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Das 13. Altenberger Forum „Kirche und Politik beschäftigte sich mit Armut in RheinBerg

Kein leichtes Thema hatten sich die Veranstalter für das 13. Altenberger Forum „Kirche und Politik“ ausgesucht: „Arm in RheinBerg“ lautete die Überschrift der Veranstaltung, und rund 100 Gäste im Martin-Luther-Haus folgten der Einladung von Landrat Rolf Menzel und dem Ökumeneausschuss des Rheinisch-Bergischen-Kreises. Nach einem ökumenischen Gottesdienst im Altenberger Dom diskutierten Landrat Rolf Menzel, Professor Dr. Thomas Münch von der Fachhochschule Dortmund, Markus Kerkhoff vom Vorstand der Bergisch Gladbacher Tafel und Judith Becker, Leiterin des Netzwerks „Wohnungsnot RheinBerg“ das Thema unter der Moderation von Melanie Wielens.

Armut hat viele Gesichter
Ist Armut nun „jung, weiblich, allein erziehend und arbeitslos“, wie Münch feststellte? Oder doch eher „männlich, mittelalt und allein stehend“, wie Judith Becker beobachtet hat? Armut hat viele Gesichter, viele Ursachen und viele Folgen. Das Dilemma der Vielschichtigkeit und Komplexität deutete Kurt Röhrig, Vorsitzender des Ökumeneausschusses und früherer Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Köln-Rechtsrheinisch, schon bei der Begrüßung an: „Wir werden heute sicherlich keine Lösung finden.“ Das Thema sei aber aktueller denn je, „und es steht uns als Kirche gut an, nach Wegen zu suchen!“

18.000 Menschen im Kreis leben von Hartz IV
Die Suche begann mit einer Bestandsanalyse, und schon da wurden die ersten Diskrepanzen deutlich. „Der Rheinisch-Bergische Kreis gehört zu den drei wohlhabendsten Kreisen in Nordrhein-Westfalen“, erklärte Landrat Menzel. 27.000 Euro betrage hier das Durchschnittseinkommen pro Jahr, 5000 Euro über dem Landesdurchschnitt. Nicht schlecht, aber eben auch nicht paradiesisch: „18.000 Menschen im Kreis leben von Hartz IV, wofür wir jährlich 97 Millionen Euro ausgeben“, führte Menzel weiter aus. Zehn Prozent aller Jugendlichen im Kreis leben in so genannten Bedarfsgemeinschaften von staatlicher Hilfe, die Eltern von 20 Prozent der Kinder sind aufgrund ihres fehlenden oder geringen Einkommens von Elternbeiträgen für den Kindergarten befreit. Der dickste Dorn im Auge von Menzel aber sind die 1200 Menschen, die arbeiten und trotzdem die Hilfe der öffentlichen Hand benötigen. „Wer Vollzeit arbeitet, muss sich und seine Familie davon ernähren können. Das ist ein gesellschaftlicher Anspruch, den wir erfüllen müssen!“ Wie? „Wenn das heißt, wir brauchen einen Mindestlohn, ja, dann bin ich für einen Mindestlohn.“

Armut bedeutet weniger Bildung – und umgekehrt
Seit den 80er Jahren sei die Einkommensschere in Deutschland immer weiter auseinander gegangen, erläuterte Professor Münch. Wer aber ist nun arm? „Es wurde festgelegt, dass Menschen als arm bezeichnet werden können, wenn sie weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung haben.“ In Zahlen: 780 Euro pro Monat. Diese normative Größe ist die Grenze. Hat jemand weniger, muss der Staat eingreifen. „Es ist natürlich klar, dass mit diesem Geld hier jemand als arm gilt, in Afrika beispielsweise aber zur Oberschicht zählen würde“, machte Münch klar, dass Armut immer auch ein relativer Begriff sei. Armut manifestiere sich nicht nur in der Summe des Geldes, sondern auch aus den daraus resultierenden Zugangsmöglichkeiten zu sozialen Standards – an erster Stelle wurde hier Bildung genannt. „Einkommen und Bildung stehen in einem engen Verhältnis, ebenso Einkommen und Gesundheit.“ So gebe es in Nordrhein-Westfalen zwischen der Lebenserwartung eines „reichen“ Mannes und der eines „armen“ Mannes einen Unterschied von immerhin zwölf Jahren. Der Soziologe betonte aber auch, dass Armut nicht immer einhergehe mit Arbeitslosigkeit: „Auch fünf bis acht Prozent der Beschäftigten müssen als arm bezeichnet werden.“ Ursache seien befristete Anstellungen und schlechte Bezahlung. Wer heute einen Job habe, klammere sich mehr denn je daran. Nach der heutigen Gesetzgebung rutsche man nach einem bis anderthalb Jahren vom Arbeitslosengeld in Hartz IV und werde damit zum Sozialfall. „In nur zwölf bis 15 Monaten kann man vom reichen zum armen Mann werden und ist plötzlich alleine. Das diszipliniert ungemein!“

Problembewusstsein ist vorhanden
Soziale Isolation, die machte auch Judith Becker bei ihrer Klientel aus. 350 bis 450 Menschen sind es, die im Rheinisch-Bergischen Kreis wohnungslos sind oder davon bedroht sind. „Wir sind keine Wohnungsvermittlung“, schränkte sie die Erwartungshaltung ein. Aber Beratung und vermittelndes Eingreifen bei Problemen mit Vermietern gehöre ebenso zu den Aufgaben wie Hilfe für Menschen, die ihre Wohnung verloren haben. „Die meisten Betroffenen sind hier aufgewachsen“, sagte sie. 1993 wurde das Netzwerk gegründet, der Bedarf sei da. Ein weiteres Zeichen für die Armut in RheinBerg, die, so Menzel, „nicht so signifikant wie in der Großstadt Köln“, aber dennoch vorhanden ist. Beim Thema Wohnungslosigkeit – „Nicht zu verwechseln mit Obdachlosigkeit“, betonte Becker – habe sie ein gutes Klima im Kreis festgestellt. „Wir bekommen viel Unterstützung von öffentlichen Stellen. Das Problembewusstsein ist durchaus vorhanden.

Zusatzversorgung, keine Vollversorgung
Unterstützung und Zuspruch bekommen auch Markus Kerkhoff und die rund 120 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bergisch Gladbacher Tafel. Wie viele Vorbilder, auch in Köln, versorgt die Tafel bedürftige Menschen mit Lebensmittel. „Etwa 2900 Menschen haben bei uns ihre Bedürftigkeit nachgewiesen und einen Tafelausweis erhalten. Zunächst einmal pro Woche, seit neuestem zweimal, konnten sie dann bei der Tafel unterschiedliche Lebensmittel bekommen zum symbolischen Preis von einem Euro. Rund 800 Personen sind es im Schnitt an jedem Ausgabetag, „die wir wie Kunden behandeln“, betonte Kerkhoff. Und deren Zahl steige ständig. Ein wichtiges Element der Tafel: „Es soll eine Zusatzversorgung sein, keine Vollversorgung!“ Ein ehrenamtlicher Verein könne nicht die Aufgabe von Politik und Land oder Kommune übernehmen. Trotz der ständig wachsenden Zahl an Menschen bleibe eine Personengruppe noch außen vor: „Ältere Menschen kommen kaum zu uns, wahrscheinlich aus Scham.“

Sozialversicherung sichert Demokratie
Bei allem Lob für den ehrenamtlichen Einsatz vermisste Thomas Münch den politischen Aspekt bei dieser Arbeit: „Es ist eigentlich ein Skandal, dass Menschen in diesem Land von Lebensmitteln leben müssen, die kurz vor dem Verfallsdatum stehen. „Und diese politische Aussage müsse mit dem ehrenamtlichen Engagement gekoppelt werden. Hilfe für Arme, ob ehrenamtlich oder vom Staat durch Hartz IV sei auch keine Hängematte für Bedürftige: „Die Missbrauchsquote liegt bei zwei bis vier Prozent. Das sieht bei der Steuerhinterziehung ganz anders aus.“ Grundsätzlich seien die staatlichen Unterstützungssysteme eine „zivilisatorische Errungenschaft“, für die es sich zu kämpfen lohne: „Jeder Euro Sozialversicherung sichert unsere Demokratie!“

Text: Jörg Fleischer
Foto(s): Fleischer