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Denkmal für die Opfer der NS-Militärjustiz am Appellhofplatz in Köln eingeweiht

Wo bislang Autos parkten, steht nun die „Pergola der Deserteure“, wie sie ihr Schöpfer Ruedi Baur nennt. „Hommage den Soldaten die sich weigerten zu schießen auf die Soldaten die sich weigerten zu schießen auf die Soldaten die sich weigerten zu schießen auf die Menschen die sich weigerten zu töten die Menschen die sich weigerten zu töten (…)“ So beginnt der Widmungstext des Denkmals für die Opfer der NS-Militärjustiz. Er ist als Kettentext in ein luftiges, netzartiges Aluminium-Dach „geschrieben“, das von wenigen, drei Meter hohen Stangen getragen wird. Wer sich unter dieses rechteckige Dach begibt und die Augen gen Himmel lenkt, liest die schwebend wirkenden Worte, deren Buchstaben verschieden farbig leuchten. Vor wenigen Tagen, am 1. September, exakt 70 Jahre nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkrieges, wurde das Denkmal in Verbindung mit einem Bürgerfest eingeweiht. Es steht am Rand des Appellhofplatzes, Ecke Burgmauer/Neven-DuMont-Straße, nahe dem Verwaltungsgericht und NS-Dokumentationszentrum, vis-à-vis dem Kölnischen Stadtmuseum.

Denkmal ist Soldaten gewidmet, die vor Militärgerichten standen
Gewidmet ist das Denkmal den Soldaten der Wehrmacht, die als Deserteure, Kriegsdienstverweigerer, „Wehrkraftzersetzer“ und „Kriegsverräter“ vor NS-Militärgerichten standen. Gewidmet auch den von NS-Sondergerichten verurteilten zivilen Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegnern. Nach Schätzungen von Historikern wurden weit über 100.000 Soldaten und Zivilpersonen dieser „Verbrechen“ angeklagt. 30.000 von ihnen wurden zum Tode verurteilt, mindestens 20.000 tatsächlich hingerichtet. Viele der zu Konzentrationslager oder Zuchthaus Verurteilten starben an den Haftbedingungen. Andere zwang man bis zu ihrer Hinrichtung oder zur „Bewährung“ in „Strafeinheiten“ an der Front im Osten.

Die Geschichte des Ludwig Baumann
Einer der wegen „Fahnenflucht im Felde“ zum Tode Verurteilten ist Ludwig Baumann. Der gebürtige Hamburger desertierte im Juni 1942 nahe Bordeaux von seiner Truppe. Am nächsten Tag wurde er gefangen genommen und Wochen später abgeurteilt. In seinen Zellen im KZ Esterwegen und Wehrmachtsgefängnis Torgau „stets an Händen und Füßen gefesselt“, erwartete Baumann täglich seine Hinrichtung. Monate lang. Darauf folgte die ihm erst spät mitgeteilte Umwandlung seiner Todesstrafe in Zuchthaushaft, der Einsatz im „Bewährungsbataillon 500“ und die sowjetische Kriegsgefangenschaft. Heute ist Baumann 87. Seit fast 20 Jahren kämpft er als Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der Militärjustiz e.V. auf vielen Ebenen für die Rehabilitierung der lange als Verbrecher verunglimpften, als „Kriegs- und Landesverräter“ gebrandmarkten Menschen. „Noch Jahrzehnte nach dem Krieg waren große Teile der Bevölkerung gegen uns, wurden wir kriminalisiert und nicht als NS-Opfer anerkannt“, sagt Baumann. Im Gegensatz dazu hätten die beteiligten NS-Juristen nach dem Krieg ihre Karriere fortsetzen können, bis in höchste Positionen. „Erst als niemand dieser Richter mehr in Amt und Würden war, wurde die Wehrmachtsjustiz als Blutjustiz beschrieben“, betont Baumann. Insgesamt habe sich in der Bevölkerung die Einstellung gegenüber den Wehrmachtsdeserteuren gründlich gewandelt. „Von vielen Menschen werden wir heute als Widerständler gesehen.“ Gleichwohl benötigte die politische Ebene, der Bundestag, lange für die ersehnte Entscheidung. Als im Mai 1998 sämtliche Todesurteile des NS-Unrechtsregimes aufgehoben wurden, blieben die Deserteure, „Wehrkraftzersetzer“ und „Kriegsverräter“ noch außen vor. Deren Rehabilitierung erfolgte erst 2002, jedoch mit Ausnahme der „Kriegs- und Landesverräter“. Diese Opfergruppe soll noch in diesem September Gegenstand eines entsprechenden Bundestagsbeschlusses werden. „Für mich geht ein langer Traum in Erfüllung“, freute sich Baumann anlässlich der Enthüllung des Denkmals, die er gemeinsam mit Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes vornahm. „Der Text spricht weder von Helden noch Anti-Helden. Aber was kann man Besseres tun, als den Krieg verraten?“, meint Baumann.

Gedenktag immer am 27. Januar
Bundesweit gibt es wohl an die 16 Erinnerungstafeln oder Mahnmale für Opfer der NS-Militärjustiz. Häufig auf private Initiative hin entstanden, stehen sie zumeist auf Privatgrundstücken. Allein das von bürgerschaftlichem Engagement angestoßene und mit beförderte neue Denkmal in Köln kann sich auf eine breite städtische Fürsprache, ideelle und finanzielle Unterstützung inklusive der Auslobung eines internationalen Künstlerwettbewerbes berufen. Bereits zu Zeiten der Friedensdemonstrationen habe es in Köln private Ansätze für ein solches Denkmal gegeben, die Pläne seien aber „versickert“, berichtet Malle Bensch-Humbach vom Verein EL-DE-Haus. Dieser gehört zu den Vereinen, Verbänden, Parteien, Einrichtungen, Initiativen und anderen Unterstützenden, die seit Jahren die zentrale Gedenkstunde in Köln anlässlich des Holocaust-Gedenktages am 27. Januar organisieren und durchführen. Darunter sind der Arbeitskreis Christlicher Kirchen, die Evangelische Gemeinde Köln und die evangelische Melanchthon-Akademie. Seit 1996 findet diese Veranstaltung in der evangelischen Antoniterkirche an der Schildergasse statt. Unter dem Motto „Erinnern – Eine Brücke für die Zukunft“ steht jeweils eine bestimmte NS-Opfergruppe im Zentrum des Gedenkens. 2006 war es insbesondere der Gruppe der Deserteure gewidmet. „Wir stellten fest, dass es hier fast gar kein Material gab“, erinnert Bensch-Humbach. „Zumindest konnten wir zwei uns bekannte Opfer eingeladen.“

Evangelische Gemeinde Köln leistete Beitrag
Bemerkenswert: Auf und im Zuge dieser Veranstaltung in 2006 reifte die Idee für die Realisierung des Denkmals für die Opfer der NS-Militärjustiz. Im Dezember des Jahres beschloss der Stadtrat, nicht nur Geld für ein solches Projekt zur Verfügung zu stellen, insgesamt 120.000 Euro, sondern für dessen Gestaltung auch einen internationalen Künstlerwettbewerb zu initiieren. Das NS-Dokumentationszentrum wurde mit der Durchführung beauftragt. Den Wettbewerb gewann der in Paris geborene Schweizer Grafik-Designer Ruedi Baur einstimmig. Der Rat folgte dem Votum der Jury. Derweil setzte die von Ehrenamtlichen gegründete Projektgruppe „Opfer der NS-Militärjustiz“ ihre Forschungen im Freiburger Militärarchiv nach verurteilten Deserteuren fort. Zudem machte sie mit Veranstaltungen verstärkt auf das Projekt aufmerksam und sammelte sie zusätzliche Spenden für dessen Umsetzung. Einer der vielen finanziellen Beiträge stammt von der Evangelischen Gemeinde Köln. „Wir sind erstaunt, wie viel Offenheit wir gefunden haben“, freut sich Bensch-Humbach. „Dass die Realisierung so schnell klappen würde, konnten wir uns nicht vorstellen.“

Nicht in der Peripherie, sondern im Zentrum
„Es ist ein Denkmal von nationalem Charakter und Rang“, betont Werner Jung, Leiter des NS-Dokumentationszentrums. „Seine Formensprache ist keine Betroffenheitsästhetik. Vielmehr wird eingeladen, das Objekt zu entdecken.“ Es verbinde künstlerische Aussagekraft mit der Idee von einer würdigen Denkmalsetzung in der Gegenwart. „In seiner Art hat es eine bundesweite Ausstrahlung, nicht nur auf der formalen Ebene“, verweist Jung darauf, dass es von einem bürgerschaftlichen Engagement initiiert und getragen ist sowie eine große Unterstützung von Rat und Verwaltung erfahren hat. Für Jung unterstreicht der Standort die Besonderheit des Denkmals. „Es ist nicht in die Peripherie abgeschoben, sondern steht im Zentrum.“ Damit sei auch verdeutlicht, dass die hier geehrte Opfergruppe in die Mitte der Gesellschaft gerückt werde.

Auch ein Ort des Nachdenkens
Ruedi Baur, der das Denkmal gemeinsam mit Denis Coueignoux und Karim Sabano entworfen hat, sieht in der „Pergola der Deserteure“ nicht nur ein Denkmal. Weitergehend soll es den Gegenwärtigen und Zukünftigen als Anstoß dienen, sich den hohen Stellenwert von Zivilcourage und Solidarität bewusst zu machen. „Was passiert, wenn man Gesetzen folgt, die ins Negative führen? Oft ergeben sich aus kleinen Gesten einzelner Personen viele weitere, die sich zu einer großen Verweigerung ausweiten. Zivilcourage heute: Das heißt menschlich sein in einem System mit Gesetzen“, interpretiert er das Objekt der Erinnerung zugleich als einen Ort des Nachdenkens über richtige Verhaltensweisen und Widerstand erfordernde Bedingungen.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich