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„Die Bibel“ – Lesung mit Kommentar von Volker Neuhaus im Gemeindesaal der Antoniterkirche

Der große Saal im Gemeindehaus der Antoniterkirche war getaucht in Kerzen- und verhaltenes Kunstlicht, die Bestuhlung dunkelrot drapiert: Ein ansprechendes Ambiente für die Bibel-Lesung mit Kommentar. Allein, es mangelte an Gästen. Am Thema des Abends kann es nicht gelegen haben. Ebenso wenig an den vier routinierten Protagonisten. Sie bescherten den Zuhörenden besinnlich-anregende, informative siebzig Minuten.

Hörbuchedition „Die Bibel“
26 CDs umfasst die Edition „Die Bibel“, die seit einigen Monaten das Hörbuchprogramm von Delta Entertainment bereichert. Ihre Gesamtspielzeit beträgt 36 Stunden. Herausgeber von „Die Bibel“ ist Volker Neuhaus, seit 1977 Professor für Neuere deutsche und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität zu Köln. Der renommierte Germanist und Autor, unter anderem veröffentlichte er 2005 den Titel „Bibel“ in der DuMont-Verlagsreihe Schnellkurs, leistete die Textauswahl. Von ihm stammen die Einführungs-CD sowie die Erläuterungen und Kommentare auf den 25 weiteren. Auf ihnen finden sich in relativ geschlossener Form repräsentative Texte und Abschnitte aus dem Alten und Neuen Testament. Rezitiert wurden sie von den Sprechern und Schauspielern Thomas Friebe, Nicole Engeln und Bernt Hahn. Als Regisseur der Edition, die zudem zwei DVDs zu „Jesus von Nazareth – Sein Leben in Kunst und Musik“ enthält, fungierte Christoph Prasser.

Bibel ist von einzigartigem Rang
Bevor die drei genannten Rezitierenden im Gemeindesaal Proben ihres Könnens lieferten, stellte Kommentator Neuhaus, der zudem Evangelische Theologie studiert hat und ehrenamtlich als Geistlicher der Evangelischen Kirche im Rheinland tätig ist, fest: „Die Bibel ist mit keinem anderen Buch dieser Welt zu vergleichen. Sie ist ein Werk der Weltliteratur von einzigartigem Rang.“ Auch andere Religionen würden sich auf sie stützen. „Was wir Bibel nennen“, sei eine Vielzahl unterschiedlicher Bücher und Gattungen. Darunter Texte, frühe Sagen, historische Schilderungen, Gedichte, Gesetzessammlungen … „Sie vereint Geschichten menschlicher Gotteserfahrung.“

„Am Anfang (…)“
Die für die Veranstaltung von Neuhaus zusammengestellte „kleine, minimale Auswahl“ eröffnete, natürlich, mit dem Schöpfungsbericht, maßvoll vorgetragen von Bernt Hahn. Alsdann lasen im bereichernden Wechsel von weiblicher und männlicher Stimme Nicole Engeln und Thomas Friebe aus dem Hohelied Salomos. „Wie die Lilie unter den Dornen, so ist meine Freundin unter den Mädchen“, heißt es dort beispielsweise. „Hierbei handelt es sich um hebräische Liebesgedichte, die in die Bibel geraten sind. Es ist die älteste bekannte Liebesdichtung der Menschheit“, erläuterte Neuhaus. „Die spätere, mittelalterliche Liebes- und Brautmystik geht auf dieses Hohelied zurück.“ Es belege den Trugschluss im großen, falschen Konzept, es gebe einen Fortschritt in der Kunst. Denn die Kunst, so der Germanist, kreise immer um die gleichen Dinge. Ein auffälliges Merkmal der hebräischen Poesie sei es, dass ein Ding, ein Gedanke häufig zweimal gesagt, auf verschiedene Weise ausgedrückt werde.

Fülle an Realismus
Auf den 90. Psalm und den Jubelpsalm folgte die Geschichte aus dem 1. Buch Mose, in der Jakob sich von Isaak den Segen des Erstgeborenen erschleicht. Dazu bemerkte der Germanist: „Was in der Bibel immer wieder besticht, ist die Fülle an Realismus. Sie zeichnet immer wieder ein schonungsloses Bild vom Menschen.“ Zugleich das Bild eines gerechten, mildtätigen Gottes. Weiter ging es mit einer „veritablen Detektivgeschichte“, wie der Krimiforscher und -herausgeber Neuhaus formulierte. Sie findet sich in den Apokryphen bei Daniel. Dieser demonstriert König Kyrus, dass Bel keine lebende Gottheit ist und überführt damit dessen Priester des Betrugs. „Beschlossen“ wurde das Alte Testament mit Kapitel 3 aus Prediger Salomo – „Ein Jegliches hat seine Zeit“ -, laut Neuhaus eine der schönsten Bibelstellen.

„In ganz hohem Maße Dichtung“
Auch das Neue Testament, aus dem unter anderem Kapitel des Matthäus- und Johannesevangeliums gelesen wurden, sei in ganz hohem Maße Dichtung, meinte der Literaturwissenschaftler mit besonderem Hinweis auf die Gleichnisse Jesu. Als „Poesie aus dem Munde Jesu“ charakterisierte Neuhaus die Seligpreisungen in der Bergpredigt. Und die Hochzeit von Kana bestätigte er launig als realistische Geschichte. „Wenn die Getränke ausgehen, fährt man heute zur Tankstelle. Damals musste man sich anders behelfen.“ Den ersten Brief an die Korinther, den „ältesten Auferstehungsbericht“, kommentierte Neuhaus wie folgt: „Paulus spannt einen gewaltigen Bogen, von der Erschaffung des Menschen aus Erde bis hin zu seiner Erschaffung als Mensch durch Christus.“ Dieses zusammenhängende Bild finde sich ebenso an anderen Stellen, auch in der jüdischen Tradition: „Die Welt hat eine Geschichte, die bei Gott beginnt und nach einem irdischen Leben wieder bei Gott ankommt.“

Ziel: den gewaltigen Reichtum der Bibel zu vermitteln
Die Bibel beinhalte Texte voller dichterischer Bilder und aufwühlender Geschichten, sagte Neuhaus abschließend. Ob man an sie glaube oder nicht, Millionen von Menschen würden aus der Bibel ihre Lebenskraft ziehen, nach deren Inhalt und Botschaft ihr Leben ausrichten. „Wir hoffen, geholfen zu haben, etwas von dem gewaltigen Reichtum dieses Buches zu vermitteln.“ Das konnten die Gäste nur bestätigen. Sie profitierten dabei nicht nur wesentlich von dem professionellen Ausdrucksstil der weiblichen wie männlichen Rezitatoren, von der gelungenen Zusammenstellung unterschiedlicher, eindrucksvoller Stimmen. Sondern auch von Neuhaus´ Ausführungen und Überleitungen.

Für Neuhaus sind Theologie und Literatur nicht zu trennen
Im Nachgespräch begründete Neuhaus seine Beschäftigung mit der Bibel und sein Interesse an einer auch modernen Form ihrer Wiedergabe. „Die Bibel hat einen Doppeleffekt: Erstens ist sie ganz große, alte Menschheitsgeschichte. Zweitens enthält sie Berichte von Menschen, die über die Begegnung mit Gott Auskunft geben.“ Ob Buch oder CD, das Medium sei dabei sekundär. „Aber wenn heute generell Texte der Literaturgeschichte, etwa von Fontane oder Goethe über Audiomedien verbreitet werden, sollte auch die Bibel diese Chance bekommen.“ Und die Wahrscheinlichkeit, dass jemand beim Bügeln oder anderen Tätigkeiten sich eine Bibel-CD anhöre, sei heutzutage doch größer, als dass jemand die gebundene Fassung aus dem Regal nehme. Auf die Frage, wer in der Herausgeberschaft sich mehr eingebracht habe, der Literaturwissenschaftler oder der Theologe Neuhaus, antwortete der 1943 Geborene: „Das ist nicht zu trennen. Die Auswahl ist so, dass alles theologisch Relevante und die literarischen Highlights enthalten sind.“

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich