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Die Kinder auf dem Schulhof nebenan: Neue Ausstellung erzählt die Geschichte der Jawne, des einzigen jüdischen Gymnasiums im Rheinland

„…Es gab kaum einen Unsinn, den wir nicht gemacht haben. Ein Hauptvergnügen der parallelen Mädchenklasse war, die Tüten, mit denen ihre Butterbrote eingepackt waren, mit Wasser zu füllen und auf uns zu schmeißen. “ Walter Braun, Schüler der Jawne von 1933 bis 1938, erinnert die Jahre auf dem Gymnasium an der Sankt Apernstraße 29-31 in einem Interview als eine Zeit, in der das Spielen auf dem Schulhof und die ersten Begegnungen mit dem anderen Geschlecht im Mittelpunkt standen. Aber Walter Brauns Schulzeit, auch das gehört zu seiner Erinnerung, war von einer Ausnahmesituation geprägt: „Die Jawne war damals die einzige Möglichkeit. Mein Bruder ging noch auf das Gymnasium in der Lindenstraße, aber zu meiner Zeit konnten jüdische Kinder nicht mehr auf nicht jüdische Schulen gehen. Die Jawne war das einzige jüdische Gymnasium in der ganzen Umgebung.“


Lernort zur Geschichte jüdischer Kindheit und Jugend
Die Erinnerungen von Walter Braun und anderen ehemaligen Schülerinnen und Schülern des einzigen jüdischen Gymnasiums im Rheinland gehören zu einer neuen Ausstellung, die im Februar in der Kreishausgalerie, Albertusstraße 26, Köln-Innenstadt, eröffnet wurde. Unter dem Titel „Die Kinder auf dem Schulhof nebenan. Zur Geschichte der Jawne 1919-1942″ führt sie mitten hinein in einen Schulalltag, der Jugendlichen heute fremd und vertraut zugleich ist. In dem großen Galerieraum, der die Ausstellung beherbergt, soll ein Lernort zur Geschichte jüdischer Kindheit und Jugend im Rheinland entstehen. Wer die Ausstellung besucht, steht auf einem Teil des ehemaligen Schulhofs der Jawne und auf einem Gelände, das seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ein Zentrum jüdischen Lebens in Köln bildete. Hier, an der Sankt- Apernstraße 29-31 stand eine Synagoge der jüdisch orthodoxen Religionsgesellschaft Adass Jeschurun, ein Jüdisches Lehrerseminar und seit 1907 auch eine private jüdische Volksschule. 1919 gründeten die orthodoxen Rabbiner Emanuel Carlebach und Benedict Wolf hier das ‚Reformrealgymnasium‘ Jawne. Die kurze Blütezeit als moderne und bewusst jüdische Schule fand im Nationalsozialismus ein jähes Ende.

Fotos und Dokumente aus der Sammlung Corbach
Die Fotos und Dokumente, die in der Ausstellung gezeigt werden, stammen zum größten Teil aus der Sammlung Corbach, die sich seit 2006 im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln befindet. Dieter und Irene Corbach hatten sich seit den 1980er Jahren für die Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte in Köln eingesetzt und auf der Grundlage jahrelanger Recherchen eine erste Ausstellung „Die Jawne zu Köln“ erstellt. Nach dem Tod ihres Mannes führte Irene Corbach als Synodalbeauftragte im Kirchenkreis Köln-Rechtsrheinisch für das christlich-jüdische Gespräch die Arbeit fort und hielt den Kontakt zu Jawne-Schülern in aller Welt.

Fragen an einen ehemaligen Schüler der Jawne
Die Besucherinnen und Besucher, die zur Ausstellungseröffnung kammen, konnten die Geschichte der Jawne aus der Sicht eines ehemaligen Schülers hören: Henry Gruen, Jawne-Schüler bis 1938, ließ in seiner ungemein lebendigen und bewegenden Erzählung den Schulalltag der 1930er Jahre sichtbar werden. Sein Bericht vermittelte, wie die Bedrohung durch NS-Terror und radikalen Antisemitismus den Schulalltag überschattete. Henry Gruen schilderte aber auch, wie Lehrerkollegium und Direktor bis zuletzt versuchten, den Jugendlichen Wissen zu vermitteln und sie vor der Welt außerhalb der Schule zu schützen.

Gestaltung lag bei der Künstlerin und Designerin Britta L.QL
Schüler und Schülerinnen der Jawne, die auf dem Schulhof herumtoben oder für ein Klassenfoto stillhalten müssen, stehen im Zentrum der Ausstellung. Auch an das Lehrerkollegium wird erinnert und an die Geschichte des letzten Direktors, Dr. Erich Klibansky, der seine Schüler ins Ausland zu retten versuchte, bevor er selbst mit seiner Familie ein Opfer des Holocaust wurde. Ziel der Neukonzeption war es, die Geschichte der Jawne konzentriert und doch anschaulich und lebendig nachzuzeichnen. Die Gestaltung lag bei der Künstlerin und Designerin Britta L.QL, die schon mehrere Ausstellungen für das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln konzipiert hat. Das für den Jawne-Raum entworfene farbliche Orientierungssystem und die Dokumente ‚zum Anfassen‘ machen die Geschichte der „Kinder auf dem Schulhof nebenan“ insbesondere auch für junge Menschen verstehbar. Die Evangelische Kirche im Rheinland trug mit einer Ko-Finanzierung dazu bei, dass die Ausstellung realisiert werden konnte.

Im Laufe des Jahres 2007 soll es eine kontinuierliche Erweiterung um Video- und Tonstationen geben; zum Teil ist eine zweisprachige Fassung in Deutsch und Englisch schon umgesetzt. Im Galerieraum Jawne sind zudem weitere Wechselausstellungen und Veranstaltungen zur Geschichte jüdischer Kindheit und Jugend geplant.

Die Öffnungszeiten sind:
dienstags und donnerstags 11 bis 14 Uhr; sonntags 12 bis 16 Uhr und nach Vereinbarung; Galerieraum Jawne am Erich-Klibansky-Platz in der Kreishausgalerie, Albertusstraße 26, Köln-Innenstadt, Internetadresse: www.jawne.de; E-Mail: info@jawne.de

Text: Cordula Lissner
Foto(s): Axel Joerss