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Der Münsteraner Professor Günter Böhm sprach beim „Schulpolitischen Aschermittwoch“ im Haus der Evangelischen Kirche

Während bei den politischen Aschermittwoch-Treffen Politiker aller Parteien hauptsächlich gegen ihre Gegner polemisierten, waren im Haus der Evangelischen Kirche wohltuend nur sachliche Töne und konstruktive Anregungen zu vernehmen. „Unser Schulpolitischer Aschermittwoch ist ein Stück Tradition geworden“, begrüßte Stadtsuperintendent Ernst Fey über 70 Schulleiterinnen und -leiter beziehungsweise deren Vertreter. Zum fünften Mal hatte der Evangelische Stadtkirchenverband Köln unter Federführung des Schulreferates zu dieser Veranstaltung mit Gastvortrag und Diskussion eingeladen. Heuer lautete das Thema „Religion im Schulleben – über den Unterricht hinaus?! Überlegungen zu einer neuen Phase im Verhältnis Schule und Kirche“. Auch unabhängig vom Ende des Karnevals gebe es seit einiger Zeit Katerstimmung und Ernüchterung, leitete Fey ein. Beispielsweise über den Bildungsstand unserer Schüler im internationalen Bereich. Dabei dürften wir aber nicht allein auf das Leistungsniveau in den Hauptfächern schauen. Vielmehr müsse man in unseren Schulen, geleitet vom ganzheitlichen Menschenbild der Bibel, eine ganzheitliche Bildung anstreben, um etwa religiöse Urteilskraft, ethisches Denken und Handeln zu fördern. Das seien Fähigkeiten, die Schüler bräuchten. Diese seien unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung eines Menschen und um sich in der Gesellschaft zurechtzufinden.


Fey: „In Zeiten, wo Schüler oft nur noch punktuell mit Religion in Berührung kommen, hat der Religionsunterricht eine besondere Bedeutung bekommen.“

Als Redner hatten Schulreferentin Elke Hirsch und ihre KollegInnen Professor Günter Böhm, Leitender Regierungsschuldirektor a.D., gewinnen können. Der 73-jährige renommierte Religionspädagoge lehrt noch heute an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster und in kirchlichen Instituten. Unter anderem saß er von 1997 bis 2003 dem Ständigen Ausschuss für Bildung und Erziehung, Kinder und Jugend in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vor. Böhm warb in seinem Referat für ein neues Verhältnis von Kirche und Schule: „Für eine große Anzahl von Kindern ist nicht die Kirchengemeinde oder Familie der Begegnungsort mit Religion, sondern, und oft der einzige, die Schule.“ Dort aber stehe die Leistungsfähigkeit in den mathematisch-naturwissenschaftlich Fächern und Sprachen im Vordergrund. In erster Linie gehe es darum, die spätere berufliche Leistungsfähigkeit und allgemein wirtschaftliche Produktion zu steigern. „Das ist mehr für den Kopf, als für das Herz, so Böhm. Schüler sollten sich aber nicht nur zu funktionierenden Wissensträgern, sondern Persönlichkeiten mit eigenem Verantwortungsbewusstsein und religiöser Urteilskraft entwickeln können. Dies sei um so notwendiger in einer immer unüberschaubareren Welt. In einer Welt, in der uns fundamentalistische, sowohl islamistische wie konservativ-christliche Strömungen mit fälschlicherweise religiösen Ansprüchen und vereinfachenden Positionen bedrohten. In dieser Situation werde Entscheidungsfähigkeit immer nötiger.


Gerade kommende Generationen müssten verstärkt nach eigenen Standpunkten zur Lebensorientierung suchen. Die Entwicklung der Schüler dahin gehend zu fördern, sei ein wesentlicher Auftrag der Schulen, so Böhm. Innerhalb dieser Erziehung wiederum übernehme der Religionsunterricht einen zentralen Part, beziehe er erkennbar Position. „Er macht die Schüler zukunftsfähig.“  Gleichwohl redete Böhm einem „fachlichen Überschreiten“ das Wort. Danach sollen die „religiösen Bedürfnisse“ der Schüler, deren Grundfragen nach dem Woher, Wozu und Wohin des Lebens auch außerhalb des Religionsunterrichts befriedigt werden können. Schule dürfe nicht nur Lernort, sondern müsse Lebensort sein. Sie soll die Schüler umfassend als Individuen stärken. „Wir unterrichten nicht einfach Fächer, wir begleiten Schüler als unsere Zeitgenossen.“ Böhm plädierte für ein konfessorisches Reden der Pädagogen. Dieses konfessorische, bekennende Sprechen verlaufe nicht nach Plan. Es biedere sich nicht an. Es warte, bis junge Menschen direkt oder indirekt fragen – eben nicht nur im Religionsunterricht.

Selbstverständlich dürfe das Grundrecht der Religionsfreiheit auch in der Schule wahrgenommen werden, sagte Böhm. Stehe aber unter diesen Umständen die Auswanderung des Religionsunterrichts aus der Schule bevor? Oder gebe es Gründe, gerade in dieser Situation den Religionsunterricht zu befürworten? Ja, unterstrich Böhm. Gerade in der heutigen Zeit komme dem Fach Religion eine entscheidende Funktion zu. „Religion kann in Ethik nicht aufgehen, Religion ist mehr“, so Böhm. „Sie ist ein wesentlicher Teil der Welterschließung.“ Nicht nur aufgrund dieser Bedeutung sei es legitim, wenn die Religionslehrer ihr Fach im Kollegium selbstbewusster vertreten würden, so wie es etwa die Naturwissenschaftler oder die Musik- und Kunst-Pädagogen täten.

Es sei notwendig, den Kontakt zwischen Kirche und Schule nicht nur aufrecht zu erhalten, sondern (wieder) zu intensivieren. Denn Religionsunterricht müsse nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch ins Christentum einführen und einen Zugang zu religiöser Sprache, zum Gebet öffnen. Diesbezüglich gab Böhm diverse praktische Hinweise. Ebenso zu einer „gestalteten Spiritualität“ in der Schule, zu der nach wie vor Gottesdienst, Andacht und religiöse Feier gehören würden. „Es gilt von der Rede über Gott zu der Rede mit Gott vorzustoßen.“ Böhm stellte fest, dass die Schule eine neue Offenheit für Kirche habe. Zugleich warnte er: „Wenn die Kirche das Schulfach Religion verliert, verliert sie einen Gesprächspartner.“

Der Religionsunterricht an den Schulen brauche Lehrer mit Leidenschaft, die die Leidenschaft ihrer Schüler achten, appellierte Böhm. Er brauche die Einbettung ins Schulprogramm. Und es brauche den Willen der Kirche, die Schüler – über den Unterricht hinaus – festzuhalten.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich