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„Der Stellenwert von Feindbildern in der öffentlichen Diskussion“ – Der Abschluss einer erfolgreichen Vortrags- und Dialogreihe

Am Sitz des Fachbereichs Kommunikation und Medien der evangelischen Melanchthon-Akademie im KOMED im Kölner MediaPark diskutierten VertreterInnen aus Wissenschaft und Praxis, Politik und Bildung über den „Stellenwert von Feindbildern in der öffentlichen Diskussion“. Die Veranstaltung bildete den Abschluss innerhalb der achtteiligen, erfolgreichen und sehr gut besuchten Vortrags- und Dialogreihe der Akademie in Kooperation mit anderen der Universität zu Köln „Feindbilder, Fremdbilder. Minderheiten in der Diskussion“. Darin gaben sieben Wissenschaftlerinnen „Einblicke in unterschiedliche Konstruktionsprozesse von Feind- und Fremdbildern“ und zeigten „auch Wege eines anderen Umgangs mit Minderheiten/MigrantInnen“. Durchgeführt wurde die Reihe von Oktober 2006 bis Februar von der fächerübergreifenden Forschungsstelle für interkulturelle Studien (FiSt) an der Universität zu Köln sowie der Melanchthon-Akademie, dem Bildungswerk des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region.

„Was tun wir jetzt damit?“
Auf der Grundlage der vorhergehenden Abende ging es beim abschließenden Termin um die Frage: „Was tun wir jetzt damit?“ Es ging darum, neue Perspektiven auf die Konstruktion von Feinbildern in der Öffentlichkeit zu finden. Eingangs blickte der Kultursoziologe Wolf-Dietrich Bukow von der Uni Köln schlaglichtartig auf die gehaltenen Vorträge und deren Ergebnisse. Bukow, den der moderierende Kölner Erziehungswissenschaftler Hans-Joachim Roth als wesentlichen Motor der FiSt vorstellte, sagte, dass Feindbilder und weitere Mythen nicht nur der Aus- sondern auch Eingrenzung dienten. „Feindbilder im Dienst der Ausgrenzung, aus der Mitte der Gesellschaft heraus.“ Entsprechende Bilder und Mythen in den Medien würden die Aus- und Eingrenzung veralltäglichen. Es sei deutlich geworden, dass sich Feindbilder als öffentliche Mythen verstetigt hätten. „Sie sind eingebettet in die Gesellschaft, sie fühlen sich dort wohl.“

Der „deutschen Integrationslogik widersprechende Entwicklungen“
Andererseits sei eine Gegenbewegung festzustellen, wies er auf den von Susanne Spindler, Uni Köln, referierten Widerstand der Adressaten hin. Auf die Tatsache, dass sich immer mehr Menschen mit praktischer Vernunft diesen Mythen zu entziehen versuchten. „Minderheiten werden sogar zu Experten“, verwies Bukow auf den Vortag von Elizabeta Jonuz, FiSt. Schließlich habe Regina Römhild von der Uni Frankfurt am Beispiel der hessischen Stadt der „deutschen Integrationslogik“ widersprechende Entwicklungen vorgestellt. Dort würden postmoderne Stadtquartiere beginnen, Feindbilder und Mythen zu ignorieren und ihre Heimat als „globale Heimat“ zu verstehen und neu zu definieren. „Es ist absurd, dort mit Feindbildern zu operieren.“

Vergleich Köln – Toronto
Anschließend gab Bukow einen weiteren Impuls für den Gesprächsverlauf. Am Beispiel der kanadischen Metropole Toronto stellte er ein Positivmodell im Umgang mit Einwanderern vor. „Der Slogan der Stadt lautet ´Vielfalt ist unsere Stärke´“, so Bukow. Dort habe man irgendwann gemerkt, dass man der praktischen Vernunft Recht geben müsse. Die Situation sei mit der in Köln vergleichbar, sozialkulturell wie auch auf anderen Gebieten. „Aber Toronto ist viel weiter. Die Vielfalt wird pragmatisch genutzt. Vielfalt ist eine gesellschaftliche Realität.“ Und sie habe zur generellen Anerkennung von gesellschaftlichen Rechten geführt. Feindbilder und andere Mythen hätten demzufolge im Zusammenleben keinen Platz. „Sie widersprechen dem Bürgerrecht.“ Toronto sehe „Migration als Ressource“ der Stadtentwicklung. Partizipation diene dort nicht der Einpassung, sondern der Lenkung auf gleicher Augenhöhe. „Nachbarschaften sind der erste Ort der praktischen Vernunft und deshalb auch der erste Ort jeder Politik des Zusammenlebens“, stellte Bukow fest. „Nicht die nationale Politik definiert die Form des Zusammenlebens. Die Basis ist die Nachbarschaft, ist die Kommunikation.“ In den trotz der eindeutig scheinenden Zuschreibungen kulturell gar nicht so einheitlich geprägten Nachbarschaften, etwa in „Greek-Town“, seien die einzelnen kulturellen Gruppen zum Dialog, zum Engagement gezwungen. „Die formalen Systeme wie Schulen, Betriebe und Verwaltungen müssen sich dieser Praxis öffnen und die lokale Politik muss sie unterstützen.“

„Ist das kanadische Modell auf uns übertragbar?“
fragte Roth Gudrun Hentges. Diese Frage werde bereits lang und kontrovers debattiert, meinte die Politikwissenschaftlerin von der Fachhochschule Fulda. Kritiker würden ins Feld führen, dass wir es bei Kanada mit einer Staatsnation zu tun hätten, hingegen bei Deutschland mit einer christlich geprägten Kulturnation. „Klar, das Modell ist nicht eins zu eins übertragbar“, stellte die Professorin fest. Wichtig sei das Ja zu einer ethnischen Unterschiedlichkeit. Davon seien wir in Deutschland aber weit entfernt, nannte sie etwa das Beispiel der Kampagne „Kinder statt Inder“. Die Nichtakzeptanz von kultureller Gleichwertigkeit mache auch das Beispiel der „Bindestrich-Identität“ deutlich. In Kanada sei es überhaupt kein Problem, beispielsweise als Italo-Kanadier aufzutreten. „Wenn sie sich in Deutschland als Deutsch-Türke bezeichnen, ist das schon eine Provokation“, verglich Hentges. „Du musst dich entscheiden“, gebe die staatliche Führung vor. Die Kampagne gegen eine doppelte Staatsbürgerschaft sei in Kanada undenkbar. Das kanadische „Einheit in Verschiedenheit“ bedeute, dass es ein Dach gibt, mit Gesetzen, mit Sprachen und anderem, und unter diesem Dach sei eine große kulturelle Verschiedenheit möglich. Es gebe nicht nur ein liberales Recht auf kulturelle Differenz, sondern gleichzeitig ein soziales Recht auf gleiche Chancen, etwa auf dem Arbeitsmarkt. Die gleiche Teilhabe von allen werde mitgedacht und vorangetrieben. „Das kanadische Modell scheint für Deutschland sehr weit weg zu sein“, so Hentges. Es sei aber ein lohnenswert, dessen Umsetzung zumindest anzustreben.

Was hat sich in Deutschland im Umgang mit Minderheiten geändert?
„Was hat sich bei uns im Umgang mit Minderheiten geändert, was ist passiert in den letzten 25 Jahren?“ wurde Tayfun Keltek gefragt. „Ich sehe kaum Änderungen“, erwiderte der Diplom Sportlehrer und Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Migrantenvertretungen NRW. Die Situation habe sich in den letzten Jahren eher verschlechtert. Der Islam sei zu einen großes Feindbild geworden, habe möglicherweise das des Kommunismus ersetzt. Dazu hätte natürlich die Ereignisse des 11. September 2001 beigetragen. „Aber das Feindbild wurde systematisch geschürt“, empfindet er als einer von vielen Betroffenen. Die Loyalität zu Deutschland werde in Frage gestellt. Dabei könne man doch auch gleichzeitig zwei Frauen lieben, die Mutter und die Gattin. Dem Fremden werde viel weniger erlaubt, von Immigranten werde immer mehr verlangt als von Deutschstämmigen, verwies er etwa auf den unheilvollen Fragebogen. Andererseits sei seit ein paar Jahren seine Hoffnung auf eine besseres Miteinander ein bisschen gewachsen, spielte er auf das neue Integrationsministerium in NRW an. „Das ist in der Öffentlichkeit in die Offensive gegangen, die Signale geben Mut.“ Außerdem werde der Tatbestand, dass es immer mehr junge Menschen mit Migrationshintergrund gebe, uns zwingen, eine neue Lebensform zu finden.

„Wir profitieren täglich von der Vielfalt“
Heiner Sürth, Rektor der Kölner Hauptschule Mommsenstraße, forderte, ein differenziertes Bild zu zeichnen. Die gängigen Stereotypen jedenfalls sehe er an seiner Einrichtung nicht bestätigt. „Ich erlebe in der täglichen Praxis, dass das in den Medien dargestellte schwierige Zusammenleben im schulischen Alltag nicht zutrifft. Wir profitieren von der Vielfalt, im täglichen Umgang. Feindbilder können so abgebaut werden“, sieht Sürth relativ hoffnungsfroh in die Zukunft. Dem widersprach Keltek. „Migrantenkinder werden von der 1. Klasse an abgestempelt“. Noch heute würden Lehrer oder auch Vereinstrainer ein Wir-Ihr-Gefühl vermitteln und Kinder mit Migrationshintergrund bewusst oder unbewusst ausgrenzen und ausbremsen, statt ihnen ihre Stärken aufzuzeigen. „Schule ist nicht perfekt“, entgegnete Sürth. „Aber in den letzten Jahren hat sich viel getan. Und der Vorschlag, jeden dort abzuholen wo er steht, ist ein alter reformpädagogischer Hut.“ Dass habe man auf einer Hauptschule mit ihrer sehr heterogenen Schülerschaft schon immer tun müssen.

In der Politik: „ein Gefühl der diffusen Gefährdung“
Anton Rütten vom Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration NRW meinte, er habe ein Problem damit, wenn von Feindbildern in der Politik die Rede sei. „Feindbilder spielen in der Politik keine große Rolle. Viel eher die Vermeidung von Kontakt aus einem Gefühl der diffusen Gefährdung heraus.“ Es gelte, zu positiven Mythen zu finden. Ein Umdenken sei nicht nur als Reaktion auf die demographische Entwicklung erforderlich, sondern auch eine ökonomische Notwendigkeit. Rütten stellt in täglichen Diskussionen fest, „dass viele Menschen guten Willens, aber in ihren Zuschreibungen gefangen sind“. Daher sieht Rütten auch „sein“ Ministerium in der Pflicht, positive Bilder zu entwickeln und zu kommunizieren.

Die Rolle der Medien
Hentges betonte noch einmal. „Wir leben in einer Einwanderungsgesellschaft.“ Doch die Mehrheit habe überhaupt keine „authentische Kontakte“ zu Menschen mit Migrationshintergrund. „Alles, was man glaubt zu wissen, ist medial vermittelt. Die Medien spielen eine große Rolle. Sie produzieren und reproduzieren Bilder, die mit der Realität nichts zu tun haben.“ Im Ergebnis werde das Thema Ausländer systematisch etwa mit Kriminalität, Parallelgesellschaften und anderen negativen Erscheinungen verknüpft. Dagegen würde überhaupt nicht nach den vielfältigen Gründen von Flucht und Emigration gefragt. Hentges kristisierte das aufklärungsfeindliche Festhalten am Begriff Kulturnation nach dem Motto, „das hatten wir mal, das soll so bleiben, da wollen wir wieder hin“.



Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich