitarbeitslosen, Kranken und Kindern, die keine Lobby hätten. Zulehner zitierte Hans Magnus Enzensberger: „Selbst in reichen Gesellschaften kann morgen jeder von überflüssig werden. Wohin mit ihm?“ In der Arbeitsgesellschaft werde der überflüssig, der keine Arbeit habe. In der Konsumgesellschaft werden der überflüssig, der nicht kaufen könne. In der Wissensgesellschaft werde der überflüssig, der kein Wissen anhäufen könne. Und in der Biowissenschaftsgesellschaft werde überflüssig, wer die falschen Gene habe. Und schließlich in der Überalterungsgesellschaft werde der überflüssig, der zu lange zum Sterben brauche. In Österreich würden Patienten in den sechs Wochen vor ihrem Tod 43 Prozent aller lebenslang von ihnen eingezahlten Krankenkassenbeiträge „kosten“. Da denke mancher bereits darüber nach, ein „sozialverträgliches Frühableben“ zu ermöglichen: „Man sagt im Namen der Freiheit und meint im Namen des Geldes.“
„Kultur der Angst“
Zulehner wies auch darauf hin, dass die Selbstmordrate unter Langzeitarbeitslosen sprunghaft gestiegen sei. Aber auch die Gesunden mit Arbeitsplätzen seien gefährdet. Burn-Out mit den damit einhergehenden Depressionen sei zur teuersten Volkskrankheit geworden. Die Menschen litten nicht mehr unter Repressionen sondern unter Depressionen. Das sei ein großes Problem, nämlich die Bedrohung von Innen. Zulehner diagnostizierte eine „Kultur der Angst“ in den westlichen Gesellschaften, die Menschen flüchteten in Drogen und Alkohol. Gleichzeitig erlebe man die Wiederkehr der Spiritualität in der säkularisierten Welt. Und da sei eben die Kirche gefragt. Denn: „Wer einmal in Gott eintaucht, taucht unmittelbar neben den Armen der Welt wieder auf.“
Foto(s): ran