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„Die Kraft des Schweigens – Spirituelle Erkundungen in der Kölner Kartause“

„Orte der Kraft“ lautet eine neue Reihe im Programm der AntoniterCityTours. Damit werden die von der evangelischen AntoniterCityKirche unter dem Motto „Köln mit anderen Augen“ angebotenen Stadtführungen um eine weitere ergänzt. Innerhalb der neuen Themenfolge geht es um die spirituelle Erkundung vornehmlich von sakralen Gebäuden mit einer „besonders starken Aussagekraft“. Stadtführer Manfred Loevenich rückt jeweils einen anderen Aspekt christlicher Spiritualität ins Zentrum der Betrachtung. Etwa „eine menschliche Grundhaltung, ein zentraler Glaubensinhalt oder ein christliches Symbol“. Kraft derer möchte der Kunsthistoriker und Theologe „den Glauben lebendig werden lassen“. In einem inter-konfessionellen Rahmen setzt er so „Schlaglichter“.

Paradox, über das Schweigen zu sprechen
Den Beginn der in diesem Halbjahr dreiteiligen Reihe markierte nun die ehemalige Kartause und die 1393 geweihte Kartäuserkirche in der Südstadt. Wo 1334 die Kölner Niederlassung des Einsiedlerordens gegründet wurde, versuchte Loevenich die „Kraft des Schweigens“ zu vermitteln. Zutreffend schickte er voraus, dass es „eigentlich ein Paradox“ sei, über das Schweigen zu sprechen. Tatsächlich wurde nicht geschwiegen: Zur Sprache kamen die besondere Lebensweise, die tiefe Frömmigkeit der Kartäuser und die Historie ihres Ordens. Insbesondere nahm der Stadtführer die Geschichte der mit zahlreichen Schenkungen und Stiftungen bedachten Kölner Niederlassung in den Blick. Schließlich gab es für die knapp 20 Teilnehmenden meditative Momente durch Texte des Theologen Fulbert Steffensky und von dem ehemaligen Trappistenmönch Bernardin Schellenberger.

Weltweit gibt es noch 500 Kartäuser
Der Schweigeorden geht zurück auf Bruno von Köln (um 1030 bis 1101). Orientiert an den altchristlichen Wüstenvätern, siedelte Bruno die erste Eremiten-Gemeinschaft 1084 im entlegenen Hochgebirgstal Chartreuse an. Diesem Gebiet nördlich von Grenoble verdankt der Orden auch seinen späteren Namen. Kennzeichnend ist für seine Mitglieder der Wunsch nach Weltabgeschiedenheit. „Die Kartäuser suchten ganz bewusst die Einsamkeit“, so Loevenich. „In ihrer Radikalität hatten sie keine Verbindung nach außen. Die Kartäuser lebten als Einsiedler und trotzdem in einer christlichen (Zweck-)Gemeinschaft. Dabei kamen sie nur zu wenigen Zeiten mit den anderen zusammen und widmeten sich intensiv dem Gebet und Studium.“ Daran habe sich bis heute nichts geändert. Laut Loevenich gibt es weltweit noch 500 Kartäuser, davon sind 150 weiblich. Die einzige Niederlassung in Deutschland ist Marienau, gelegen in der Nähe des oberschwäbischen Leutkirch.

Priester-Mönche leben in Einzelzellen
Angesichts der sonst üblichen Abgeschiedenheit der Kartausen charakterisierte Loevenich die Gründung der Kölner Einrichtung innerhalb der Stadt, wie etwa auch in London, als „sehr ungewöhnlich“. Der Lebensbereich der eigentlichen Mönche, der Patres oder Priester-Mönche, die bis auf wenige Ausnahmen „immerwährendes Stillschweigen“ bewahrten, beschränkte sich überwiegend auf ihre Einzelzellen. Diese mit ummauerten Gärtchen versehenen kleinen Hütten waren um den großen Kreuzgang angeordnet. Um die wirtschaftliche Unterhaltung des Klosters und die Versorgung der Patres kümmerten sich die Fratres, die Laienbrüder. Sie waren zuletzt untergebracht in dem Mitte des 18. Jahrhunderts errichteten Dreiflügel-Bau westlich der Kirche.

Zweckentfremdung durch preußisches Militär
Unter der französischen Besatzung Kölns endete auch die Existenz des Kartäuserklosters. 1802, im Jahr der endgültigen Auflösung aller hiesigen Stifte und Klöster, die mehrheitlich auch eine Zerstörung ihrer Bauten bedeutete, diente die Einrichtung längst als Militärlazarett. Das preußische Militär setzte diese Zweckentfremdung fort. Zusätzlich brachte es hier, verbunden mit erheblichen Eingriffen und Zerstörungen von Gebäuden, ein Depot und einen Pferdestall unter. 1922 wurde die Kartäuserkirche den Kölner Protestanten übertragen. Der jüngste, aus dem Barock stammende Klosterbau dient seit 1960 als „Haus der Evangelischen Kirche“ und Verwaltungssitz des heutigen Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region.

Besonderer Kraftort „Kirche“
Mittels einer kurzen Passage aus dem Buch „Schwarzbrotspiritualität“ des einstigen Benediktiners und später zum Protestantismus konvertierten Theologen und Religionspädagogen Fulbert Steffensky verwies Loevenich auf den besonderen Kraftort Kirche. „Der Kirchenraum arrangiert uns und bringt uns in eine Rolle.“ Anders als zuhause, so Steffensky, seien wir dort Beter und Hörer, Singende und Nachdenkliche. „Räume bauen an unserer Innerlichkeit.“ Durch die Ruhe der Räume würden wir ruhiger oder auch unruhiger. „Räume erbauen uns, wenn wir uns erbauen lassen“, stellt Steffensky fest, und fragt: „Wozu brauche ich eine Kirche? Der heilige Raum ist der fremde Raum, nur in der Fremde kann ich mich erkennen.“

„Warum dann das Schweigen?“
Lebensaufgabe der Kartäuser sei es, an den Namen Gottes zu erinnern, und auf die Kraft der Gebete zu bauen, rekapitulierte Loevenich. „Warum dann das Schweigen?“, fragte der 42-Jährige, der von 1984 bis 1988 Benediktiner war. Warum der Rückzug in die Stille? „Er ist eine Möglichkeit der Fortentwicklung und Reifung.“ Bereits die ganz frühen Eremiten hätten sich dazu entschieden, erst sich selbst kennenzulernen, bevor sie Gott erlebten. Oder anders formuliert: „Nicht reden dürfen, wollen oder können, kann auch bedeuten, hören zu dürfen“.

„Habe den Mut zu horchen“
Die Bedeutung des Hörens in seiner intensiven Form untermauerte der Stadtführer durch eine Textpassage von Bernardin Schellenberger. Der frühere Trapistenmönch und spätere Pfarrer empfiehlt: „Fange mit dem Horchen an.“ So sei Benedikts Ruf „Horche!“ als Weckruf zu verstehen. „Heute sind wir Dauerhörer“, benennt Schellenberger die (Fehl)Entwicklung, sich beide Ohren zuzustöpseln, um „Worthülsen zu erliegen“. Es gehe darum, in ein echtes Horchen zu kommen. „Habe den Mut zu horchen“, so Schellenberger, „nimm dir Zeit dafür, tue es lange, halte es aus.“

Das Leben radikal ändern
„Das ist der Grund, weshalb jemand Kartäuser geworden ist“, erklärte Loevenich. „Das tiefe Bedürfnis, die Schrift als Anruf persönlich zu nehmen. Dieses eine, von Jesus angesprochen zu werden, ist es wert, mein Leben radikal zu ändern.“ Damit hätten sie in den alten Traditionen etwas neu entdeckt, „was den Menschen ganz unmittelbar anspricht“, verwies Loevenich auf „die Weisheit der Wüstenväter“. Die frühen Eremiten hätten sich in einer Weise verändert, dass sie vielfach zu Beratern für andere geworden seien, zu gefragten „Therapeuten“ – lange vor der modernen Psychoanalyse.

Zwei weitere Termine folgen:
Fortgesetzt wird die Reihe „Orte der Kraft“ am Sonntag, 27. April, 15 Uhr, mit „Die Kraft des Lichtes“ in der evangelischen Stephanuskirche in Köln-Riehl, Brehmstraße 6. Am Sonntag, 8. Juni, 15 Uhr, geht es in St. Maria im Kapitol, Kasinostraße 4-8, um „Die Kraft der Begegnung“.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich