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Das „literarisch-theologische Quartett“ traf sich wieder in Köln – als Gast mit dabei: Stadtsuperintendent Rolf Domning

„Ein Buch zu lesen, ist eine der lebendigsten Lebensformen dieser Welt“ – diese Feststellung machte der Moderator und Publizist Dr. Ulrich Harbecke zwar erst am Ende der Veranstaltung, doch sie hätte genauso gut als Motto am Anfang stehen können. Und sich über Bücher auszutauschen, ist ebenso lebendig, hätte das Fazit am Schluss lauten können. In munterer Runde beim „Kölner literarisch-theologischen Quartett“ unterhielten sich Harbecke, die Ehe- und Familienberaterin Heidi Ruster, Werner Höbsch, Leiter des Referats Dialog und Verkündigung im Erzbistum Köln, und der evangelische Stadtsuperintendent Rolf Domning im „Domforum“ über fünf ausgesuchte Bücher.

Auseinandersetzung mit der beruflichen Identität
Als Gast spiele er die erste Geige, scherzte Harbecke zu Beginn, und so durfte Domning als erster ein Buch vorstellen. Er hatte sich für Dieter Wellershoffs neuen Roman „Der Himmel ist kein Ort“ entschieden, in dem es um einen evangelischen Pfarrer geht, der in eine sich ausweitende Sinnkrise gerät. „ich habe es nicht in einem Zug gelesen, aber immer wieder gerne danach gegriffen“, schilderte Domning sein Leseerlebnis. Da ein evangelischer Pfarrer die Hauptperson ist, habe das Buch ihn auch zu einer Auseinandersetzung mit seiner eigenen beruflichen Identität geführt. Vor allem die „Grundverunsicherung in dem Beruf als solche“ habe er wiedergefunden. Das wird den Autor gefreut haben, denn Dieter Wellershoff saß mit im Publikum. Werner Höbsch bezeichnete den Roman als ein „Buch von gescheiterten Beziehungen, aber kein hoffnungsloses Buch“. Für Ruster zeigt sich diese Hoffnung, und damit auch der Himmel, der ja laut Titel nicht verortet werden könne, vor allem an einer weiblichen Figur, die sich dem Pfarrer nähern will. Dieser hoffnungsvollen Gefühlsebene stehe aber immer wieder die Verstandesebene gegenüber, auf der sich „alle Bilder machen von anderen und von Gott“, stellte Höbsch fest.

Brücken für den ökumenischen Dialog
„Schwarzbrot, keine leichte Kost“, so die Einschätzung von Höbsch, ist das Buch „Das Abendmahl – essen, um zu leben“ der beiden Professorinnen Andrea Bieler und Luise Schottroff. „Die beiden wenden sich gegen eine Verkürzung des Blickwinkels auf das Abendmahl“, lobte Höbsch das Buch, in dem das symbolische Essen, das in der Christenheit eine so eminent wichtige Rolle spielt, auf das einfache, reale Mahl zurückgeführt wird. „Die Themen in diesem Buch können Brücken im ökumenischen Dialog schlagen“, lobte er die Kernaussagen. Dem konnte auch Ruster zustimmen: „Das ist ein prima Konsenspapier.“ Domning fand den Gedanken hochinteressant, dass „hier ein Mahl für alle vorgestellt wird, während wir als Kirche ja oft darüber befinden wollen, wer daran teilnehmen darf“. Ein Gedanke, der auch den Moderator zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für die Rückkehr zur Einfachheit trieb. „Es ist eine einfache Sache, die über die Jahrtausende symbolisch überfrachtet worden ist. Wenn wir Jesus wieder als Souverän des Geschehens anerkennen, dann verlieren wir nicht den Blick dafür. Das Zusammenkommen bei einem Mahl ist ein elementares Zeichen der Gemeinschaft.“ Dennoch, da waren sich alle Podiumsgäste einig, kein Buch zum Zeitvertreib, Schwarzbrot eben.

Familienbild mit lebendigen Figuren
Auch der nächste Roman bedürfe einer gewissen Anstrengung beim Lesen, stellte das Quartett übereinstimmend fest. „Houwelandt“ des Dramatikers und Drehbuchschreibers John von Düffel entwirft ein Familien- und Beziehungsbild, bei dem das angekündigte Familienfest zum 80. Geburtstag des Familienpatriarchen bei dessen Sohn zu tiefen Auseinandersetzungen mit der eigenen Biografie und der Beziehung zum Vater und zum eigenen Sohn führt. „Die Bindungs- und Zerstörungsgewalt von Familien wird gleichermaßen sichtbar“, so Ruster, die das Buch vorstellte, während Harbecke vor allem der ständige Positionswechsel zwischen den verschiedenen Protagonisten faszinierte, obwohl ihn das breit gefächerte Tableau der Personen und Themen als „psychologisch überanstrengter Versuch“ nicht gänzlich zu überzeugen wusste. Dem widersprach Ruster, die vor allem die fein gezeichneten und lebendigen Figuren in dem Buch hervorhob.

Anti-Held spaltet die Runde
Noch mehr Dissens in der Runde rief „Die Offenbarung“ von Robert Schneider hervor. Schneider, der mit seinem Erstling „Schlafes Bruder“ einen Riesenerfolg feierte, stellt einen Anti-Helden in den Mittelpunkt, „einen Fehlversuch Gottes, der es nicht mal zu einer Stasi-Akte gebracht hat“, so Harbecke, der sichtlich begeistert die romantische Grundstimmung des Romans lobte. In dessen Verlauf stößt dieser Anti-Held auf ein bislang unbekanntes Oratorium von Johann Sebastian Bach über die Offenbarung, was zu okkulten Verwicklungen und satirischen Seitenhieben führt. „E.T.A. Hoffmann hätte auf diese Idee kommen müssen“, hätte Harbecke in seiner Begeisterung am liebsten die Literaturgeschichte umgeschrieben. Höbsch und Ruster ließ das eher kalt: „Ich hatte Schwierigkeiten beim Lesen. Was für eine Art Buch habe ich hier? Mir fehlt die Stringenz“, fasste Höbsch seinen Eindruck zusammen, dem Ruster mit dem Adjektiv „patchworkmäßig“ beipflichtete. Für Domning wiederum hatte das Buch keinen „großen Ertrag“, sei „aber ein Vergnügen beim Lesen“ gewesen.

Simone Weil und der Glaube
Am Ende siegte die Harmonie. Dem Buch „Schönheit spricht zu allen Herzen – Das Simone-Weil-Lesebuch“, herausgegeben von Otto Betz, konnten alle mehr oder weniger nur Gutes abgewinnen. In dem Lesebuch sind Texte der früh verstorbenen französischen Dichterin Simone Weil enthalten. „Ich habe seit langer Zeit kein so christliches Buch mehr gelesen“, staunte Harbecke über die Texte einer Jüdin, die sich immer mehr dem Christentum annäherte, aber „lieber für die Kirche sterben als ihr beitreten“ wollte. Auch Ruster zeigte sich fasziniert von den Gedanken dieser Frau. Höbsch ging es ähnlich, wenngleich die literarische Form des Lesebuchs bei ihm eine gewisse Unzufriedenheit hervorgerufen hatte: „Ich hätte gerne die ganzen Texte gelesen.“ Domning war vor allem von den Gedanken Weils zum Thema Glauben angetan, die allerdings- und da schlug er die Brücke zum Anfang der Runde – in starkem Kontrast zu den Äußerungen in Wellershoffs Roman zu diesem Thema stünden.

Heinrich Böll ist das nächste Thema
Wer durch die angeregte Diskussion Lust auf mehr bekommen hatte, der konnte die besprochenen Bücher gleich käuflich erwerben oder sich schon auf die nächste Ausgabe des „Literarisch-theologischen Quartetts“ freuen. Bei der dreht es sich am Donnerstag, 17. Juni, ab 19.30 Uhr im „Domforum“, Domkloster 3, um den 25. Todestag des Kölner Literatur-Nobelpreisträgers Heinrich Böll.

Text: Jörg Fleischer
Foto(s): Fleischer