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Bleiberecht für Roma gefordert

In einer gemeinsamen Initiative rufen der Verein Rom, der Kölner Flüchtlingsrat und der Kölner Runde Tisch für Integration dazu auf, langjährig geduldeten Flüchtlingen, insbesondere der Volksgruppe der Roma, das Bleiberecht einzuräumen. Ein offener Brief an Oberbürgermeisterin Henriette Reker und alle demokratischen Ratsfraktionen wurde heute im Kölner Stadt-Anzeiger veröffentlicht. Etwa 60 prominente Kölner gehören zu den Erstunterzeichnern des Schreibens, darunter von evangelischer Seite der renommierte Theologe, Historiker und Menschenrechtsaktivist Klaus Schmidt, der Klettenberger Pfarrer Jost Mazuch, Lutherkirchen-Pfarrer Hans Mörtter sowie die Geschäftsführerin der Diakonie Köln, Helga Blümel.

Die Initiative schlägt Alarm. „Seit Mitte 2016 verschärft sich die Situation geduldeter Roma. Sie suchen verstärkt unsere Beratungsstelle auf, weil sie tagtäglich in extremer Angst leben, abgeschoben zu werden. Und die öffentliche Diskussion geht derzeit nicht in Richtung Bleiberecht“, erklärt Ossi Helling vom Verein Rom e.V ., zu dessen Partnern und Förderern die Evangelische Kirche im Rheinland gehört.

Eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey zur „verbesserten Rückführung von Asylbewerbern“, die Anfang Dezember erschien, goss Wasser auf die zermürbenden Mühlen der Angst. „Es ist ein Unding, dass Menschen, die sich zu Recht als Kölner fühlen, von Abschiebung bedroht sind“, kommentiert Helling vor allem die Vorschläge, den Druck auf Geduldete zu erhöhen, damit sie Deutschland freiwillig verlassen, und das Rückkehrmanagement so umzu gestalten, dass es schnell anwendbar ist.

Bleibemöglichkeiten ausschöpfen
„Die Diskussion um beschleunigte Abschiebung verkennt, dass nach einem abgelehnten Asylantrag das Aufenthaltsgesetz greift“, verdeutlicht Claus-Ulrich Prölß vom Kölner Flüchtlingsrat in dem Pressegespräch. Seiner Meinung nach werde der Paragraph 25a des Ausländergesetzes viel zu selten angewandt. Danach kann Kindern, die seit vier Jahren regelmäßig eine Schule besuchen, ein Aufenthaltsrecht erteilt werden und im Zuge dessen auch deren Eltern. In Köln bereitet aktuell der Fall einer algerischen Familie mit drei Kindern Sorgen. Nur noch ein halbes Jahr Schulbesuch fehlt, um vorerst bleiben zu können. „Da wird jetzt Druck aufgebaut, dass sie ausreisen“, meint Prölß.

Erbrachte Leistungen stärker gewichten
„Es ist hier in Köln Tradition, dass erbrachte Integrationsleistungen wie ein regelmäßiger Schulbesuch positiv bewertet werden, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen“, erläutert Prölß. Allerdings werde diese Möglichkeit, so der Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats, noch zu wenig ausgeschöpft. Nach der UN-Kinderrechtskonvention müssen Behörden das Wohl von Kindern zuerst in den Blick nehmen, wenn über eine Abschiebung entschieden wird.

Initiative fordert Integrationskatalog
Erfolgreich hat sich der Runde Tisch für Integration um einen Flüchtlingskoordinator für Köln bemüht. Die seit Mai 2016 mit Hans-Jürgen Oster besetzte Stelle ist bei der Oberbürgermeisterin angesiedelt. „Aber Herr Oster hat keine Weisungsbefugnis, nur der Stadtrat kann die Verwaltung beauftragen, einen Kriterienkatalog zu entwickeln, dessen Erfüllung das Bleiberecht in Aussicht stellt“, erklärt Helling.
Auf solche Ermessensspielräume zielen die Appelle im offenen Brief an die Stadtpolitiker. „Lebenswelten sind allerdings komplizierter als Kriterienkataloge“, schränkt Prölß ein. „Deshalb wünschen wir uns individuelle wohlwollende Prüfungen, ob sich Familien um Integration bemühen, zum Beispiel wenn sie Deutsch lernen, obwohl Sprachkurse für Geduldete nicht vorgesehen sind, oder wenn sie nachweisen, dass sie Arbeit suchen.“

Kultur der Menschlichkeit schaffen
„Es handelt sich nicht um Terrorverdächtige und Kriminelle, für die wir uns einsetzen, sondern wir wollen Kölnerinnen und Kölner informieren, die in ihrer Stadt eine Kultur der Menschlichkeit schaffen wollen“, betont Wolfgang Uellenberg-van Dawen vom Runden Tisch. Ingrid Welke, Geschäftsführerin des Kinder- und Jugendbildungsprojekts „Amaro Kher“ bei Rom e.V., kennt aus der Beratungspraxis zwei Fälle, in denen mehr Menschlichkeit geholfen hätte. So wurde eine albanische Familie, die nach Deutschland floh, nachdem eine Tochter von Entführern freigekauft werden musste, in ihren Integrationsanstrengungen zurückgeworfen, als die Großmutter kurz vor Weihnachten abgeschoben wurde. Eine Familie aus Montenegro mit sieben hier geborenen Kindern muss, obwohl sie seit 20 Jahren in Köln lebt, dennoch mit Abschiebung rechnen, weil die Arbeitssuche des Vaters bislang vergeblich war und der Schulbesuch einiger Kinder zu wünschen übrig lässt.

Neue Ehrenamtler gewinnen
„Man müsste mehr Menschen als Paten finden“, meint der Musiker Janus Fröhlich von der „Arsch huh!“-Arbeitsgemeinschaft. Er selbst hat gute Erfahrungen mit seinem Musikmobil „Die Karawane“ gemacht, das 2016 zu Flüchtlingsunterkünften tourte. Doch zunehmend breitet sich Frust unter den Ehrenamtlern in der Flüchtlingshilfe aus. „Jahrelange Arbeit war oft umsonst, wenn die Menschen dann doch abgeschoben werden. Bisher schulten wir Ehrenamtler vorwiegend in Asylrechtsfragen, jetzt müssen wir sie gegen solchen Frust wappnen“, sagt Ossi Helling. Das Rom-Vorstandsmitglied ermutigt: „Wir wollen nicht nachlassen, denn es geht um Menschen.“

Für den 2. Februar ist in Köln ein Flüchtlingsgipfel anberaumt.

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Gegründet wurde der Kölner Flüchtlingsrat 1984 nach dem Tod des türkischen Asylbewerbers Kemal Altun unter maßgeblicher Beteiligung des evangelischen Pfarrers Helmut Ruhrberg. An der konstituierenden Sitzung im Haus der Evangelischen Kirche nahmen Geistliche verschiedener Konfessionen, aber auch Rechtsanwälte und Vertreter von Wohlfahrtsverbänden teil.

Nachdem er zunächst dem damaligen Sozialwerk des Evangelischen Stadtkircheverbandes Köln angeschlossen war, übernahm der Förderverein Kölner Flüchtlingsrat Anfang 1998 die Trägerschaft der Geschäftsstelle. In der praktischen Arbeit blieb die Nähe zur Evangelischen Kirche stets erhalten: In Gremien wie dem Migrationsausschuss des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region, am Runden Tisch für Integration und am Runden Tisch für Flüchtlingsfragen. Zusammen mit der Kölner Freiwilligenagentur hat der Kölner Flüchtlingsrat zu Beginn des Jahres 2015 ein „Forum für Willkommenskultur“ ins Leben gerufen, das der Vernetzung und dem Informationsaustausch dient. Außerdem bieten die Mitarbeitenden des Flüchtlingsrates Qualifizierungen für die Mitglieder der Initiativen an, bei denen es um Fragen zum Asylverfahren, zu Sozialleistungen für Flüchtlinge und um den Zugang zum Arbeitsmarkt geht.

Text: Ulrike Weinert/knap
Foto(s): Ulrike Weinert