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Das Kreuz mit dem Sühneopfer: In einem ökumenischen Studientag beschäftigte sich die Melanchthon-Akademie mit dem Streit um das Verständnis des Todes Jesu

Jesus ist für unsere Sünden gestorben: Diese Deutung des Todes Jesu bestimmt seit Jahrhunderten das christliche und kirchliche Weltbild. Sind diese Deutung und das Verständnis von Jesu Tod als „Sühneopfer“ aber noch zeitgemäß? Kritische Fragen und Kommentare werden schon seit längerem laut. Grund genug für die Melanchthon-Akademie des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region, dem Thema in ihrer Reihe „Tacheles reden“ nachzugehen. Gemeinsam mit der Erzbischöflichen Bibel- und Liturgieschule Köln, dem Referat Dialog und Verkündigung im Erzbistum Köln und der Gemeinschaft Evangelischer Erzieher organisierte die Akademie einen ökumenischen Studientag mit dem Titel „Sühne, Opfer oder was? Zum Streit um das Verständnis des Todes Jesu“.

Theologie ist ein schwieriges Geschäft“
„Im Rheinland ist im Frühjahr eine richtige Debatte losgetreten worden durch die Morgenandachten des früheren Bonner Superintendenten Burkhard Müller. Dort wurde das Thema aufgegriffen“, erzählt Pfarrer Dr. Martin Bock, Leiter der Melanchthon-Akademie. Eine abschließende Klärung der Frage, das betont Bock, habe auch der Studientag nicht erbracht. Aber die mehr als 80 Teilnehmenden – Pfarrerinnen und Pfarrer, Theologen beider Konfessionen und interessierte Gemeindeglieder – diskutierten angeregt, ob das Opferthema noch zeitgemäßer Bestandteil der kirchlichen Liturgie und Lehre sei, oder ob die Sprache der Kirche in diesem Punkt nicht überdacht werden müsse. Und sehr schnell wurde dabei deutlich, dass, so Bock, „Theologie ein echt schwieriges Geschäft ist“.

Reibung zwischen Tod und Liebe
Das manifestiert sich an der Reibung, die zwischen dem Tod als Folge eines Aktes der Gewalt und der verzeihenden, lebensbejahenden Liebe Gottes besteht. Müller ging in seinen Morgenandachten so weit zu sagen, dass der Tod Jesu keine Heilsbedeutung habe, sondern das Leben Jesu. Auch der evangelische Theologe Professor Klaus Peter Jörns, einer der Referenten des Studientages, ist der Ansicht, dass die Kirche neue Bilder finden müsse, um die Menschen heute zu erreichen. „Das Leben Jesu, nicht sein Tod, ist ein erfolgreicher Versuch, die verzeihende Liebe Gottes unter das Volk zu bringen.“ Er postuliert einen Abschied von dem Opferbegriff in Theologie und Kirche. Aber kann man sich als Kirche von biblischen Texten verabschieden, die eine „Zumutung“ darstellen? Nein, meint der katholische Theologe Professor Ralf Miggelbrink. Der steht zwar dem Opferbegriff ebenfalls kritisch gegenüber, stellte aber auch fest, dass das Thema nicht einfach abgestreift und vergessen werden könne.

Legitimation für Opfer von Menschen
Für Bock ist die Jahrhunderte alte Deutung als Sühneopfer eine Legitimation für die Opfer von Menschen schlechthin. Eine Deutung, die sich nicht auf den religiösen Bereich beschränke, sondern mittlerweile tief im kulturellen Erbe christlicher Gesellschaften verwurzelt sei. „Ein Beispiel dafür ist der Spielfilm ,Titanic‘ der eine einzige Hommage an das Opfer aus Liebe ist.“ Auch in einigen Passionsliedern von Paul Gerhardt „ertrinkt man im Blut. Das sind keine lebensfördernden Bilder“. Das immer wiederkehrende Motiv des Sühneopfers sei eine fremde und damit schädliche Kategorie, die über den positiven Kern von der Liebe Gottes und der Versöhnung gelegt werde. Das Kreuz als „Siegessymbol“ habe seinen Ursprung in der Kreuzigung, „und das ist schließlich eine Todesstrafe gewesen“, sagt Bock.

Thema wichtig für Verhältnis zwischen Christen und Juden
Das Sühneopfer und die Metaphorik vom Kreuz sind aus der Sicht des Akademieleiters ein „Stachel im Fleisch der Kirche“, der immer wieder thematisiert werden müsse. „Die Auslegung der biblischen Texte ist ein Geschäft, das nie zu Ende geht.“ Auch für Verhältnis zwischen Christen und Juden müsse das Opferthema immer wieder diskutiert werden. Es könne nicht sein, dass die christlichen Kirchen den „negativen Kontext“ einfach abstreife und der jüdischen Religion aufbürde. Doch das sei „ein Nadelöhr, das immer wieder auftaucht und immer wieder Kulminationspunkte schafft“.

Debatte bringt nur zeitweise Lösungen
Auch wenn die Diskussion solcher Fragen nicht endet und die Debatten immer nur zeitweise Lösungen bringen, habe sich nach Bocks Meinung schon einiges getan, beispielsweise in der Liturgie des Abendmahls in evangelischen Gottesdiensten. „Hier wird nicht mehr nur vom Opfer gesprochen, sondern auch von der Gemeinschaft und von der Liebe.“ Das Leben Jesu werde als Aufbruch verstanden und nicht mehr nur von seinem Tode aus betrachtet.

Die Debatte nachhören
Die evangelische Melanchthon-Akademie stellt derzeit zwei Hör-CDs her, auf denen der Verlauf des Studientages „Tacheles reden“ dokumentiert ist. Gegen Ende des Jahres sind die CDs fertig und können über die Akademie, Kartäuserwall 24, Telefon 0221/93 18 03-0 bezogen werden. Mehr Informationen dann auch unter www.melanchthon-akademie.de

Text: Jörg Fleischer
Foto(s): Berthold Werner