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Die evangelische Friedenskirche Sinnersdorf hat neue Kirchenglocken: Jugend-Kunstprojekt wurde am 2. September „eingeweiht“

Jetzt ist das Glockenspiel in Betrieb – und wer mag, darf selbst läuten
Alles hat eine Zeit. Das steht nun erhaben auf der mittleren Glocke des neuen Glockentisch-Kunstwerks der evangelischen Friedenskirche Sinnersdorf. Schirmherr des Jugendprojekts war und ist der Altpräses und ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Manfred Kock, der Glockentisch wurde am Samstag, 2. September  während des Gemeindefestes eingeweiht. Bürgermeister Morisse war ebenso zugegen wie Pfarrer Rosche von der katholischen Kirche St. Hubertus, der heutige Pfarrer Dr. Martin Bock und sein Amtsvorgänger Friedrich Wilhelm Botterbusch, viele interessierte Menschen aus der evangelischen Gemeinde, Nachbarn und Interessierte. Und während die Jüngsten sich nach dem Gottesdienst  – und der war es fast so gut besucht wie an Heilig Abend – draußen in der Hüpfburg vergnügten, große und kleine Menschen bei ziemlich gutem Wetter Durst und Hunger stillten, entstand drinnen in der Friedesnkirche immer mal wieder eine kleine Schlange vor fünf unscheinbaren, roten Knöpchen an der Wand. Mit diesen Knöpfen läßt sich das Glockenspiel bedienen, kinderleicht eigentlich – und doch braucht man ein wenig Fingerspitzengefühl. Und das konnte nicht nur während des Gemeindefestes „trainiert“ werden, sondern in Zukunft jeden Sonntag Morgen vor dem Gottesdienst. Denn „Wir werden das Glockenspiel vor dem Gottesdienst am Sonntagmorgen und während des Vaterunser-Gebetes, zu Andachten in der Woche, Taufen, Trauungen und Beerdigungen ertönen lassen“, so Pfarrer Bock. Aber – und da ist er schon, der Gedanke von der „offenen Gemeinde“, dem sich das ganze Projekt verschrieben hat – jeder und jede kann und darf die Glocken zu diesen Anlässen läuten: Wer mag, kann sich bei ihm zum „Glockendienst“ anmelden (Telefon 02238/96 34 43)

Aber der Reihe nach: Wie es begann
Frei schwebend unter dem offenen Himmel von Sinnersdorf hängt die größte der fünf neuen Glocke in der Mitte des Edelstahlkreuzes.  Jede sieht anders aus. Jede ist Handarbeit, drei sind gefertigt in Maria Laach, von Jugendlichen aus dem Pulheimer Gemeindebezirk, zwei hat ein Künstler geschaffen. Denn: Hier ist die Rede von einem weiteren Jugend-Kunstprojekt des renommierten Künstlers Holger Hagedorn, vielen im Rhein-Erft-Kreis ein Begriff. So stammt beispielsweise der – mittlerweile sehr gut angenommene – Brunen auf dem Pulheimer Marktplatz ist von ihm. Auch in kirchlichen Kreisen wurden seine Arbeiten mehrfach voll Lob und Anerkennung wahrgenommen, sei es von Pater Friedhelm Menneckes in der katholischen Kunststation St. Peter von Köln oder im Kapitelsaal der Abtei Brauweiler. Was für ein Glück für den Bezirk Sinnersdorf der Evangelischen Gemeinde Pulheim, dass Hagedorn mit seiner Familie „vor Ort“, in Sinnersdorf lebt – die Friedenskirche (Horionstraße 12) hat nicht zum ersten Mal davon profitiert.

Offen für neue Ideen aus der Gemeinde
Die „Bande“ zwischen Künstler und Gemeinde sind lang und eng: Bereits 1999 realisierte er mit dem ersten Pfarrer der Kirche, Friedrich Wilhelm Botterbusch, in einem Jugendprojekt den „Stelentisch“: Eine Installation, die die Offenheit und Klarheit des 1991 neu gebauten Kirchraums betonte, von außen schon – in Einklang mit der umgebenden Natur – mit schwebenden Elementen aus Edelstahl und Holz einen Eingang schafft, der signalisiert: „Hier bist du willkommen.“
Als 2001 Pfarrer Dr. Martin Bock die Nachfolge von Pfarrer Botterbusch antrat, war ihm vor allem diese Offenheit der Gemeinde wichtig: Die Offenheit für neue Ideen, gerne auch gerade von Jugendlichen geäußert, deren Bild von Kirche noch nicht fest steht, noch offen ist: Viele gestalterische Elemente des inneren Kirchraums gehen deshalb auf solche Prozesse der künstlerischen ‚Entdeckung‘ dessen, was Kirche ist, zurück. Offen hat sich auch das Bezirkspresbyterium immer für alle guten, neuen Ideen gezeigt, und so war ganz schnell klar, dass – als die „Konfis“ Ende 2004 zum Abschluss ihrer Konfirmandenfahrt in einer „sehr überzeugenden Rede“ im Gottesdienst formulierten, was sie sich in den Tagen der Freizeit überlegt hatten -, Bock kaum noch anders konnte, als darauf zu reagieren. Und, wie das in Sinnersdorf seit „Gründungspfarrer“ Botterbusch so üblich ist, sofort „Nägel mit Köpfen“ daraus zu machen.

„Glocken müssen her. Nur, wie?“
Die Konfirmandinnen und Konfirmanden hatten nämlich ihr Bild von Kirche überprüft. Und dabei festgestellt, dass es in Sinnersdorf „immer so still“ ist. Kurz: Sie wünschten sich einen „richtigen Kirchturm“ mit Glocken – oder wenigstens Glocken. Und sie waren sehr überzeugend: Schnell brachten sie Gemeinde- und Presbyteriumsmitglieder auf ihre Seite. Von Bock kam der Rat, sich „doch mal an Holger Hagedorn“ zu wenden. Und der war nicht schwer zu überzeugen, spielen doch Töne aller Art in seiner Arbeit schon immer eine so große Rolle, dass Professor Klaus Honnef (Rheinisches Landesmuseum Bonn) über seine Arbeit einmal schrieb: „Bild und Klang durchdringen einander… Man sieht Klänge und hört Bilder.“ Für die evangelische Friedenskirche Sinnersdorf also stand fest: Glocken müssen her. Nur, wie? Und wo sollen sie hängen? Die Idee eines frei stehenden Glockenturms wurde ebenso verworfen wie ein Anbau an das Gemeindezentrum. Und so besannen sich Pfarrer, Künstler und Konfirmanden auf Bewährtes: Kein Neubau sollte es werden, sondern ein Kunstprojekt. Und zwar wieder eines gemeinsam mit Jugendlichen.
Das war auch gut so: Denn nur unter diesen Umständen bezuschusste der Landschaftsverband Rheinland das Projekt mit der Hälfte der geplanten Summe – das waren 8.000 Euro. Als dann der Endpreis doch rund 11.000 Euro mehr betrug als ursprünglich geplant, kamen mit der Kulturstiftung der Kreissparkasse Köln und dem Lions Club zwei weitere Sponsoren dazu. Aber auch die Jugendlichen wurden wieder aktiv: Sie gingen mit Osterhasen-Glöckchen, von der Firma Lindt gesponsert, von Tür zu Tür und sammelten Spenden.

Vor dem Glockentisch standen „Klangforschungen“
Doch der wichtigste Beitrag, den die Jungendlichen leisteten, geschah im Eifel-Kloster Maria Laach. Die Gruppe hatte sich mittlerweile – auch über die „Klangwand“, ein Projekt während des Weltjugendtags 2005 – so entwickelt, dass sie nur noch zu etwa 50 Prozent aus evangelischen Ex-Konfirmanden bestand. Und über das Musik- und Tonerleben während dieses Projekts wurden Fähigkeiten freigesetzt, von denen manche vorher selbst nichts geahnt hatten: Die große Klangwand entstand – natürlich auch ein Werk Hagedorns. Pfarrer Bock setzte sie in verschiedenen Gottesdiensten ein, zum Klingen gebracht immer von jenen „Kids“, die sie auch gebaut hatten. Pfarrer und Künstler waren begeistert über die Unmittelbarkeit des Projekts: „Inhalt und Umsetzung gingen direkt ineinander über“, sagt Bock im Rückblick. Doch die „Klangforschung“ war nur Auftakt: Eine Jugendgruppe hatte den Anstoss gegeben, die nächste nahm ihn dankbar auf – und führte ihn weiter.

Die Geheimnisse des Glockengießens
Und dann wurde alles noch viel aufregender: Auf der Suche nach einem guten Statiker und bezahlbaren Glocken hatte Hagedorn in Bruder Michael Reuter im Benediktiner-Kloster Maria Laach nicht nur einen weithin bekannten Glocken-Experten gefunden, sondern den Mönch auch gleich so für das Projekt begeistern können, dass der einen ungewöhnlichen Vorschlag machte: „Kommt doch alle her und gießt eure Glocken selbst!“ Nur die Materialkosten sollten anfallen, Bruder Michael und seine Mit-Brüder wollten ihr Glockengießer-Wissen den Sinnersdorfer Kids völlig umsonst und zum ersten Mal in der Geschichte der Klostergießerei weitergeben. Nicht nur die Jugendlichen haben dabei viel gelernt: Wie für jede Glocke ein eigener Ofen aus Ziegeln gebaut werden muss, wie die Grundform der Glocke mit einer ganz einfachen Schablone angelegt wird, dass es diese einfache Schablone ist, die am Ende den Klang der Glocke bestimmt, wie viel Zeit und Arbeitsgänge notwendig sind, bis eine Glocken-Grundform fertig ist. Das Gießen übernahmen zwar die Mönche, die „Laientruppe“ aus Sinnersdorf hatte jedoch bei jeder Glocke das Gefühl, sie eigenhändig geschaffen zu haben: „Wir allein sind dafür verantwortlich“, haben sie von Anfang an realisiert.

Vom Stelentisch zum Glockentisch
So entstanden drei Glocken: Die größte mit 37 Kilogramm Gewicht gibt auch den tiefsten Ton, von den vier anderen hat Hagedorn mit seiner Jugendgruppe zwei aus Edelstahl geschaffen. Im strengen Wortsinn sind dies nun gar keine Glocken mehr, sondern „glockenförmige Edelstahlobjekte“. Die kleinste Glocke wiegt nur 30 Kilo – und hat den höchsten Ton. Alle fünf Glocken hängen nun an der Spitze der sinnigen Edelstahlkonstruktion, die aus dem Stelentisch entwickelt wurde – und darum folgerichtig „Glockentisch“ heißt. Das Anliegen der Jugendlichen hat Hagedorn nämlich sehr schnell als Aufforderung verstanden, aus der „offenen Form des Stelentischs“ die nun eher geschlossene Form für die Glocken zu bauen, die jetzt in einem Quadrat mit einem mittigen Edelstahlkreuz in der Verlängerung der immer schon nach oben offenen Träger des Stelentischs hängen. Christliche Symbolik spielt dabei eine wichtige Rolle: Das Quadrat und damit die Zahl vier gilt als das Symbol für den Menschen und das Kreuz als Symbol aller Christen für Hingabe und Liebe des Gottessohns zu den Menschen.

Alles hat eine Zeit
Hagedorn hat in seiner Arbeit mit den Jugendlichen noch mehr aufgegriffen, weiterentwickelt. Und das ist ebenfalls ganz direkt Teil seiner Installation und seines Verständnisses von ihr geworden: „Alles hat eine Zeit.“ Kontemplation, Besinnung zwischen Kunst und Natur, zwischen von Menschen Geschaffenem und natürlich Gewachsenem, die Widersprüche und Spannungen aus dieser Art des Betrachtens haben in Hagedorns künstlerischer Arbeit immer schon eine wichtige Rolle gespielt. Nun also: „Alles hat eine Zeit.“ Für Hagedorn ist das „elementar“, wie er sagt. Es ist nicht nur die Zeit des Übergangs, des Wechsels von einer Form zu einer anderen, etwa von der offenen zur geschlossenen Form seiner Arbeit vor der evangelischen Friedenskirche. Es bedeutet auch: die Zeit des Klangs, die Zeit des Glaubens und Verstehens. Denn wenn dieser Satz auch häufig in Luthers Übersetzung mit „Alles hat seine Zeit“ mit dem christlichen Glauben assoziiert wird, so hat diese Erkenntnis doch sehr wohl ihre Berechtigung auch in der Welt theologischer Laien. Und genau das war Bock und Hagedorn wichtig. Darum haben nicht nur sie, sondern auch die Konfirmanden, deren Arbeitsergebnis dieser Satz „Alles hat eine Zeit“ war, ihn zum Motto für die Glocke gewählt.

Natürlich gab es auch Diskussionen – nicht nur um’s Geld
Hier schließt sich der Kreis: So wie Pfarrer Bock von Anfang an seiner Gemeinde Offenheit und die Fähigkeit der Weiterentwicklung zugestanden hat, so haben Künstler und Pfarrer viele „lebhafte Diskussionen“ geführt, mit den Nachbarn regelmäßig Kontakt gehalten, eine Anhörung veranstaltet, bei der jeder ganz offen „seine Bedenken äußern konnte“, erzählt Bock. Eins der größten Bedenken konnte ziemlich schnell ausgeräumt werden: Für ein Kunstprojekt ist keine Baugenehmigung erforderlich. Schwieriger zu lösen war das Problem, wie die trotz zusätzlicher Spenden noch fehlende Finanzierungssumme aufzubringen sei: Mit dem Bezirk Sinnersdorf tragen nun die beiden anderen Bezirke Pulheim und Stommeln das Projekt auch finanziell mit. Doch die Suche nach weiteren Spenden ist angesagt und nötig: Schon mit dem Gemeindefest am 2. September hat der Bezirk Sinnersdorf eine neue Sammelaktion gestartet: Der Erlös des Festes, bei dem auch handgetöpferte kleine Glocken verkauft wurden, Spenden und die Kollekte aus dem Gottesdienst – alls floss in die Refinanzierung des Glockentischs, weitere „Sammelaktionen“ sollen folgen.

    

Text: Al-Mana
Foto(s): AL