Eins gleich vorweg: Schade für diejenigen, die am letzten Sommerferientag diesen Gottesdienst zum Schuljahresbeginn in der Kartäuserkirche verpasst haben. Denn für viele Besucher war er das Muster eines Gottesdienstes, so wie man ihn sich wünscht: schwungvoll-mitreißende Musik, ein das Gotteshaus füllender Gesang, origineller Einstieg, den Grips anregende Dialog-Predigt und ein berührendes Abendmahl mit Gänsehaut-Feeling, das sogar Tränen fließen ließ. Eine Auszeit im Alltag, ein Innehalten vor dem Start neuer Anforderungen. Futter für Kopf und Seele.
„Unser tägliches Brot gib uns heute“ (Mt 6,11), die vertraute Zeile aus dem Vaterunser, war Thema und roter Faden des Gottesdienstes, den das Evangelische Schulreferat und das Pfarramt für Berufskollegs vorbereitet und gestaltet hatten – nun schon im dritten Jahr. „Und in Köln bedeutet das ja: Brauchtum!“, bekundete Schulreferentin Utta Brauweiler-Fuhr, die gemeinsam mit dem stellvertretenden Stadtsuperintendenten Markus Zimmermann den Gottesdienst eröffnete und dann auch gleich zur Sache kam: zum Brot.
Vier Lernperspektiven zum Vaterunser-Vers
Ein alltäglicher Baustein, der zum Frühstück gehört und in Ranzen und Lehrertaschen steckt. Wie halten es die Anwesenden mit dem Pausenbrot? In den Kirchenbänken durfte kurz diskutiert werden. Zimmermann gestand seinen Hang zu Schokoriegeln und Brauweiler-Fuhr verriet aus ihrer Schulzeit, dass „Brot auch getauscht“ worden sei.
Geschickt wurde das Thema Brot weiter vertiefend angeschnitten mit dem Handwerkszeug, das zum alltäglichen „Brot“ der Lehrerschaft gehört – den vier Lernperspektiven. Was verraten sie uns über den Vaterunser-Vers?
„Gemeinschaft leben“
Schulreferent Thomas vom Scheidt startete mit der Perspektive „Gemeinschaft leben“ und betonte, dass das Gebet ausdrücklich von „wir“ und „uns“ spreche und damit „ein gemeinschaftliches Gebet“ sei. Bezogen auf „Unser tägliches Brot gib uns heute“ bedeute dies: „Nicht einer soll satt werden, sondern die Gemeinschaft, ja sogar alle.“
„Identität entwickeln“
Der Lernperspektive „Identität entwickeln“ widmete sich Utta Brauweiler-Fuhr. Es gehe um Identität, „die sich als Teil einer Gemeinschaft versteht“ und sich durch Resonanz auf andere entwickele. „Anders gesagt: Ich bin als Mensch ein Beziehungswesen.“ Dazu passe ein Zitat von Martin Buber: „Der Mensch wird am du zum ich.“
„Hoffnung schöpfen“
Pfarrer Hanser Brand-von Bülow vom Pfarramt für Berufskollegs erinnerte mit der Lernperspektive „Hoffnung schöpfen“ daran, dass in vielen Ländern Brot nichts Selbstverständliches sei. In 52 Ländern seien – laut Welthungerhilfe – die Entwicklungen von Kindern durch Hunger eingeschränkt, jedes vierte Kind weltweit sei chronisch unterernährt. Auch hier gebe es Kinder, die unter zu wenig Nahrung litten. Brot müsse für alle da sein. Im Abendmahl gehe es daher auch darum, „die Erinnerung an genügend Brot für alle wachzuhalten“.
„Verantwortung übernehmen“
Schulreferent Rainer Lemaire schlussfolgerte unter der Lernperspektive „Verantwortung übernehmen“ aus dem Gebetsvers, dass sich der Mensch selbst um das tägliche Brot zu kümmern habe, denn nur einmal, im Exodus, sei es buchstäblich vom Himmel gefallen. Wir Menschen hätten allerdings auch die Verantwortung, „es gerecht zu verteilen“. Es gehe in dem Vers doch eigentlich um dies: „Hilf uns, verantwortlich mit dem täglichen Brot umzugehen.“
Dialog-Predigt
In einer Dialog-Predigt nahmen vom Scheidt und Brandt-von Bülow den Vers noch stärker unter die Lupe. Sie erinnerten daran, dass Deutschland das Land mit den meisten Brotsorten sei, dass manch einer aber kaum anderes als seine Lieblingssorte esse. Ein Land schmecke man geradezu in seinem Brot, meinten sie. Im Toast Großbritannien, im Baguette Frankreich … Manch einer vermisse „sein“ Brot sogar in der Fremde – was ein laut geseufztes „Ja!“ im Kirchenschiff spontan bestätigte.
Eine kleine Portion
Während wir oft Vorräte sammeln und gern das Ganze, beispielsweise das ganze Schuljahr, im Blick hätten, so die beiden Prediger, gehe es im Vaterunser nur „um kleinere Portionen“, nämlich nur um das „tägliche Brot“. So wie jeder vom Manna nur eine „angemessene Portion“ habe sammeln sollen und man „ja auch keine Brotdose für die ganze Woche“ packe, so sollten sich die anwesenden Lehrerinnen und Lehrer am Schuljahrsbeginn auch nicht zu viel aufladen. Kleine Portionen müssten natürlich regelmäßig erneuert werden. Deshalb rieten sie, dies auch in puncto geistiger Nahrung zu beherzigen und beispielsweise allmorgendlich ins Gebet einzuflechten: „Gott schenke mir Kraft und Gelassenheit für diesen Tag“ – als Brot für die Seele.
Gänsehaut und Tränen
Am Piano speiste Thomas Frerichs, Kantor der Kartäuserkirche, in seiner genialen Art altbekannte Lieder neu aufpoliert ein – mal etwas poppig, mal etwas jazzig, immer mitreißend. Begeistert waren die Gottesdienstbesucher vor allem aber auch von seinen zarten Variationen und Improvisationen, die das Abendmahl im großen Kreis um den Altar herum genauso begleiteten wie die anschließenden Segnungen jedes einzelnen. Ein berührendes Gemeinschaftserlebnis, bei dem sich Gänsehaut einstellte und Tränen flossen.
Wegzehrung bis 2017
Auch am Ende des Gottesdienstes, vor dem lockeren Beisammensein im Refektorium, ging es noch einmal um Brot: Mit der einen Hand ließ sich etwas in die Kollekte zugunsten des Kalker Kindermittagstischs legen, der bedürftigen Kindern täglich ein warmes, kostenloses Mittagessen bereitstellt. Und die andere Hand konnte ein Schwarzbrotbrötchen in Empfang nehmen – eine symbolische Wegzehrung fürs neue Schuljahr, die bis zum nächsten Schuljahersbeginn-Gottesdienst um 17 Uhr am letzten Sommerferientag 2017 vorhalten muss.
Foto(s): Ute Glaser