You are currently viewing „… diakonisch – was sonst?“

„… diakonisch – was sonst?“

Die Mehrzahl der Gottesdienst-Besuchenden nahm die Einladung gerne an: Statt im Anschluss den Heimweg anzutreten, zog es sie in den Gemeindesaal und lauschigen Innenhof der Evangelischen Kirche an der Hauptstraße. Dort feierte die Evangelischen Gemeinde Frechen ihren Stiftertag. Im Mittelpunkt stand das 25-jährige Bestehen des Sozialdienstes und Arbeitslosenzentrums. Bei Interviews und Live-Musik, Spielen, Speisen und Getränken verlebten sie informative wie unterhaltsame Stunden. Ehrenamtliche wurde geehrt, Mädchen und Jungen der Kindertagesstätte „Löwenherz“ traten auf – und selbstverständlich standen die benachbarten Räume des Sozialdienstes/Arbeitslosenzentrums zur Besichtigung offen. Dort hatten Mitarbeitende eine Infoschau organisiert und konnte man mit Hilfe etlicher Fotoalben einzelne Stationen der Einrichtung verfolgen.



Anlaufstelle für Menschen in Notlagen
Gegründet wurde der Evangelische Sozialdienst 1986. Initiator war der damalige Pfarrer Harald Steindorf. Bis heute ist die von Esther Göddertz geleitete gemeindliche Institution Anlaufstelle für Menschen in Notlagen. Diese werden von Haupt- und Ehrenamtlichen informiert, beraten und betreut. Das Angebot umfasst Arbeitslosenberatung sowie eine immer stärker nachgefragte Hilfe beim Umgang mit Behörden und Ämtern (etwa Sozialamt, Job-Center und Arbeitsagentur), bei der Erstellung von Bewerbungen am PC und bei der Stellensuche. Unterstützung finden Menschen mit Migrationshintergrund. Der Sozialdienst übernimmt Betreuungen im Rahmen einer gesetzlichen Betreuung. Er hilft bei Hausrat- und Möbelbeschaffung, gibt Lebensmittel der Frechener Tafel aus. Zudem bietet er montags einen Frühstückstreff für Jung und Alt an, mittwochs ein (ökumenisch getragenes) Frühstück für Bedürftige und am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag einen Mittagstisch. „Unsere Hilfs- und Beratungsangebote sind kostenlos. Uns geht es darum, die Würde jedes Einzelnen zu erhalten – sei er krank, alt, arbeitslos oder allein“, so Göddertz.

Einzigartig in der Region und im Kirchenkreis Köln-Süd
„Diese Einrichtung ist eine große Leistung für eine Kirchengemeinde. Sie ist einzigartig in unserer Region und im Kirchenkreis Köln-Süd. Der Sozialdienst trägt wesentlich bei zum sozialen Frieden in der Stadt Frechen“, sagt Pfarrerin Almuth Koch-Torjuul. Sie ist die Vorsitzende der 2006 in der Evangelischen Kirchengemeinde Frechen gegründeten Stiftung „Türen zum Nächsten“. „Die Stiftung unterstützt die diakonische Arbeit unserer Gemeinde materiell und ideell. Sie dient dem Sozialdienst und Arbeitslosenzentrum wie auch unserem Jugendzentrum ´JoJo´ und unserer Kita ´Löwenherz´ als Zukunftssicherung. Wir wollen mit ihr unabhängiger werden angesichts etwa der sinkenden Kirchensteuereinnahmen. Die Erträge sollen langfristig den Gemeinde-Anteil entlasten.“ Zugleich habe die Stiftung den Charakter einer Selbstverpflichtung. „Wir haben uns festgelegt, den Dienst am Nächsten zu leben, konkrete Hilfe zu leisten für Kinder und Jugendliche, für Außenseiter der Gesellschaft und Schwache in unserer Mitte.“ Aktuell sei das Stiftungskapital durch kleine und große Zustiftungen auf knapp über 100.000 Euro angewachsen. „Diakonie heißt helfen. Diakonie hat Sinn. Sie macht viel Freude. Und sie macht uns menschlicher – deshalb ist diakonische Arbeit ein besonderes Ziel unserer Evangelischen Kirchengemeinde“, formulierte die Presbyteriums-Vorsitzende Ursula Sabisch.

Die Notwendigkeit diakonischen Engagements
Selbstredend wurde die diakonische Arbeit der Gemeinde bereits im morgendlichen Gottesdienst thematisiert. Darin sagte man Dank „für das, was wir in den 25 Jahren gefunden haben (…) an Rat und Hilfe und Freundschaft.“ Auch die Predigt war gemünzt auf die Notwendigkeit diakonischen Engagements. Gehalten hat sie Pfarrer Dr. Uwe Becker, seit Juli 2008 Vorstand des Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe e.V. in Düsseldorf. Becker, der eine Honorarprofessur an der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe bekleidet, leitete von 2000 bis 2004 das Sozialwerk im Evangelischen Stadtkirchenverband Köln (heute Evangelischer Kirchenverband Köln und Region). Anschließend war er Theologischer Direktor und Sprecher des Vorstandes des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche im Rheinland. In seiner Predigt legte Becker Lukas 15, 1-7 aus – „vom verlorenen Schaf“. Darin warnte er vor Pauschalisierungen: „Die Jugend von heute, die Politiker, die Unternehmer, die Hartz-IV-Empfänger. Wer ist das, kennen wir die alle?“ Schubladen-Denken raube den Blick für die jeweils individuellen Situationen. Und es führe zu Selbstgenügsamkeit. „Wen ich schon im Kasten habe, mit dem brauche ich mich nicht mehr zu befassen.“ Es sei schwer, auf Generalisierung zu verzichten, gestand Becker. Aber solche Urteile könnten zur Ausgrenzung, zur „drohenden Vernichtung“ von Menschen führen. „Dieser Blickwinkel tötet Begegnungen ab, schafft Spaltung.“ Jesus dagegen habe die Gemeinsamkeit mit denen gesucht, die eigentlich außen stehen, mit Zöllnern und Sündern. Mit denen, die von Pharisäern und Schriftgelehrten abgeurteilt worden sind. „Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein“, zitierte Becker Guido Westerwelle als ein Beispiel für jemanden, der Hartz-IV-Empfänger verunglimpfe, der „distanziert pauschalisiert“. Die Mitarbeitenden des Evangelischen Sozialdienstes in Frechen dagegen seien täglich ganz konkret mit den Nöten von Menschen konfrontiert, mit der Demütigung, die Betroffene empfinden, mit der materiellen wie psychischen Armut, unter der diese leiden.

Zuhören und sich beunruhigen lassen können
Jesus breche die von Menschen gezogenen Grenzen auf. Im Bibelwort gelte das Kompliment den Sündern und Zöllnern – „sie hören zu“. „Das gesprochene Wort, Essen und Trinken, also die Einheit von Wort und Tat“, beschrieb Becker als die menschliche Gemeinschaft in der Idealform. Natürlich sei nicht alles ideal in Kirche und Diakonie. „Es ist nicht alles gut, nur weil, das Kronenkreuz drauf steht“, verwies er etwa auf den Kostensenkungsdruck in der Diakonie. Auf deren ethischen Anspruch, dem man nicht immer gerecht werden könne. Und es sei nicht alles richtig, was gepredigt werde und in der Kirche geschehe, stellte Becker Selbstgenügsamkeit auch innerhalb christlicher Gemeinden fest. „Aber wir haben überhaupt keinen Anlass, uns außerhalb zu stellen, beobachtend am Rand.“ Vielmehr sollten wir uns die Mitte der „Sünder“ begeben. „Kein Schaf soll zurück bleiben. Kein Mensch darf offenbar draußen stehen, deklassiert.“ Becker plädierte für eine fruchtbare Beunruhigung. „Was tut ihr, lasst ihr euch noch in Unruhe versetzen von dem Leid derer, die außen stehen? Wo ist die Bewegung der Gerechten, derer, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit?“ Sinnerfahrung, Würde und Gemeinschaft würden wachsen, wenn diese Bewegung weiter Belebung finde in Kirche und Diakonie, so Becker. „Deshalb sollten wir fröhlich umkehren, dann kommt Freude auf.“

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Broich