57 Frauen und Männer haben sich in den vergangenen Monaten mit Berichten über erlittene Misshandlungen und sexualisierte Gewalt an die zuständige Ansprechpartnerin der Evangelischen Kirche im Rheinland gewandt. „36 Meldungen betrafen Gemeinden, Schulen und Internate“, berichtete Vizepräses Petra Bosse-Huber. Insgesamt 13 Berichte bezogen sich auf Erziehungs- und Betreuungseinrichtungen der Diakonie und zweier kirchlicher Einrichtungen. In fünf Fällen ging es um andere Landeskirchen, in drei Fällen um die römisch-katholische Kirche.
„Der älteste uns berichtete Fall datiert aus dem Jahr 1948; die jüngeren Fälle aus den 1980er Jahren. Alle diese Fälle sind straf- und disziplinarrechtlich verjährt“, so Vizepräses Bosse-Huber. „Das macht es für uns als Kirche umso bitterer, weil wir den Opfern mit Blick auf juristische Konsequenzen nicht gerecht werden können. Aber wir bemühen uns, ihren sonstigen Erwartungen gerecht zu werden.“ In der Regel gehe es den Frauen und Männern darum, Gehör, Bestätigung und Verständnis zu finden. Etwa 30 bis 40 Prozent der Menschen, die sich gemeldet hätten, habe man auf ihren Wunsch hin weitergehende seelsorgliche bzw. therapeutische Hilfe vermittelt.
Bitte um Verzeihung erneuert
„Im Wissen darum, dass Zeit keineswegs alle Wunden heilt, kann ich unsere Bitte um Verzeihung in Richtung der Opfer nur erneuern“, sagte Petra Bosse-Huber: Wer sein Amt oder seine Funktion in Kirche und Diakonie und die damit verbundene Macht und Autorität missbraucht hat bzw. missbraucht und Menschen seelische und körperliche Gewalt angetan hat bzw. antut, hat sich weit, weit von Gottes Anspruch an uns entfernt. Diese Form von Gewalt ist und bleibt eine offene Wunde am Leib Christi.“
Präses Nikolaus Schneider ergänzte: „Als amtierender EKD-Ratsvorsitzender habe ich kürzlich mit Männern und Frauen, die als Heimkinder Opfer von Übergriffen geworden sind, intensiv gesprochen. Mir ist durch die Schilderungen der Betroffenen noch einmal sehr deutlich geworden, wie sehr deren Leben durch das Tun Einzelner geprägt und oft genug nachhaltig geschädigt worden ist. Auch ich kann die Opfer nur um Verzeihung bitten und unmissverständlich klar stellen: Wer – allzumal als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter in Kirche und Diakonie – anderen Menschen seelische oder körperliche Gewalt antut, verstößt gegen Gottes Gebote und pervertiert die gute Nachricht, die wir als Kirche leben und weitersagen wollen.“
Seit dem Jahr 2003 gibt es in der Evangelischen Kirche im Rheinland ein verbindliches Verfahren für den Umgang mit Verdachtsfällen auf Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Dieses Verfahren sieht einerseits seelsorgliche, psychologische oder therapeutische Hilfe für die Opfer und andererseits die konsequente strafrechtliche und disziplinarische Verfolgung der Taten vor.
Die rheinische Kirche setzt auch auf Vorbeugung: Beruflich Mitarbeitende müssen das erweiterte Führungszeugnis vorlegen. Bei ehrenamtlichen Mitarbeitenden setze die Kirche auf Selbstverpflichtungen. Dieser Entscheidung seien lange Diskussionen vorausgegangen, berichtete Vizepräses Bosse-Huber. Vor allem junge Ehrenamtliche sollten nicht zuerst mit einer Art Verdacht konfrontiert werden, außerdem seien Selbstverpflichtungen mit Fortbildungen verbunden – und dadurch effektiver als das Führungszeugnis. „Die Überschrift heißt: keine Bagatellisierung“, brachte Bosse-Huber alle Überlegungen auf eine Kurzformel.
Foto(s): EKiR