Nach Artikel 15 der Grundordnung der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gilt Diakonie als „Lebens- und Wesensäußerung der evangelischen Kirche“. Als solche ist sie nicht Wort-, sondern Tatverkündigung und agiert auf der Basis christlicher Nächstenliebe. Speziell in ihrer Ausprägung als gemeindliche Diakonie dokumentiert sich dabei ein sehr enges Verhältnis zur Institution Kirche. So verwundert es nicht, dass die Öffentlichkeit die Legitimation diakonischen Tuns primär aus der Wahrnehmung einer staatsanalogen Kirchenorganisation ableitet und insbesondere mit Blick auf die Finanzierung diakonischer Leistungen wie selbstverständlich davon ausgeht, dass sich deren Leistungen traditionell primär aus Kirchensteuern und Spenden speisen.
Diakonie ist immer auch in Konkurenz zu anderen Anbietern sozialer Leistungen
Dabei wird zumeist übersehen, dass sowohl die gemeindliche als auch die sogenannte unternehmerische Diakonie schon lange auf sozialen Märkten agieren und sich in Konkurrenzsituationen mit anderen Akteuren befinden, die zum Teil ebenfalls freigemeinnützig aber auch immer privatwirtschaftlicher Provenienz sind. Dabei refinanzieren sich alle Anbieter sozialer Hilfeleistungen weitestgehend über Leistungsentgelte, die mit Kostenträgern vereinbart werden.
Das können etwa die Bundesagentur für Arbeit, Landschaftsverbände, einzelne Landesversicherungsanstalten oder die jeweilige Kommune sein. Angesichts der Tatsache, dass die Sozialhaushalte von Bund, Ländern und Kommunen mittlerweile alle deutlich überbelastet sind und Nothaushalte sowie die damit verbundenen Einsparbemühungen der öffentlichen Hand dominieren, gewinnen ökonomische Fragestellungen auch im Kontext mit sozialen Hilfeleistungen eine immer größere Relevanz.
Das Selbstkostendeckungsprinzip
Aber auch in der Diakonie selbst greift immer mehr die Einsicht Platz, dass umsichtiges wirtschaftliches handeln eine „conditio sine qua non“ für das eigene langfristige Überleben darstellt: so können seit der Abschaffung des sogenannten Selbstkostendeckungsprinzips in den neunziger Jahren diakonische Einrichtungen zwar Gewinne behalten; gleichermaßen müssen sie aber auch Verluste selber tragen. Dies bedeutet im „worst case“, dass sie zahlungsunfähig werden können, was die steigende Anzahl von Insolvenzen im sozialen Sektor in den letzten Jahren sehr eindrücklich dokumentiert. Trotz oder gerade aufgrund des Zwangs zum erfolgreichen Wirtschaften existiert bis zum heutigen Tage ein schwelender Grundkonflikt, der regelmäßig wieder zutage tritt, nämlich der, inwieweit sich „Ökonomie“ und „christliche Ethik“ in der sozialen Arbeit widersprechen. Fest macht sich diese Fragestellung beispielsweise an Begriffen wie „Effizienz“ und „Effektivität“, die nach Ansicht vieler Kunden und Mitarbeiter nichts in der Arbeit am Menschen zu suchen haben, zumal es sich hier doch um gelebte nächstenliebe handelt und diese nicht in pekuniären Maßstäben abzubilden ist.
Oberste Gebote: Professionalität und Effzienz
Dabei zeigt sich gerade in der Praxis, dass man es – ungeachtet von der Art der jeweiligen sozialen Hilfeleistung – immer mehr mit autarken Klienten- oder Kundengruppen zu tun hat, die ihre Budgets ökonomisch klug einsetzen und einen hohen Qualitätsstandard fordern .Entsprechende Transparenz über adäquate Leistungen von Wettbewerbern wird hierbei – wie in anderen Branchen schon lange üblich – durch moderne Medien wie das Internet befördert. Das bedeutet, dass diakonische Hilfe, ebenso wie die entsprechende Dienstleistung der Konkurrenz, zunächst nach ihrer Professionalität und erst in zweiter Linie danach beurteilt wird, inwieweit sie aus einer christlichen Haltung heraus angeboten wird (auch wenn das christliche Moment bei der „Markenbildung“ durchaus hilfreich sein kann). Dies mag zwar zunächst befremdlich erscheinen, aber letztlich ist dem Marktgeschehen hier eine eigene ethische Dignität inhärent: Indem effiziente Ideen befördert und ineffiziente aussortiert werden, zwingt der Markt alle Teilnehmer zu kundenorientierten Lösungen. Diakonie tut sich hierbei immer noch schwer, aus innerer Überzeugung heraus diakonisches und wirtschaftliches Handeln gleichermaßen zum Credo zu erklären, gleichwohl der ehemalige Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, bereits in der EKD-Denkschrift „Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive“ aus dem Jahre 2008 festgestellt hat, „dass soziale Verantwortung und wirtschaftlicher Erfolg einander nicht ausschließen, sondern wechselseitig aufeinander bezogen sind.“
Faktor 1: Fachliche Qualifikation
Was kann man also als diakonischer Träger – auch angesichts der diversen Einengungen der finanziellen Bewegungsspielräume seitens des Steuerrechts (zeitnahe Mittelverwendung), der Kostenträger (unrealistische Abschreibungszeiträume, Preisdiktate), der Mitgliedspflichten (undifferenzierte Tarife, nicht ausfinanzierte Zusatzversorgungskassen) und des Marktes (Globalisierung, Demografie) – beispielhaft tun, um einerseits sinnvoll zu haushalten und andererseits der Erwartungshaltung der Kunden und Mitarbeiter an die ethische Kompetenz (und entsprechendes Verhalten) kirchlicher träger und seiner Repräsentanten gerecht zu werden? Zunächst bedarf die Forderung nach professioneller Dienstleistung einer Entsprechung durch hervorragend ausgebildete Mitarbeiter. Dabei genügt es auch im sozialen Sektor schon längst nicht mehr, lediglich eine fachliche Qualifizierung vorzuweisen. Kenntnisse im Marketing, im Projektmanagement, in der Führung und in der Betriebswirtschaft sowie in der EDV gehören heute ebenso zum gängigen Standard, wie (Fremd-)sprachenkenntnisse und eine diakonische Gesinnung.
Faktor 2: Die klassischen Management- Instrumente
Darüber hinaus sind diakonische Einrichtungen mit denselben Management- Instrumenten erfolgreich zu führen wie Industrieunternehmen, da sich alle einschlägigen Funktionen wie etwa Einkauf, Marketing, Kommunikation, Recht, Personal, Controlling oder Versicherung auch in christlichen Unternehmen wiederfinden. Besonderheiten liegen dagegen in der Notwendigkeit einer protestantischen Leitkultur, dem Vorhalten von seelsorge- und theologisch geprägten Weiterbildungsangeboten sowie der professionellen Beschaffung von Drittmitteln über Fundraising und der Koordination des ehrenamtlichen Engagements.
Faktor 3: Die Bezahlung
Weiterhin sind flexible und marktadäquate Strukturen zur Bedienung von Geschäftsfeldern notwendig. Dies bedeutet unter anderem die Ausgliederung von gemeinnützigen GmbHs und die Entlohnung nach leistungsadäquaten Tarifen. Die kürzlich erfolgte Diskussion um „Dumping-Löhne“ in der Diakonie ist hierbei nicht nur wenig hilfreich, sondern auch undifferenziert und zeichnet sich in weiten Teilen durch eine inhaltliche Wahrnehmungsresistenz der entsprechenden Medien aus. so reichen beispielsweise kirchliche Tarife angesichts des durch Demografie induzierten Fachkräftemangels schon heute in vielen Hilfefeldern nicht mehr aus, um gute und qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen und zu binden.
Faktor 4: Transparenz
Schließlich scheint die Transparenz über die Verwendung erwirtschafteter Gewinne (und Spenden) ein wesentliches Kennzeichen für wahrhaftiges Verhalten in Diakonie und Kirche zu sein. Dazu bedarf es aber der Einsicht, dass auch Effizienzgewinne nötig sind, um dauerhaft über gutes Personal sowie moderne Bausubstanzen zu verfügen und dass es untzer Umständen auch Sinn machen kann, weniger profitable Angebote, die aber gesamtgesellschaftlich nötig sind, vorzuhalten.
Fazit: Moral und kaufmännisches Handeln dürfen und müssen sich nicht ausschließen
Was kann also – aus den wenigen exemplarischen Beispielen sowie den obigen Ausführungen – mit Blick auf diakonisches Handeln unter ökonomischen Bedingungen festgehalten werden: Moral und kaufmännisches Handeln schließen sich in einer modernen und globalisierten Ökonomie nicht aus, sondern bedingen einander. sollen beide Momente auf sozialen Märkten gleichermaßen gelingen, müssen nicht nur die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen stimmen, sondern es ist notwendig, sich als professioneller Marktteilnehmer zu verstehen und von den Besten zu lernen. nur wer effizient wirtschaftet, kann auch (weiterhin) Gutes tun. Insofern bedarf es ebenso ökonomischer Kenntnisse wie auch christlicher Gesinnung. neben allem Zwang zur Veränderung benötigt Zukunft stets auch Herkunft. In nochmaliger Anlehnung an die bereits vorgenannte Denkschrift der EKD sei abschließend verwiesen auf das im Fazit beschriebene idealiter anzustrebende Verhältnis zwischen Ökonomie und sozialem als „Vision eines freien schöpferischen Handelns in der Wirtschaft, die sich zugleich sozial verpflichtet weiß.“ Diakonie und Kirche müssen mit ihren jeweiligen sozialen Hilfsangeboten nicht mehr leisten. Aber auch nicht weniger.
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