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„Christsein in einer säkularen Welt“

Als „wertvolle Partner für die stetige Weiterentwicklung zu einer humanen und gerechten Gesellschaft“, als Garanten für „Solidarität und Nächstenliebe“ bezeichnete Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes die Kirchen und Religionsgemeinschaften, als sie bei der Reformationsfeier des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region zu Gast war. Doch welche Orientierung kann speziell der evangelische Glaube bieten, wie sehen seine Antworten auf die Fragestellungen einer digitalisierten, globalisierten und eher materialistisch gestimmten Gegenwart aus?

Mehr Besucher als Stühle
„Christsein in einer säkularen Welt“ lautete das Thema der Feier in der Trinitatiskirche, die vom Blechbläserensemble des Posaunenwerks Rheinland begleitet und von Superintendent Dr. Bernhard Seiger und Superintendentin Andrea Vogel liturgisch geleitet wurde. Die Themenstellung hatte so viele Besucher angezogen, dass die zur Verfügung stehenden Stühle kaum ausreichten.

Der scharfe Blick für Gesellschaft und Kirche
Stadtsuperintendent Rolf Domning machte Mut, indem er die Besucher daran erinnerte, dass die evangelische Kirche zahlreiche wichtige Veränderungen angestoßen hat in den fast 500 Jahren, seit Martin Luther am 31. Oktober 2017 seine Thesen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche anschlug. Von der Verbreitung der deutschen Sprache durch die Bibelübersetzung bis zur Gleichberechtigung der Frauen, weil sie nun geistliche Ämter bekleiden durften. Wie das Vorbild Luther, so Domning, müsse ein Protestant auch heute stets „den scharfen Blick für seine Gesellschaft und seine Kirche behalten“, die Nöte der Menschen erkennen und sich den Herausforderungen der Gegenwart stellen.

Beschleunigung im Informationszeitalter
Und die seien ja keine geringen. Domning benannte die „Zeichen der Zeit“, die schier unfassbare Zunahme der Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten, die gleichzeitig die Gefahr der Kontrolle und Überwachung mit sich brächte, sowie die umfassende Beschleunigung, die dazu führe, das wir immer mehr Arbeit in immer kürzerer Zeit verrichten müssen und uns im Multitasking zwischen verschiedenen Jobs, Familie und Bekanntenkreis aufreiben: „Unsere Seele kann dieser Beschleunigung nur in begrenztem Maße folgen. Manchmal reagiert sie mit Burn-Out oder Depression – Krankheiten, die zur Zeit Luthers eher unbekannt waren“, sagte der Stadtsuperintendent.

Natürlicher Glaube
Damals war auch das Verhältnis der Menschen zur Religion noch ein ganz anderes, wie Christiane Tietz, unter anderem Professorin für Hermeneutik und Religionsphilosophie an der Universität Zürich und Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche Deutschland, in ihrer Predigt hervorhob. Während man zu Luthers Zeiten noch „sozusagen natürlicherweise an Gott“ glaubte, und nur um das „Wie“ stritt, gehe es heute nur noch um das „Ob“. Der Religion werde vorgeworfen, sie halte den Menschen unmündig und hindere ihn daran, sich verantwortlich den Aufgaben in der Welt zu stellen, sie führe zu Weltflucht und Intoleranz.

Die Religion als Alternative
Hatten die Reformatoren das Wesen des Christseins noch darin gesehen, dass der Mensch eben nicht durch eigene Werke und Leistungen für Gott akzeptabel ist, sondern von Gott „allein aus Gnade“ angenommen wird, so zählten in der säkularen Welt vor allem beruflicher und privater Erfolg – eben jene Werke und Leistungen. Die Gesellschaft selbst sei ungnädig geworden gegenüber dem Misserfolg, was in den neuen Medien mit ihren „Shitstorms und hemmungslosen Beschimpfungen“ deutlich zum Ausdruck komme. Hier liege aber auch die Chance der Religion, gewinne die reformatorische Rechtfertigungslehre „ungeheure Aktualität“ und könne eine Alternative bieten. Wer „von der Gnade Gottes her lebt“ müsse „in dieser Welt zwar nicht untätig sein und alles sanftmütig gutheißen“. Doch Christen beziehen „ihre letzte Identität“ niemals aus ihren Leistungen, betonte Tietz: „Wir sollten deshalb sagen können, was es für uns bedeutet, dass Versagen und Schuld von Gott gnädig verziehen werden.“

Den kompletten Predigttext finden Sie hier: http://intern.kirche-koeln.de/mitteilungen/upload/201311110807sandra.kaufmann.doc

Text: Hans-Willi Hermans
Foto(s): Hans-Wili Hermans