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Die heilende Kraft evangelischer Frömmigkeit suchen

Der Lebensstil, nicht mehr allein die Kirchenmitgliedschaft, wird es sein, was den evangelischen Christen künftig immer stärker ausmachen wird, ist Stephan Sticherling von der Evangelischen Kirchengemeinde Altenberg/Schildgen überzeugt. Übungen für alle, die an diesem Lebensstil interessiert sind, wird der Pfarrer deshalb in dem Seminar „7 Werte – 7 Rituale“ anbieten. Im Interview erläutert der 59-jährige Pfarrer sein Vorhaben.

Welche Erfahrungen und Überlegungen liegen „7 Werte – 7 Rituale“ zugrunde?
Stephan Sticherling: Ich bin vielen Menschen begegnet, die sich als evangelische Christen bezeichnen. Obwohl sie aus der Kirche ausgetreten sind. Ihr Evangelischsein machen sie an der Taufe fest. Demgegenüber verliert die Kirchenmitgliedschaft offenbar an Bedeutung. Was wiederum nicht heißt, dass evangelische Identität oder der Bezug zu evangelischen Traditionen aufgegeben wird.

Was schließen Sie aus der Nähe zum Glauben bei gleichzeitiger Kirchenferne?
Stephan Sticherling: Die Menschen haben theologisch betrachtet vollkommen recht. Das Sakrament der Taufe ist tatsächlich die Wurzel des evangelischen Christen, nicht seine Mitgliedschaft in der Kirche. Wenngleich die evangelische Kirche natürlich auch ein "Wirtschaftsunternehmen" ist und Mitglieder braucht, um wirken zu können.

Wo setzten Sie bei der Einstellung der Menschen an, um Ihr Angebot zu entwickeln?
Stephan Sticherling: Ich überlegte, welche Möglichkeiten es gibt, als getaufter evangelischer Christ in der Gesellschaft sichtbar zu werden, sich auszudrücken und seine Überzeugungen zu leben. Mein Ziel ist es, den Teilnehmern an meinem Projekt Ausdrucksformen nahezubringen. Die Kernfragen lauten: Wie lebe ich? Worauf kann ich mich verlassen? Wie gestalte ich mein Leben? Wie verhalte ich mich verantwortlich gegenüber mir selbst und meinen Mitmenschen? Die Lebenshaltungen, in der die Taufe ihren Ausdruck findet, möchte ich in „7 Werte – 7 Rituale“ einüben.

Rituale verbinden Christen eher mit der katholischen Kirche – worin sehen Sie das Evangelische?
Stephan Sticherling:
Es ist ein Missverständnis, dass Protestanten Rituale abgeschafft hätten. Martin Luther reformierte die Rituale, indem er sie auf das Wesentliche beschränkte. Deshalb sind die beiden Sakramente der evangelischen Kirche, die Taufe und das Abendmahl, umso wichtiger. Das Wesen unseres Glauben ist die Anerkennung von Jesus Christus als unseren Herrn. In Sakramenten nimmt Jesus Gestalt an, und ich habe die Hoffnung, dass wir über die Praktizierung von Ritualen zu evangelischer Frömmigkeit gelangen.

Um welche Werte und Rituale geht es bei den Treffen?
Stephan Sticherling:
Beim ersten Treffen werden wir uns mit der Gelassenheit und dem Loslassen beschäftigen. Es folgt ein Abend, an dem wir einander unsere Geschichten erzählen werden. Ob das ein Ritual ist, wurde ich gefragt, und ich meine, dass sich Glaube in erlebter, erzählter und gegenwärtiger Geschichte ausdrückt. Die Bibel ist voll davon. Weitere Themenbereiche sind unsere Freiheit und unsere Verantwortung, Achtsamkeit und Nächstenliebe, wie sie sich im Fürbitte-Ritual ausdrücken, sowie Entschlossenheit in unserem Bekenntnis im Gottesdienst.

Warum haben Sie Gesundheit in die sieben Werte hineingenommen?
Stephan Sticherling:
Gesundheit steht für viele Menschen oben auf der Wunschliste. Es geht dabei aber nicht um einen positiven Wert im Gegensatz zu Krankheit und Behinderung. Die Gruppe wird keine spektakulären Heilungsgeschichten hören. Wir wollen vielmehr die heilende Kraft des Gebets, des Segens und der Handauflegung ergründen.

Inwiefern greifen Sie in „7 Werte – 7 Rituale“ die Apostelgeschichte 2 auf, in der beschrieben ist, wie die Urgemeinde Gottesdienste feierte?
Stephan Sticherling: Die ursprüngliche Form mit freien lockeren Beteiligungsmöglichkeiten möchte ich wiederbeleben. Mein Angebot wird im Martin-Luther-Gemeindehaus stattfinden. Das hat zunächst einen praktischen Grund. Weil sich die evangelische und die katholische Gemeinde die Nutzung des Altenberger Doms teilen, sind die Zeiten begrenzt. Das ist aber auch die Chance, die Hauskirche wiederzubeleben. Denn wie in einer Hauskirche werden die Gruppenmitglieder dort persönlich und spontan miteinander kommunizieren können. Ganz im Sinne des Protestantismus, dessen wichtigstes Medium die Sprache ist.

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Das Projekt „7 Werte – 7 Rituale“ findet an jedem ersten Donnerstag im Monat von 19.30 bis 21 Uhr vom 3. September 2015 bis 3. März 2016 im Martin-Luther-Haus, Uferweg 1, 51519 Odenthal statt. Die Teilnahme steht jedem offen. Anmeldungen nimmt Pfarrer Stephan Sticherling unter Telefon 02174/42 82 oder E-Mail ga-altenberg@kirche-koeln.de entgegen.

Text: Ulrike Weinert
Foto(s): Ulrike Weinert