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Christian Berg und Mamoru Tsukada im Lutherturm

Pixel und Pigmente, Digitales und Skulptural-Räumliches – scheinbar Gegensätzliches findet sich im Lutherturm der Lutherkirche zusammengeführt. Hier themenbezogene Digitaldrucke auf Papier oder Aluminium, dort vermeintlich themenfreie Betonarbeiten. „Eine Konstellation“ ist die aktuelle Ausstellung auf den fünf Ebenen betitelt. Bespielt werden sie vom Maler-Fotografen Mamoru Tsukada und vom Bildhauer Christian Berg.

Verschiedenheit in der Arbeitsweise
Wo sich beide einen Raum teilen, etwa auf der ersten Etage, sticht die Verschiedenheit in der Arbeitsweise deutlich hervor: An der Wand der auf Plexiglas montierte, großformatige Digitaldruck auf Baumwollpapier „The Exhausted and Light“ (Der Erschöpfte und Licht) von Tsukada. Auf einem niedrigen Podest eine architektonisch anmutende Betonskulptur von Berg, der ebenso die Betonwandarbeit „Nyx“ in der Rundfensternische verantwortet.

Form und Farbe mit Schrift kombiniert
Tsukada, Jahrgang 1962, lebt seit 2008 in Berlin. Ursprünglich Porträtfotograf für renommierte internationale Magazine, arbeitet der Japaner nach seinem Kunststudium in Tokio frei künstlerisch. Dabei nutzt er als Ausgangsmaterial teils eigene Fotografien. Oder bedient sich im Bilder-Fundus des Internets, zuweilen auch der Kunstgeschichte. Mithilfe von PC, digitalen Bildschöpfungs- und -bearbeitungstechniken komponiert Tsukada virtuelle Bilder, die erst durch den Druck „Materialität“ erlangen, greifbar werden. Geprägt ist sein Bilderkosmos von Verfremdung. Leuchtend farbig bis schwarz-weiß reduziert erscheinen die Drucke. Dabei kombiniert Tsukada Form und Farbe mit Schrift. Das reicht von Schlagworten bis hin zu längeren Sätzen.

Die Stellung des Menschen im Kosmos
Tsukada ist mit zwei Reihen vertreten. „Parrhesia“, ein auf Sokrates zurückgehender Terminus, der offene, wahrhaftige Rede meint, thematisiert die Stellung des Menschen im Kosmos. Zu ihr gehören „The Exhausted and Light“, „Sublimation Übermensch“, „Human Stinks all“ und „Fear and Desire“. Gemeinsam ist ihnen eine hintergründige Strahlkraft, das verfremdende Spiel mit dem Motiv der Sonne, besser des Sonnenkranzes als das Zeichen für Licht. „The Exhausted and Light“ dominiert ein in Kreis und Rechteck eingezeichneter Mensch. Als Vorlage diente der „Homo Vitruvianus“ des Architekten, Bildhauers und Malers Francesco di Giorgio Martini (Siena 1439-1501), der sich orientierte an der vom antiken römischen Architekten Vitruvius formulierten Regel zur Darstellung menschlicher Proportionen. Die andere, insbesondere durch die Verwendung verschiedener Blautöne bestimmte Folge, „Plato´s light“, beinhaltet neun kleinformatige Digitaldrucke auf Aluminium. In ihnen geht es ebenfalls um philosophische Fragestellungen: Hier bezieht sich Tsukada auf Platons Höhlengleichnis. Das erkenntnistheoretische Modell handelt (vereinfacht) unter anderem von der Vorstellung, dass es verschiedene Erfahrensbereiche gibt, und wie der Mensch die Wahrheit erkennen kann.

vorne Betonplastik: o.T., oben rechts Wandarbeit: Nyx von Christian Berg, links Digitaldruck: The Exhausted and Light von Mamoru Tsukada
Pigmente in Beton gemischt
Farbe kommt auch in Bergs Arbeiten eine wesentliche Bedeutung zu. Das Besondere: Der gebürtige Bonner und Wahlkölner, Jahrgang 1972, mischt Pigmente in den Beton. Beim anschließenden Gießen und Fließen, durch die Formwerdung der Skulpturen und Reliefs wird gleichzeitig die Farbe „räumlich“. Allein das Wissen darum, dass sie nicht außen aufgetragen, sondern eine substantielle Verbindung mit dem zunächst nassen, dann trockenen Trägermaterial eingegangen ist, lässt ganz anders auf sie blicken. Die Oberflächen der reduzierten Werke fallen rau und uneben aus, changierend die Farben. Als würden sie mehr oder weniger intensiv aus dem Innern an die Oberfläche drängen. Wie übervoll getränkt mit Schwarz wirkt die Wandarbeit „Nyx“ in der Fensternische; dermaßen gesättigt, dass Farbe auf der weißen Wand hinunter gelaufen ist und eine weitere räumliche Ausdehnung der „Göttin der Nacht“ dokumentiert.

„Verletzungen“ durch Hammerschläge
Wie „Nyx“ belegt eine weitere schwarze Wandarbeit, dass der Absolvent der Kunstakademie, Meisterschüler bei Georg Herold, ebenso mit neuen Werken auf die Proportionen und Bedingungen vor Ort eingeht. Letztere hängt benachbart Tsukadas schwarz-weißer „Sonnenkranz“-Arbeit „Fear and Desire“. Von der körperlichen ist man schnell bei der inhaltlichen Nähe: So könnten die beiden halbplastischen, verschieden langen Graden als Elemente eines imaginären, sich bewegenden Strahlenkranzes gedacht werden. Im obersten hohen Raum unter dem Glockenstuhl hat der Bildhauer einen trefflichen Ort für fünf bereits bestehende „Sticks“ gefunden. Bei dem installativ gesetzten Ensemble handelt es sich um gegossene und weiß gestrichene Betonpfosten. Mittels Hammerschlägen fügte Berg ihnen abschließend mehr oder weniger große „Verletzungen“ zu. Dank der (nun zutage tretenden) Armierung werden die gebrochenen Stelen in ihrer veränderten Form stabilisiert. Berg gibt keine Interpretation vor. Aber grade in dem fahl beleuchteten spröden Raum mit seiner uneinheitlichen, brüchigen Wandstruktur dürfen sie als Hinweis auf den nicht aufzuhaltenden Zerfall alles Natürlichen und von Menschen Geschaffenem verstanden werden.

Die Öffnungszeiten
Geöffnet ist die Ausstellung im Lutherturm, Martin-Luther-Platz 2-4, 50677 Köln (Südstadt), bis zum 11. Mai 2013: donnerstags bis samstags von 16 bis 19 Uhr, sonntags von 13 bis 15 Uhr. Bei der Finissage am 11. Mai, 19.30 Uhr, sind Christian Berg und Klaus Findl, in Köln lebender Regisseur, Autor, Schauspieler und bildender Künstler, anwesend.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich