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Der österreichische Autor Gerhard Scheucher zu Gast im Königsdorfer Literaturforum

Mit großer Leidenschaft plädiert er darin für gesellschaftspolitisches Engagement. Die Frage, wie diese Welt besser werden kann, beschäftigt den Publizisten und Strategieberater aus Wien schon sein Leben lang. „Meine Freunde nennen mich Querdenker oder Weltbürger, die anderen sehen in mir vermutlich den Zyniker und Quälgeist. Mit beidem kann ich gut leben“ schreibt er auf seiner Webseite.

Scheucher stammt aus der Steiermark und hatte schon als junger Mensch einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. In den 80er Jahren gründete er mit 22 Jahren ein Jugendzentrum in seiner strukturschwachen Heimat Köflach und wurde Vorsitzender des Vereins. Er warb öffentliche Gelder ein, finanzierte damit arbeitslose Lehrer, die dann bezahlbare Nachhilfe für Kinder und Jugendliche anbieten konnten.
Dieses Beispiel ist nur eines von vielen konkreten Handlungsanleitungen aus seinem neuen Buch „Tu es, die Welt braucht dich“, das am Ende keine Ausreden mehr zulässt, etwas nicht zu tun. Weil es nicht nur theoretische Abhandlungen hat, sondern anhand vieler Beispiele praktische Hinweise gibt, wie man ganz konkret gesellschaftspolitisch aktiv werden kann, beispielsweise eine Initiative gründet und Geld akquiriert.

Die heutige Welt ist vernetzt, global und schnell
Scheucher engagiert sich auf der ganzen Welt. Am 8. Juni war er zum zweiten Mal Gast beim Königsdorfer Literaturforum. Eingeladen hatte ihn der Frechener Journalist Jürgen Streich; die beiden sind Mitglied der gleichen Freimaurerloge. Vor zwei Jahren ging es um die digitalisierte Welt. Das ist auch heute noch ein Thema für Scheucher, denn neben den traditionellen Kulturtechniken wie Lesen und Schreiben gelte es, die jungen Menschen fit zu machen, um in der globalisierten Welt überleben zu können. Aber wo werde heute in einer vernetzten Welt Vernetzung gelehrt, wo Kommunikation und Multikulturalität gelernt, fragte Scheucher. Bildungspolitiker wären gut beraten, den Blick nach außen auf die Brennpunkte der Gesellschaft zu richten und entsprechend zu reagieren, damit die Gesellschaft nicht auseinanderdrifte. „Aber die Politik versucht sehr oft, die Probleme an den Stadtrand zu delegieren, wo sie dann außer Sichtweite gelangen und wundern sich, wenn dann wie in Paris, ganze Vorstädte brennen“, so der Autor.

„Wer Angst hat, bleibt sitzen und übernimmt keine Verantwortung“
In seinem Vortrag prangert Scheucher zwischenmenschliche Verwahrlosung, soziale Kälte, mangelnde Zivilcourage und soziale Ungerechtigkeiten an. In der heutigen Gesellschaft könnten viele Menschen, selbst die mit einem akademischen Abschluss, mit dem, was sie verdienen, nicht mehr überleben, die Schere zwischen arm und reiche gehe immer mehr auseinander. Die ständige Beschleunigung und Hetze überfordere die Menschen, die sich nutzlos und an den Rand gedrängt fühlten. Viele resignieren angesichts einer Welt der Widersprüche und Ungerechtigkeiten, bleiben passiv oder verharren in einer Art „Stellvertretermentalität“, wie Scheucher es nennt.

Ein moralischer Zeigefinger
Das Publikum im Evangelischen Gemeindesaal der Kirchengemeinde Brauweiler-Königsdorf, brauchte kein Fremdwörterbuch, um Gerhard Scheucher zu verstehen. Seine Sprache war direkt, bisweilen sogar drastisch: „Der große Teil der Bevölkerung soll einfach seinen Hintern bewegen und nicht permanent lamentieren und jammern und seinen Zustand auf höchstem Niveau beklagen. Diese Kultur muss radikal geändert werden.“ Oft werde er als unverbesserlicher Sozialromantiker bezeichnet, so Scheucher, denn wer den moralischen Zeigefinger erhebe, begebe sich auf rutschiges Terrain.

Eine geschätzte Tradition
Seit Beginn der Veranstaltungsreihe lockert der Pianist Alphonse Sauer den Abend mit inspirierenden Tönen am Flügel auf. Zu Ehren des Gastes aus Wien spielte er an diesem Abend eine Sonate und ein Rondo von Wolfgang Amadeus Mozart.
Viermal im Jahr organisiert der Journalist Jürgen Streich das Königsdorfer Literaturforum. Gleich nach dem Start im Jahr 2004 in Kooperation mit der Evangelischen Kirchengemeinde Brauweiler-Königsdorf. Sie unterstützt die Foren mit einem ehrenamtlichen Team und stellt die Räume zur Verfügung. Die eingeladenen Gäste kennt Jürgen Streich alle persönlich, darunter waren bisher beispielsweise Günter Wallraff, Ralph Giordano oder Monika Griefahn. Die nächste Veranstaltung ist für September 2017 geplant.

Text: Jutta Hölscher
Foto(s): Jutta Hölscher