Man muss sich das wohl ein wenig so vorstellen wie in „Vom Winde verweht“. Gut gekleidete Menschen fahren in Kutschen vor, binden die Pferde an, begrüßen andere Menschen und gehen mit ihnen gemessenen Schrittes in das imposante Gotteshaus. Sogar aus Rommerskirchen und Pulheim fuhr man Ende des 19. Jahrhunderts zum Gottesdienst nach Ehrenfeld. Vor 140 Jahren, am 19. Dezember 1876, wurde dort die evangelische Kirche eingeweiht.
So voll wie damals war sie jetzt wieder. Die Evangelische Kirchengemeinde Ehrenfeld hatte anlässlich des Jubiläums zu einem Festakt eingeladen, in dem man auf die Geschichte der Kirche zurückblickte. Okka Gundel, bekannt aus der ARD-Sportschau und Ehrenfelderin, hatte die Moderation übernommen. Sie erinnerte an das Jahr 1876:„Damals wurde Konrad Adenauer geboren. Indianer wurden in Reservate vertrieben. Marc Twain schrieb den Roman über Tom Sawyer und Huckleberry Finn. In Bayreuth ging man erstmals zu den Festspielen. Das Telefon wurde erfunden.“ Und auch in Ehrenfeld geschah Historisches!
Abschiedsfeier am frühen Vormittag
Bislang hatten die Evangelischen im Westen von Köln immer an mehr oder weniger provisorischen Orten wie zum Beispiel in einem gemieteten Saal im Haus Scholzen Gottesdienst gefeiert. Nun wurde alles anders. Der 19. Dezember 1876 war ein Dienstag. Am frühen Vormittag machte sich nach einer Abschiedsfeier im alten Betsaal eine illustre Prozession auf den Weg zur neuen Kirche. Hinter einigen Dutzend Kindern reihten sich das Presbyterium, Träger der Altarbibel, Geistliche und die Gemeinde ein. Vor Betreten des neuen Gotteshauses rief einer der Pfarrer: „Hilf Herr, dass alles wohl gelinge“ und zu Beginn des Gottesdienstes erklang „Ein feste Burg ist unser Gott“. Die Evangelischen waren endgültig in Ehrenfeld angekommen. In einem Viertel, das damals eher schlecht beleumundet war. Verbrechen waren in dem 2000 Seelen zählenden Arbeiterviertel an der Tagesordnung. Friedenskirchen-Pfarrer Siegfried Kuttner zitiert bis heute gern: „Alles Schlechte dieser Welt kommt aus Nippes, Kalk und Ehrenfeld.“
Der Turm war ein „Muss“
Schon damals war die Ehrenfelder Gemeinde vergleichsweise diskussionsfreudig. Während der Pfarrer, der Berliner Theologe Friedrich Coerper, aus Kostengründen auf einen Turm verzichten wollte, war das Presbyterium der Meinung, man solle schon aus Gründen der Repräsentation einen Turm bauen. Eingeweiht wurde die Kirche zunächst ohne, ein Jahr später stand der Turm.„Mit drei imposanten Glocken“, ergänzte Okka Gundel zum Thema Repräsentation. Deren Geläut heute ein kleines Geheimnis birgt: „Wir läuten vor den Gottesdiensten immer fünf Minuten früher als die katholischen Kirchen, wenn dort gleichzeitig Messen gelesen werden. Wir müssen uns ja ein wenig abheben“, schmunzelt Pfarrer Kuttner.
Backsteinstil, brüstungshoch verputzt
Als der erste Gottesdienst in der neuen Kirche gefeiert wurde, kamen die Gläubigen nicht nur aus Ehrenfeld. Auch die Evangelischen aus Lindenthal, Bickendorf, Ossendorf, Bocklemünd und anderen Weilern der „Kappes geprägten“ Umgebung waren Stammgäste in Ehrenfeld. Und das solange, bis in allen Veedeln eigene Gemeinden mit eigenen Kirchen entstanden. Die Gemeinde Ehrenfeld prosperierte. Sie ist im Besitz der ältesten Postkarte, auf der die Friedenskirche abgebildet ist. Eine Kirche im damals typischen Backsteinstil, brüstungshoch verputzt, als Saalkirche angelegt mit sogenannten Rundbogenfenstern und einer großzügigen Empore, auf der die 1997 aufwändig restaurierte Willi-Peter-Orgel steht. Seit 1982 steht die Friedenskirche unter Denkmalschutz.
Dunkles Kapitel NS-Zeit: Gedenken an Ernst Flatow
Unrühmlich ist die Geschichte der Gemeinde in der NS-Zeit. Die evangelischen Kirchen im damaligen Deutschen Reich übernahmen 1933 den Arier-Paragraphen der Nationalsozialisten. Danach mussten alle Amtsträger jüdischen Glaubens aus dem Dienst der Kirche ausgeschlossen werden. Opfer war auch der Ehrenfelder Krankenhausseelsorger Ernst Flatow. Er stammte aus einer jüdischen Familie, war zum Christentum übergetreten, studierte evangelische Theologie und heiratete in der Friedenskirche. Trotzdem wurde Flatow entlassen und fand in Berlin Unterschlupf. Nach dem Beschluss zur „Endlösung“ bat das „Evangelische Konsistorium der Rheinprovinz“ den Ehrenfelder Pfarrer Karl Köhler, den Aufenthaltsort Flatows „baldigst anzuzeigen“. Köhler verriet Flatow, der umgehend deportiert wurde und 1943 beim Bau der Warschauer Ghettomauer starb. Pfarrer Kuttner hat Flatow aus der Vergessenheit geholt und ihm mit einer Gedenktafel in der Kirche sowie dem Ernst-Flatow-Haus ein Denkmal gesetzt. Den Namen „Friedenskirche“ erhielt das Gotteshaus übrigens erst 1950, nach den traumatischen Erlebnissen während des Zweiten Weltkriegs, in dem auch die Kirche stark beschädigt wurde.
Verpflichtung für die Zukunft
Pfarrer i.R. Ernst Fey, ehemaliger Stadtsuperintendent und Gast beim Festakt, wurde von Okka Gundel nach der Zukunft der Gemeinde gefragt: „Die Erinnerung an 140 Jahre ist ja auch Verpflichtung und Auftrag für die Zukunft, nicht locker zu lassen im Engagement gegen Krieg und Rassismus.“ Kuttner warf einen Blick auf einen anderen Aspekt dieser Zukunft: „Die Seelsorge hat bei uns einen hohen Stellenwert. Materiell geht es uns so gut wie nie. Ich beobachte, dass Stress, Hektik und damit verbundenes „Burn-out“ zunehmen. Jugendliche trinken viel Alkohol und werden zusehends aggressiver. Und wenn ich Senioren an ihren Geburtstagen besuche, sind die im Gegensatz zu früher viel öfter allein. Oft ruft noch nicht mal einer an.“ Die Evangelischen würden gebraucht in Ehrenfeld. Vielleicht mehr als je zuvor.
Foto(s): Stefan Rahmann