Auf dem Rand des Löwenbrunnens stehen acht Schälchen. In ihnen liegt jeweils ein Holztäfelchen mit dem Vornamen eines im „Dritten Reich“ ermordeten jüdischen Kindes aus Kommern und Mechernich. Weitgehend bedeckt sind diese kleinen Schilder mit einer besonderen Erde: Sie stammt vom jüdischen Friedhof in Mechernich.
Mitgebracht haben diese Erde Schülerinnen und Schüler der sechsten Klasse der Sekundarschule in Mechernich-Kall. Mit ihrer Aktion „Abschied in Würde“ leisteten sie einen berührenden Beitrag zur diesjährigen Gedenkstunde für die mindestens 1.100 aus Köln und Umgebung deportierten und ermordeten jüdischen Heranwachsenden.
Einst stand dort eine Synagoge
Am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz 1945, dem internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, hatten wiederum die Synagogen-Gemeinde Köln, das Katholische Stadtdekanat und der Evangelische Kirchenverband Köln und Region in Verbindung mit dem Arbeitskreis „Lern- und Gedenkort Jawne“ an die Kindergedenkstätte Löwenbrunnen eingeladen. Sie befindet sich auf dem innerstädtischen Erich-Klibansky-Platz an der Helenenstraße. In unmittelbarer Nähe der Anlage stand einst eine Synagoge, ein jüdisches Lehrerseminar- und Schulgebäude. In diesem war unter anderem die Jawne beheimatet, das erste jüdische Reform-Realgymnasium im Rheinland.
Gedenken erfährt eine Würdigung
„Wir haben uns im letzten Jahr hier getroffen. Wir treffen uns heute hier, zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Und wir werden uns im nächsten Jahr hier treffen“, wies Pfarrerin Ulrike Gebhardt auf die Kontinuität und Notwendigkeit des Erinnerns an der Gedenkstätte hin. „Wir kommen auch hierher, um Euer Gedenken zu würdigen und Euch zur Auseinandersetzung mit dem Thema zu ermuntern“, sprach sie die jungen Teilnehmenden an.
„In der Geschichte nicht vergessen“
In diesem Januar waren vier Lehranstalten vertreten. Grundschüler der Olympia-Schule in Köln-Widdersdorf trugen eigene „Elfchen“ vor. Mit diesen aus elf Wörtern bestehenden Gedichten formulierten sie ihre Gefühle, ihre Gedanken zu den schrecklichen historischen Ereignissen. Schülerinnen und Schülern der siebten Klasse der Realschule Hackenbroich in Dormagen berichteten von ihrer „Erkundung des Geländes“ rund um den Löwenbrunnen und Beschäftigung mit Biographien von geretteten Jawne-Schülerinnen und -Schülern. Einen musikalischen Akzent setzten Vertretende der Gesamtschule St. Augustin. Sie hatten im Unterricht das Gedicht „Das Phänomen“ von Hanns Dieter Hüsch vertont und führten das Stück nun auf. Schließlich wiesen die Metternicher Schüler mit ihrer Inszenierung darauf hin, dass „der letzte Akt der Fürsorge Verstorbenen gegenüber“ deren Bestattung ist. Doch die „Kinder vom Löwenbrunnen“ hätten kein eigenes Grab, keine würdevolle Beerdigung erhalten. Mit der symbolischen Handlung wollten sie zum Ausdruck bringen, dass die Namen der ermordeten ehemaligen Bewohnenden ihrer Eifel-Gemeinde „in der Geschichte nicht vergessen“ sind.
Keine Menschen ausgrenzen
„Erinnerung ist heute notwendiger denn je“, dankte Stadtsuperintendent Rolf Domning den Schülern für die Fortführung des Gedenkens. Die Zunahme der antisemitischen, judenfeindlichen Übergriffe und Anschläge müssten uns alle auf das Allerstärkste alarmieren. Auch deshalb bräuchten wir heute diesen wichtigen Moment der Erinnerung. Was in dem jüdischen Supermarkt in Paris geschehen sei, „war und ist nicht nur ein Anschlag auf jüdische Mitmenschen, sondern auf uns alle, auf unser Zusammenleben, das von Frieden und Verständnis geprägt sein soll. Wir müssten uns quer stellen.“ Tatsächlich wehre man sich in Köln gegen die Menschen, „die wieder auf die Straßen gehen, um Menschen auszugrenzen und ihren Fremdenhass auszuleben“.
Friedliches Miteinander bedingt den Respekt
„Deshalb stehen wir hier zusammen, deshalb lassen wir uns berühren von dem furchtbaren Schicksal der Kinder, an welche der Löwenbrunnen erinnert.“ Domning dankte den Mitgliedern im Arbeitskreis „Lern- und Gedenkort Jawne“ für ihr großes Engagement in der Vermittlung sowie die Organisation der Gedenkfeiern. Er sprach von der gemeinsamen Verantwortung, auch gegenüber den Opfern von Rassismus und Menschenfeindlichkeit im Nationalsozialismus, „dafür einzustehen, dass so etwas nie wieder geschehen kann“. Keine Religion dürfe dazu missbraucht werden, „als Begründung dafür zu dienen, dass sich Menschen über andere mit anderer religiöser Überzeugung erheben, sich als besser oder gottgefälliger empfinden“. Ein friedliches Miteinander bedinge den Respekt vor den jeweils anderen Glaubensüberzeugungen.
Abtransportiert wie eingepferchtes Vieh
Die Erinnerungsarbeit trage dazu bei, die Ängste vor dem Fremden, die wieder gedeihen könnten, von uns fernzuhalten, erklärte Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes. Um die Erinnerung wachzuhalten, müsse man auch Gespräche führen – in den Elternhäusern, Schulen, Kirchen und an vielen anderen Orten. Gespräche über das, was von 1933 bis 1945 geschehen sei. Rassenwahn und Eroberungswut, Menschen seien in Zwangsarbeit geschickt, gejagt und ermordet worden. „Viele von ihnen wurden auch von Köln aus abtransportiert, wie eingepferchtes Vieh“, beschrieb Scho-Antwerpes die damalige Situation. Unter ihnen Kinder und Jugendliche. Ihr Schicksal hätten sie nur erahnen können. „Ich bin in einer Zeit groß geworden, in der in der Schule die Zeit des Nationalsozialismus ausgeklammert wurde. Das ist heute anders“, so die Bürgermeisterin. Man müsse verfolgte Menschen, „egal woher sie kommen“, willkommen heißen, ging sie auf die aktuelle Flüchtlingsproblematik ein. Auch die Kölner Gesellschaft müsse deutlich machen, dass für eine „braune Gesinnung“ kein Platz sei.
Begrüßung ehemaliger Jawne-Schüler
Unter den Gästen der Veranstaltung weilte der gebürtige Dresdner Hellfried Heilbut. Als 12-Jähriger wurde er 1939 mit einem der „Kindertransporte“ nach England gerettet. Seit langem lebt er mit seiner Gattin in Bergisch Gladbach. Mit Ruth-Rebecca Fischer-Beglückter und Alfredo Klayman konnten die Veranstalter auch ehemalige Jawne-Schüler begrüßen. Wie in den Vorjahren sprach Fischer-Beglückter Psalm 79 auf Hebräisch. Dr. Rainer Lemaire, evangelischer Schulreferent und Mitglied des Arbeitskreises „Lern- und Gedenkort Jawne“ las die deutsche Übersetzung.
Das Gedenken in die Zukunft tragen
Herzlich begrüßte Gebhardt ebenso Yaron Engelmayer. Seit 2008 wirkte der Rabbiner in der Synagogen-Gemeinde Köln. Im nächsten Monat siedelt der 38-Jährige mit seiner Familie nach Israel über. Dass er trotz der Umzugsvorbereitungen den Weg zur Gedenkstunde gefunden habe, bezeichnete die Pfarrerin als großes Geschenk. Es sei ihm als Bürger Kölns ein Bedürfnis, an diesem wichtigen Ereignis teilzunehmen, so Engelmayer, der die jüdische Totenfürbitte „El male rachamim“ (Gott voller Erbarmen) vortrug. Die Befreiung des KZ Auschwitz liege nun 70 Jahre zurück. „Das sind zwei Generationen“, so der Rabbiner. Umso wichtiger sei es, das Gedenken in die Zukunft zu tragen. In der jüdischen Tradition forderten Gedenktage dazu auf, über die Erinnerung hinaus nachzudenken, wie man die Zukunft besser gestalten könne. „Dank Euch kommen wir dem bedeutungsvollen Anlass dieses Tages sehr nahe. Ich bin stolz auf Euch“, wandte sich Engelmayer an die Schülerinnen und Schüler. Stünden die Kinder, deren Namen auf dem Löwenbrunnen zu lesen seien, heute hier „und könnten Euch hören, würden sie hoffnungsvoll in die Zukunft blicken“.
Gebet der Hoffnung
Abschließend trug Stadtdechant Monsignore Robert Kleine das von Stephen Benét verfasste sogenannte Gebet der Vereinten Nationen vor. Dieses Gebet der Hoffnung, das sich wesentlich gegen die „sinnlose Trennung nach Rasse, Hautfarbe und Weltanschauung“ wendet, sei Mitte 1942 entstanden. Also in einer Zeit, als Deportationszüge auch Köln Richtung Osten verließen
Foto(s): Engelbert Broich