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Die Haut als Kommunikationsmedium: Ausstellung in der Trinitatiskirche inszeniert Tatoos

Auf der männlichen Rückenpartie prangt das Antlitz des leidenden Jesu. In diversen Sitzungen wurde das religiöse Motiv großflächig in die Haut gestochen. Auf der Brust eines zweiten Tätowierten steht das Haupt des Gekreuzigten einer gehörnten Satansfratze gegenüber. Die schwarzen Darstellungen werden auf beiden Armen um farbige, figurale Attribute und geometrische Zeichen ergänzt. Hier unter anderem ein königlich bekröntes Kreuz, dort Totenschädel und Schlange. Auf wieder einem anderen Rücken preschen die von einem Himmelsboten geleiteten apokalyptischen Reiter über eine verängstigte Menschenschar hinweg. Eine junge Frau dagegen trägt von den Schultern bis zur Taille sorgfältig ausgeführte, gefiederte Engelsschwingen, verbunden durch ein Herz mit blutender Wunde und Dornenband. Der Rumpf und die Arme eines vierten Mannes sind nicht nur mit christlichen Zeichen bedeckt. Wie auf weiteren Oberkörpern finden sich bei ihm zudem buddhistische und hinduistische Symbole.

Mehrdeutig: „Fleurs de peau“ (Blumen der Haut)
All diese und etliche mehr Hautbilder mit religiösen Motiven hat Olaf Hirschberg fotografiert. Lebensgroß hängen sie nun in der Trinitatiskirche. „Fleurs de peau“ (Blumen der Haut) nennt der interdisziplinär arbeitende Medienkünstler und Bildhauer seine Installation. Der poetische Titel hat jedoch zwei Seiten. Selbstverständlich sind die Tätowierungen als Schmuck zu verstehen. Eigentlich bezeichnet der medizinische Begriff Hautblume aber Erkrankungen dieses Organs. In diesem Zusammenhang interessant ist, dass der ursprüngliche Begriff Tautierung vom samoanischen tatau („zeichnen, ritzen“) oder dem malaiischen tatu für „Wunde“ stammt.

Weit verbreitet: Religiöse Motive als Tatoos
Die menschliche Haut, weiß auch der Kölner Hirschberg, ist ein elementares Kommunikationsmedium, unbeabsichtigt oder bewusst. Dabei spielen auch Tätowierungen keine unwesentliche Rolle. Oft erfüllen sie mehr als eine rein dekorative Funktion. Sie markieren etwa die Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe, einer Clique, oder die Zuneigung zu einer Person. Ebenso können sie etwas über die politische Gesinnung, das Lebensgefühl und eben die Spiritualität ihrer Träger aussagen. Religiöse Motive, gleich welcher Art, sind in der Tatoo-Szene relativ verbreitet, hat Hirschberg festgestellt. Dabei würden die Tätowierten auf klassisches, häufig christliches Bildgut zurückgreifen. Eine so genannte Subkultur gehe also „leibhaftig“ mit Motiven um, die aus einem anderen Kontext bekannt seien. Hirschberg führt diese für ihre Träger intimen Motive nun zeitweise „zurück“ in einen sakralen Raum, in eine relative Öffentlichkeit. Das geschieht auf subtile Weise.


 


Fotografische und filmische Dokumentation ergänzen sich mit einer installativen Performance. Denn Hirschberg hat ein Modell im Maßstab 1:5 der katholischen Kirche Sankt Peter in Köln konstruiert – ein „Vermächtnis“ des Projekts „Museumsland“ im Rahmen der Langen Nacht der Kölner Museen 2003, für das die Ateliergemeinschaft „Mülheimer Freiheit“ – zu der Hirschberg gehört – verschiedene Kölner Ausstellungsräume modellhaft nachgebaut hat.

Statt Peter Paul Rubens: Nackte Haut voller Tätowierungen
Von außen wirkt die auf einem Holzgestell platzierte Nachahmung aus Styropor roh und ungeschliffen. Im Innern dagegen ist sie sorgfältig verputzt. Der Blick wird auf das zentrale Altarbild in der Apsis gelenkt. Doch wo sich im Original die „Kreuzigung Petri“ von Peter Paul Rubens befindet, ist im Modell nur eine Rahmung zu sehen. Sie umschließt eine erleuchtete, halbrunde Öffnung, in der zeitweise einzelne Tätowierte leibhaftig ihre Motive zeigen.
Hirschberg geht es nicht darum, eine möglichst breite Vielfalt diese Hautbilder, geschweige ihre Träger, „einfach nur vorzuführen“. Vielmehr geht es ihm um die differenzierte Sprache von allgemein bekannten spirituellen Bildern wie Zeichen, die auf diese „leibhaftige“ Art verwendet, sehr persönliche Aussagen, Bekenntnisse und Sinnfragen vermitteln. Nicht weniger interessiert Hirschberg die spannungsvolle Verbindung dieser besonderen Bilder mit einem quasi zweifach sakralen Ort: dem Modell der katholischen Kirche und dem realen evangelischen Ausstellungsort Trinitatiskirche.

Öffnungszeiten, Finissage
Geöffnet ist die Ausstellung in der Trinitatiskirche, Filzengraben 4, bis 30. Januar dienstags bis sonntags von 16 bis 18 Uhr. Die Finissage mit einer weiteren Perfomance von Tätowierten findet statt am Sonntag, 30. Januar, um 18 Uhr.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich