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#dazusteheich – Superintendent Dr. Bernhard Seiger: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“

„Soll ich meines Bruders Hüter sein?“, fragt Dr. Bernhard Seiger, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Süd. In dem Beitrag der Reihe #dazusteheich erinnert er an das Ende des Ersten Weltkrieges vor fast 100 Jahren. Anhand der Frage aus dem 1. Buch Mose zeigt Dr. Seiger die Not auf, die durch Gewalt entsteht. Er fordert dazu auf: „Ja, natürlich sollen wir Hüter unserer Nächsten sein und sorgen um das, wie es ihnen geht in unserem Land und in unseren Nachbarländern.“

Hier der gesamte Text zum Nachlesen:

Im November 1918, vor 100 Jahren ist der erste Weltkrieg zu Ende gegangen. In diesen Wochen erinnern wir uns an diese Zeit und fragen nach den Gründen, wie Gewalt entstehen kann, wie sie sich aufschaukelt und manchmal nicht mehr zu stoppen ist. Die Erfahrung von Gewalt gehört schon von Anfang an zum Zusammenleben von Menschen. Es gibt diese alte Geschichte aus dem  alten Testament, erstes Buch Mose, Kapitel 4, in der erzählt wird, dass Kain seinen Bruder Abel erschlägt. Die Geschichte von zwei Brüdern. Einer hat das Gefühl, der andere ist bevorzugt  hat Erfolg, er selber nicht.  Es kommt Eifersucht auf und dann kommt es zum Äußersten. Auf einem Feld schlägt der eine Bruder den anderen. Gott lässt diese Geschichte nicht auf sich beruhen sondern konfrontiert den Täter mit seinem Tun, fragt ihn: „Wo ist dein Bruder Abel?“ Und da ist die ganze Geschichte im Raum, die Beziehung der beiden Brüder, die Gefühle, die Tat und das Elend.  Was antwortet Kain?  „Ich weiß nicht. Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ Es ist ein Wegducken, ein Ausweichen, nicht wahrhaben wollen eigener Verantwortung. Soll ich meines Bruders Hüter sein? Das ist dreist und frech, natürlich soll er seines Bruders Hüter sein.  Er soll sich um sein Wohlergehen kümmern und sorgen. Das mindeste was man hätte von ihm erwarten können, dass er seinen Bruder am Leben lässt.  Kain versteht in dem Moment welche Schuld er auf sich geladen hat und es  entsteht das Gefühl von Scham. Ein Gefühl,  das auch eine große Rolle spielt bei den Erinnerungen an den ersten Weltkrieg. Scham über die Gewalt, über die unglaublichen Grenzüberschreitungen, die Deutsche an anderen Nationen begangen haben und umgekehrt. Scham über die menschlichen Abgründe solcher Taten.  Wenn wir heute fragen: Soll ich meines Bruders Hüter sein? Was kann ich lernen aus den Erfahrungen der Früheren? Dann ist natürlich die Antwort: Ja, natürlich sollen wir Hüter unserer Nächsten sein und sorgen um das, wie es ihnen geht in unserem Land und in unseren Nachbarländern und an vielen anderen Stellen auf dieser Erde und allein dadurch Gewalt vorbauen. Soll ich meines Bruders Hüter sein? Ja, ich soll mich interessieren für die Lebensumstände, für die Erfahrungen, für die Gefühle. Für die Sichtweise des jeweils anderen. Das ist die beste Gewaltprävention die es gibt. Unsere Sprache verrät, ob wir Kinder des Friedens sind oder nicht.

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Text: APK
Foto(s): APK