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Dellbrücker Forum geht mit einem „kölschen Jubiläum“ zu Ende

„Sich einmischen oder besser raushalten – soziale Verantwortung der evangelischen Kirche in der Stadt“ – als die Synode des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Mitte im April 2011 unter diesem Motto tagte, konnte es kaum einen besseren Gastprediger für den Synodengottesdienst zum Thema geben als den Journalisten Arnd Henze. Dabei stammt der stellvertretende Auslandschef des WDR eigentlich aus dem Rechtsrheinischen, wo er seit 1993 das Dellbrücker Forum der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Dellbrück/Holweide leitet.
Am 15. Mai wird dort ein „kölsches Jubiläum“ stattfinden: Das 111. Forum fragt um 20 Uhr: „Die arabisch-islamische Welt im Umbruch: vom Frühling in die Eiszeit?“ Mit dabei sind der Kölner SPD-Bundestagsabgeordnete Rolf Mützenich sowie die Experten Katajun Amirpur und Stephan Rosiny. So ernsthaft und konzentriert die Diskussion sicher wieder werden wird – am Ende wird wohl ein wenig Wehmut aufkommen. Denn das 111. Forum wird auch das letzte sein: Arnd Henze wechselt vom Rhein nach Berlin, wo er die nächsten Jahre als Fernsehkorrespondent im ARD-Hauptstadtstudio tätig sein wird.
In den gut 20 Jahren in Köln hat sich Henze regelmäßig in der Evangelischen Kirche eingemischt: als Presbyter, Synodaler und als Prädikant – vor allem aber als streitfreudiger Referent und Moderator, der sich immer für einen weltoffenen und am Alltag der Menschen orientierten Protestantismus eingesetzt hat.
Das letzte Dellbrücker Forum beginnt um 20 Uhr in der Christuskirche. Ab 19.30 Uhr gibt es ein musikalisches Vorprogramm. Nach der Podiumsdiskussion lädt die Gemeinde zu einem Umtrunk auf dem Vorplatz der Kirche ein.


Was erwartet uns, wenn Sie beim 111. Dellbrücker Forum über „Die arabisch-islamische Welt im Umbruch – vom Frühling in die Eiszeit?“ diskutieren?
Henze: Vor gut einem Jahr haben wir zum ersten Mal über den „arabischen Frühling“ gesprochen – das war genau an dem Abend, an dem Mubarak seinen Rücktritt ankündigte. Da war auch in der rappelvollen Kirche die ganze Euphorie dieses Umbruchs zu spüren. Und trotzdem war auch vor einem Jahr schon erkennbar, wie schwierig und widersprüchlich dieser ganze Prozess werden würde: in Ägypten selber, in Libyen und Syrien – bis hin zu den großen Krisen wie dem Atomkonflikt mit dem Iran. Heute erscheint das alles unendlich kompliziert und ernüchternd. Umso wichtiger ist es, sich die Zeit zu nehmen, noch einmal genau hinzuschauen. Denn wie immer sich die arabisch-islamische Welt entwickelt: Es ist einer der großen historischen Prozesse in diesem Jahrhundert und wird uns auch in Europa unmittelbar betreffen. Wir können es uns deshalb gar nicht leisten, bei diesen Entwicklung den Überblick zu verlieren. Wenn wir da im Gespräch mit unseren exzellenten Experten ein wenig Orientierungshilfe geben können, wäre ich sehr zufrieden.

Wie haben Sie in den fast 20 Jahren die – inhaltlich ja sehr weit gespannten – Themen und Fragen für das jeweils anstehende Dellbrücker Forum gefunden? Hatten Sie dabei einen „Unterstützerkreis“ in der Gemeinde?
Henze: Bei aller Vielfalt gibt es schon Schwerpunkte. Unsere erste Veranstaltung vor fast 20 Jahren stand unter der Frage „Den Krieg wieder lernen?“ Damals ging es um die neue Rolle der Bundeswehr angesichts der Hungerkatastrophe in Somalia. Aber die Frage hat sich in all den Jahren immer wieder neu gestellt und zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Foren – vom Kosovo über Afghanistan, Kongo, Libyen bis heute, wenn wir auf die Gewalt in Syrien blicken. Aber dazu gehört auch, sich mit den Ursachen von Gewalt und Krieg zu beschäftigen: von den globalen Verteilungskonflikten zwischen Arm und Reich über die Folgen des Klimawandels bis zu den extremistischen Strömungen, die in allen Religionen die Gegensätze anheizen.
Das zweite große Thema, das uns in ganz unterschiedlichen Konkretisierungen beschäftigt hat, ist das Gelingen von Demokratie: Dabei habe ich das Forum immer auch als Demokratie-Werkstatt verstanden: Demokratie heißt Streitkultur, das Ringen um Antworten auf sehr komplexe Probleme – und die Erfahrung, dass Demokratie Spaß machen kann, wenn Menschen mit sehr gegensätzlichen Überzeugungen zusammen kommen und sich gegenseitig ernst nehmen.
Aus der Gemeinde habe ich dafür von Anfang an sehr viel Rückhalt und Vertrauen gespürt und immer wieder auch Anregungen für drängende Themen bekommen. Mir war immer wichtig, dass wir mit dem Forum ein Teil der Gemeindearbeit sind – und nicht nur ein Gast in der Gemeinde.

Trotzdem kamen sicher viele zum Forum, die normalerweise mit Kirche „nichts am Hut“ haben. Wie groß war das evangelische Sendungsbewusstsein des Dellbrücker Forums?
Henze: Jeder Besucher hat mitbekommen, dass hinter dem Podium ein Kreuz hängt und die Bänke unbequem sind. Es war immer klar: Wir sind in einer Kirche. Da musste ich gar nicht viel Worte drum machen. Natürlich haben wir uns gefreut, wenn manche Besucher auf diese Weise einen neuen positiven Zugang zur Kirche bekommen haben. Und tatsächlich haben einige sogar ihren Wiedereintritt in die evangelische Kirche mit unseren Veranstaltungen begründet. Aber das „Dellbrücker Forum“ war nie Mittel zum Zweck. Bei uns ist bis zur letzten Veranstaltung jede und jeder willkommen – egal welcher politischen Überzeugung und egal, ob und was jemand glaubt. Die einzige Zumutung besteht darin, diese Offenheit auch gegenüber anderen zu erwidern. An manchen Abenden war das für einen Teil des Publikums eine echte Provokation. Aber das hat viele Foren auch zu einem wirklichen Erlebnis gemacht – zum Beispiel, als leitende Angestellte von „Bayer“ und Aktivisten von „Attac“ über die Globalisierung diskutiert haben, oder als wir mit Christen, Juden und Moslems über die Trennung von Religion und Staat gestritten haben.

Wie haben Sie es geschafft, einerseits eine so treue „Stammbelegschaft“ unter den Zuschauerinnen und Zuschauern des Dellbrücker Forums aufzubauen, und andererseits auch immer wieder ganz neue Menschen zu erreichen?
Henze: Wir sind ja über die Jahre sehr langsam gewachsen. Natürlich verändert sich ein Publikum, wenn wir nicht mehr mit 30 Leuten um einen Tisch im Gemeindehaus, sondern mit 300 Leuten in der Kirche sitzen. Wichtig war mir immer die Balance zwischen dem sehr treuen Stammpublikum aus dem Stadtteil und den Besucherinnen und Besuchern, die teilweise von weither kamen, weil sie ein bestimmtes Thema oder die Referenten spannend fanden. Entscheidend war: Am Ende des Abends durften unsere treuen „Dellbrücker“ nie mit dem Gefühl nach Hause gehen, dass irgendwelche „üblichen Verdächtigen“ über ihre Köpfe hinweg diskutiert haben. Da habe ich als Moderator auch manchmal etwas heftiger eingegriffen, wenn sich jemand wichtig tun wollte. Aber auf eines war ich wirklich stolz: die oft sehr klaren und pointierten Fragen aus dem Publikum. Das waren nämlich wirklich Fragen, um etwas zu verstehen und keine Statements, um die Referenten zu beeindrucken.

Apropos Referenten: von Jürgen Trittin bis Karl-Theodor zu Guttenberg, von Hannelore Kraft bis Norbert Röttgen oder von Daniel Cohn-Bendit bis General Wolfgang Altenburg waren ja über die Jahre all die Politiker und Experten bei Ihnen auf dem Podium, die sonst bei Günter Jauch und Anne Will sitzen. Wie haben Sie die alle nach Dellbrück bekommen? War es auch schon mal schwierig, jemanden zu überreden, ausgerechnet in einer evangelischen Kirche „heikle Themen“ zu diskutieren?
Henze: Es wurde mit den Jahren immer einfacher. Denn diese Mischung aus Ernsthaftigkeit und Bodenständigkeit hat sich auch unter den Referenten herumgesprochen. Auch für Politiker kommt es ja gar nicht so oft vor, dass sie mit Menschen aus allen politischen Lagern einen langen Abend wirklich über Inhalte diskutieren. Die verbringen auch die meiste Zeit in ihren eigenen Biotopen, wo man sich entweder einig ist oder pauschal seinen Frust „auf die da oben“ ablässt. Das ist die große Chance, die ein kirchlicher Raum bietet: dass wir keine eigenen Interessen verfolgen und deshalb die verschiedenen Biotope zusammenbringen können. Also Menschen, die sonst nur übereinander und selten miteinander reden. Übrigens: Es fordert auch von Politikern einiges, über zwei lange Stunden wirklich argumentativ auf der Höhe zu sein. Als sich die ersten Politiker beschwert haben, dass wir sie noch nie eingeladen haben, wusste ich: Wir haben’s geschafft.

Sie haben sich ja nicht nur mit dem Dellbrücker Forum kirchlich engagiert. Was muss evangelische Kirche tun, um wieder „relevant“ im Leben der Menschen zu werden?
Henze: Ich halte es mit Dietrich Bonhoeffer: „Kirche ist Kirche für andere – oder sie ist nicht Kirche“. Umgekehrt halte ich alle Rückzugstendenzen auf einen angebliches „kirchliches Kerngeschäft“ für hoch gefährlich. Auf lange Sicht verkommt die Kirche damit zur Sekte.
Ich wünschte mir, dass jede Presbyteriums-Sitzung damit beginnt, eine Stunde lang darüber zu sprechen, was die Menschen im Stadtteil im Moment bewegt. Nur ein Beispiel: Was wissen wir in den Gemeinden über die völlig veränderte Arbeitswelt mit Zeitarbeit, befristeten Arbeitsverhältnissen, Minijobs etc.? Was bedeutet es, wenn immer mehr Menschen die berufliche Sicherheit für eine verlässliche Zukunftsplanung fehlt oder die ständige Mobilität es immer schwerer macht, soziale Bindungen aufzubauen – für Erwachsene bis zu den Kindern in den Kitas? Das alles schafft doch für viele Menschen enorme Unsicherheit, mit gravierenden Auswirkungen auf alltägliche Entscheidungen. Die wenigsten Presbyterien haben bisher auch nur begonnen, darüber nachzudenken, wie eine Gemeinde unter solch radikal veränderten sozialen Bedingungen Gemeinschaft und Rückhalt geben kann. Viele Gemeinden klammern sich ängstlich an Althergebrachtes, das mit der Lebenswirklichkeit vieler Menschen kaum noch etwas zu tun hat.

Bedeutet das: Die Kirche sollte wieder politischer werden?
Henze: Kirche ist doch auch politisch, wenn sie sich ins stille Kämmerchen zurückzieht. Umgekehrt wünsche ich mir aber auch keine Kirche, die von keiner Sachkenntnis getrübt zu allem ihren moralinsauren Senf dazu gibt. Eine Kirche, die sich in die gesellschaftlichen Debatten einmischt, muss zum einen wirklich bei den Menschen und zum anderen argumentativ auf der Höhe der Diskussion sein. Sonst liefern wir fromme Steine statt Brot. Das reicht von Konflikten im Stadtteil bis zu den Fragen globaler Armutsbekämpfung. Ich habe unsere Foren immer auch als Versuch verstanden, uns als Kirche für diese Debatten sprachfähig zu machen. Ich wünsche mir sehr, dass diese Lust auf die Wirklichkeit in den Kölner Gemeinden lebendig bleibt – und gerne noch ein bisschen wächst.

Wie hat die Gemeinde auf Ihren bevorstehenden Abschied aus Köln reagiert? Gibt es Pläne, das Dellbrücker Forum unter anderer Leitung, in veränderter Form weiterzuführen?
Henze, (mit einem Grinsen bei seinen ersten zwei Sätzen): Ich werde ja auch in Zukunft mehr als nur einen Koffer in Köln behalten. So ganz wird man mich nicht los… Aber alles hat seine Zeit, und deshalb macht es auch Sinn, die Forums-Reihe in dieser Form erst einmal zu beenden. Nur so kann dann auch etwas Neues entstehen. Ich habe die Dellbrücker Gemeinde mit ihrem Pfarrer Otmar Baumberger in all den Jahren als so lebendig und kraftvoll erlebt, dass ich mir in dieser Hinsicht keine Sorgen mache. Ich habe mich in der Gemeinde 20 Jahre lang zu Hause gefühlt und mit dem Forum übrigens auch für meine journalistische Arbeit im WDR ganz viel mitgenommen. Deshalb ist es mir ganz persönlich sehr wichtig, nach dem letzten Forum mit vielen noch einmal anzustoßen und Danke und „Auf Wiedersehen“ zu sagen.

Welche Aufgaben erwarten Sie denn in Berlin?
Henze: Ich wechsele als Korrespondent in ARD-Hauptstadtstudio und werde dann vor allem für die Tagesschau und Tagesthemen berichten. Da wird auch zukünftig die Außenpolitik einer meiner Schwerpunkte sein. Aber auf den neuen Blickwinkel freue ich mich sehr.

Text: AL
Foto(s): Dellbrücker Forum