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Das Jubilate-Forum in Lindlar zeigt Kunst in bestem Licht

Zur Vernissage der Ausstellung „Im Augenblick“, am 27. Mai 2011, begrüßte Friedemann Knizia, Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Lindlar, die zahlreich erschienen Gäste. Etwa 60 bis 70 Besucher fanden am sonnigen Freitagabend den Weg zum „Jubilate-Forum“ der bergischen Gemeinde. Das neue Haus wurde nach rund einem Jahr Bauzeit am 20. März 2011 festlich eingeweiht. Direkt neben der 1954 bis 1956 erbauten Jubilate-Kirche, dem Herzstück der Kirchengemeinde, präsentiert sich das Forum mit modernen, großzügigen Räumen, mit neuen Kontaktangeboten und einer großen Programmvielfalt. Ein Halbjahresprogramm füllt die Leitidee des Forums „Menschen, Vielfalt, Begegnung“ mit Leben: mit einer vielseitigen Mischung aus Events, kommunikativen Treffs, Kursen und Diskussionsforen.

Opulenz der Farben im Jubilate-Forum
Diese erste Ausstellung in dem neuen Haus ließ die strahlende Abendsonne „in bestem Licht“ erscheinen. Von den Gemälden Markus Frägers war Pfarrer Knizia, wie er berichtete, sofort beeindruckt, als er diese vor wenigen Jahren auf der Frankfurter Kunstmesse erstmals sah: Die Opulenz der Farben, die Großformatigkeit, die bewegten Menschen sprachen ihn an. Als das „Jubilate Forum“ entstand, erinnerte er sich an die Bilder: „Könnte das funktionieren, diese Werke hier zu zeigen?“ Eine Besichtigung mit Markus Fräger Ende 2010, das Forum war noch ein Rohbau, gab Klarheit. „Die Bilder sind ein Gewinn für das Haus“, stellten sie einhellig fest, der Pfarrer und der Künstler. Gemeinsam hängten sie auch die Bilder auf, an den neuen, weißen Wänden. Beispielhaft sei dieser Prozess der Planung und Umsetzung gewesen, so Knizia, beispielhaft auch für die Perspektiven und die Nutzung des Jubilate-Forums. „Bescheidenheit sei in diesem Hause fehl am Platz“ beendete er dann auch mit einem Augenzwinkern seine Begrüßung und leitete über zur Bewirtung der Gäste. Für deren leibliches Wohl war mit Getränken und Speisen gut gesorgt. Nach dieser Begrüßung gaben Matthias Bauer am Saxophon und Florian Offermann am Piano ein musikalisches Intermezzo. Später begleitete das Duo mit instrumentalen Jazz- und Swingklängen den Rundgang durch das Haus und untermalte den geselligen Ausklang. Nach der ersten Musikeinlage folgte der Vortrag des Kölner Kunsthistorikers, Stadtführers und Mitarbeiters der AntoniterCityKirche Günter Leitner.

Zugang zum barocken Lichtverständnis
„Westfale, Sohn eines Grafikers, 50er-Jahre-Kind“ eröffnete Leitner die Vorstellung des Künstlers und seines Werks. Markus Fräger, 1959 in Hamm geboren, „macht heftig Musik, spielt in einer Band … dann möchte er Maler werden, Künstler der Sinne, Farbe riechen, Bilder fühlen, Motive erhören und natürlich sehen … will Maler sein, Visionär, Beschreiber, Verfasser, Beobachter“, so Leitner. Doch Markus Frägers Kunst passt nicht zum Akademiebetrieb seiner Zeit: „Alles zu figürlich, zu realistisch“, ohne das erwünschte gesellschaftspolitische „Aufwecken“. Fräger wechselt die Seite und studiert Kunstgeschichte und Archäologie in Münster. Einer seiner Lehrer, Professor Georg Kaufmann, profunder Kenner der Renaissance- und Barock-Malerei, stellt das Licht in der Malerei in die Mitte der Betrachtung. Das barocke Lichtverständnis schafft für Fräger einen neuen Zugang zum Bild. Überhaupt gewinnt das Licht für ihn die allergrößte Bedeutung. Nach sechs Jahren Studium beginnt er wieder zu malen. Zunächst malt er Akte, zeigt den entblößten Menschen, mit all seinen Facetten, im Spiel von Hell und Dunkel, Fläche und Tiefe – so wie er ist, mit Licht und Schatten. Später werden die einzelnen Akte zu Gruppen, nehmen Beziehungen auf. In dramatischer Weise verlagert sich der Bildraum zusehends in den Betrachterraum: Der Betrachter wird vom Bild getroffen. Die Betrachtung des Bildes versetzt ihn zusehends in eine innere Bewegung. Im Gegenzug treten die Personen aus dem Bild heraus in sein Leben.

Polaroidbilder mit ihrer Zufälligkeit
Doch was soll der figürliche Maler heute noch malen? „Die Fotografie hält sowieso alles fest, alles wird vergegenwärtigt, digitalisiert, ist reproduzierbar“, konstatierte Leitner. Doch ausgerechnet hier, in der Inflation der Bilder, habe Fräger „sein neues Bild“ gefunden. Er findet Fotos im Internet und schenkt dem alten Polaroidfoto neues Leben. Für ihn weisen die Polaroidbilder mit ihrer Zufälligkeit, in all ihrer Moment- und Ausschnitthaftigkeit, ja selbst in ihrer chemischen Zusammensetzung malerische Qualitäten auf. Wenn das Licht passt, dann fügen sich die vielen Bilder zu einem Bild zusammen. Dabei geben die Polaroids oftmals den Input für das, was auf der Leinwand dargestellt sein will. Dann malt Fräger mit breitem Strich seine Bilder. Das Bild findet sich und entsteht bei ihm auf der Leinwand, so Leitner, „und der Betrachter sieht das seine“.

Das Schöpferische ist lebendig in Frägers Bildern
Für die Betrachter in Lindlar gab es nach einer weiteren Musik einen Rundgang durch die Ausstellung in den verschiedenen Räumen und Gängen des Forums. Im Gespräch zwischen Günter Leitner und Markus Fräger erfuhren und erlebten die Besucher die unterschiedlichen Aspekte der Gemälde, ihre Bezüge in der alten Malerei und in der Populärkultur sowie ihre individuellen Deutungsmöglichkeiten. Aufschlussreich, unterhaltsam und anregend ging es von Bild zu Bild. Fragen aus dem Kreis der Besucher vertieften das Gehörte und Gesehene und setzten persönliche Akzente. So halfen Künstler und Kunsthistoriker den ihnen angeregt folgenden Gästen, „das Erschaffene zu sehen“. Die Ölbilder von Markus Fräger entwickeln und verändern sich jeweils individuell in der Wahrnehmung der Betrachter. Auf diese Weise kommt es vor dem Bild zur Erschaffung eines neuen Bildes. Vor diesem Hintergrund schlug Günter Leitner einen großen Bogen, indem er auf den alten Hymnus zum Pfingstfest verwies: „Veni Creator Spiritus“, von Luther übersetzt mit „Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist“. Dieses Schöpferische ist lebendig in Frägers Bildern, dort, „wo etwas Weggeworfenes, etwas Verworfenes zu einer Neuschöpfung führt“, dort, „wo aus Erschöpfung Schöpfung“ wird, so Leitner. Diese Ölbildnisse lenken den Blick auf den kreativen Menschen, der Wirklichkeit neu schafft: auf den Künstler, auf den Betrachter.

Lebendiger Niederschlag gelebten Lebens
Von den in Lindlar gezeigten Bildern Frägers, der heute in Köln lebt und arbeitet, seien zwei Großformate hervorgehoben, die im weiten offenen Saal des Forums ausgestellt sind: „Blick zurück“ (2008, 220 x 240) und „Difficult Negotiations“ (2010, 200 x 240). Beide Bilder sind Kompositionen, in der Weise, dass in ihnen verschiedene Bild-Quellen, Bild-Chiffren, Bild-Inhalte zusammenfallen, darunter achtlos weggeworfene Polaroids, barocke Konstellationen, kunsthistorische Bezüge (etwa zu Vermeer oder Velasquez), eine 68er-Kommunardengruppe, die Momentaufnahme einer Museumsbesucherin im Louvre, Webcam-Aufnahmen, Pics aus dem Netz. Ungleichzeitiges erscheint zeitgleich. Was hat es mit der Zeit auf sich? Zeit fällt zusammen! Zusammengepresste Zeit! Fräger und Leitner diskutieren die Frage, ob nicht in unserem Unbewussten vielerlei Kompositionsformen und -chiffren gespeichert sind, nicht nur als Konstrukte, sondern als lebendiger Niederschlag gelebten Lebens, gedachter Gedanken. Diese Bilder rufen sie hervor „im Louvre von Lindlar“, so Leitner.

Entscheidende Schritte müssen allein gesetzt werden
Im angeregten Gespräch zwischen Günter Leitner und Markus Fräger stieß der Eine die Frage an, ob sich in den Bildern des Anderen, in der Realität, die sie zeigen, etwas Metaphysisches abbildet. Daraufhin betonte Fräger, dass für ihn ein wesentlicher metaphysischer Ort „zwischen den Menschen“ liege: Und gerade dieser Raum „dazwischen“ lasse viele Deutungen zu, wenn auch nicht zwingend, in den Bereich des Christlich-Religiösen hinein. Im Katalog der Fräger-Ausstellung „Verlassene“ (2011 in Frankfurt am Main) beschreibt der Theologe und Kunstfachmann Jürgen Lenssen eine Erfahrung, die in Lindlar ebenso zu machen ist: „Zuweilen wohnt den Bildwerken von Fräger eine spürbare Verlassenheit inne, die sich aber dadurch erklärt, dass derjenige, der seinen Weg sucht und zu gehen bereit ist, ihn immer allein beschreiten und hinter sich bringen wird. Die entscheidenden Schritte müssen immer allein gesetzt werden.“

Weiße Wände werden mit den Ölbildern lebendig
Im Jubilate-Forum in Lindlar sind keine einfachen Bilder zu sehen, „aber Bilder voller Sinnlichkeit und Spannung“, wie es in der Einladung heißt. Die Vernissage bestätigte dies eindrucksvoll. „Es ist eine Lust, dass die Wände mit den Werken von Markus Fräger nicht einzwängen, sondern mit ihrem ‚Komm raus!‘ Anstoß zum Leben geben.“ So Lenssen. Es ist eine Lust, die weiten, lichten Räume des Forums zu betreten und zu erleben, wie die weißen Wände mit den farbigen Ölbildern lebendig werden, sich öffnen und hinein führen in das Leben, das vor oder hinter uns liegt, das uns immer, allüberall umgibt. – Ein wirklich gelungener Auftakt!

Die Öffnungszeiten:
Die
Ausstellung „Im Augenblick“ ist noch bis Sonntag, 10. Juli 2011, im Jubilate-Forum Lindlar, Auf dem Korb 21, 51789 Lindlar, zu sehen. Weitere Informationen bieten die Internet-Seiten: www.jubilate-forum.de www.ev-kirche-lindlar.de www.markusfraeger.de

Text: Manfred Loevenich
Foto(s): Manfred Loevenich