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Bischof Dr. Munib Younan als Redner in der Melanchthon-Akademie

Dr. Munib Younan, Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land (ELCJHL), ist zurzeit als Gast der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) unterwegs. In der Kölner Melanchthon-Akademie sprach er über seine Vision von einem friedlichen Palästina und über die Rolle der christlichen Palästinenser in Israel unter dem Titel „Seeing the Image of God in the other. The Christian Voice from Palestine“.

Krisengeschüttelte Region
„Wir sind glücklich und auch ein bisschen stolz, dass Sie heute hier sind“, begrüßte Dr. Martin Bock, Leiter der Melanchthon-Akademie, die rund 40 Besucherinnen und Besucher, die trotz tropischer Temperaturen den Weg in den Vortragssaal gefunden hatten. Auch Stadtsuperintendent Rolf Domning war gekommen. „Das Heilige Land ist eine krisengeschüttelte Region, aus humanitären, menschlichen und religiösen Gründen sollte uns das Thema nicht unberührt lassen“, betonte er. Zum Vortrag eingeladen hatte die Melanchthon-Akademie zusammen mit der Abteilung III (Ökumene – Mission – Dialog) der Evangelischen Kirche im Rheinland.

Younan als „Korrektor“ vorgestellt
Mittlerin des Kontakts war unter anderem Oberkirchenrätin Barbara Rudolph, die das umstrittene Kairos-Papier, auf das auch Younan einging, bereits zwei Jahre zuvor mit Pfarrer Dr. Mitri Raheb, ebenfalls von der EHCJHL, diskutiert hatte. „Er leitet eine der kleinsten, aber bedeutendsten Kirchen der Welt“, stellte sie Younan vor und würdigte seine Bemühungen um den Dialog zwischen den Konfliktparteien: „Er ist ein Mensch, der nach zwei Intifadas immer noch zuhört und für Gespräche wirbt“. Wichtig war ihr die Anwesenheit Younans auch als „Korrektor“ gegenüber dem Bild Palästinas in den Medien: „Man hört und liest nur von Steine werfenden Palästinensern“.

Rückbesinnung auf gemeinsame Werte
Der so Eingeführte kam gerade von einem Besuch mit historischer Dimension: Er hatte Kaiserswerther Diakonissen besucht, deren Missionsarbeit in Palästina vor rund 100 Jahren dort den Grundstein zur Entstehung der Evangelisch-Lutherischen Kirche legte. Die christliche Tradition in seinem Herkunftsland ist länger: Auch wenn die Christen dort nur 2 Prozent der Bevölkerung ausmachen, so leben sie doch schon seit rund 1.500 Jahren mit Juden und Muslimen zusammen.

Hoffnung als zentrales Thema
Danach kam Younan schnell zur Sache: Hoffnung als zentrales Thema seines Vortrags setze erst einmal Leid voraus, warum solle man sonst auf eine bessere Zukunft hoffen? Vor dem Hintergrund des palästinensisch-israelischen Konfliktes sei es schwierig, eine Glaubenslehre der Hoffnung zu verkünden. Die Religionen, ist Younan überzeugt, werden in diesem Konflikt von Extremisten nur benutzt, um Gewalt zu rechtfertigen. Younan untermauerte seinen Vortrag mit den Thesen Charles Kimballs zur Kennzeichnung von Extremismus. Dazu zählen: Anspruch auf absolute Wahrheit, blinder Gehorsam, eine Ethik, in der der Zweck die Mittel heiligt, die Hoffnung auf einen „idealen Zeitpunkt“ und die Propagierung eines „heiligen Krieges“. Im Gegenzug appellierte Younan an die Rückbesinnung auf gemeinsame positive Werte der drei Religionen. Als positiven Gegenentwurf verwies Younan auf die Theologin Lise Rasmussen und den von ihr geprägten Begriff „Diapraxis“, den praktizierten Dialog zwischen Konfliktparteien.

Ein gemeinsames Wort
Als positives Beispiel nannte Younan das 2007 veröffentlichte Dokument „A common word“ (www.acommonword.com), einen offenen Brief von 138 muslimischen Gelehrten und religiösen Führungspersonen an christliche Kirchen, in dem zum Dialog aufgerufen wird. Es gilt als historisches Ereignis, weil sich erstmals Muslime unterschiedlicher Richtungen und Nationalitäten zusammentaten. „Wir Christen haben das begeistert aufgenommen. Dieses Dokument ist wichtig, weil es uns daran erinnert, dass wir manchmal vom Stolz geblendet sind und das Bild Gottes im Anderen nicht mehr sehen“.

Kodex für gegenseitigen Respekt
Ein weiteres Dokument auf das Younan verwies, war eine gemeinsame Erklärung christlicher und muslimischer Geistlicher, verfasst am Jordanischen Forschungszentrum für interreligiöse Koexistenz (Jordanian Interfaith Coexistence Research Center), in dem diese weltweit ihre Gläubigen auffordern, die heiligen Orte und Symbole der anderen zu respektieren und nicht zu entweihen. In diesem Zusammenhang appellierte Younan auch an die westliche Welt, ihre neuen muslimischen Nachbarn zu akzeptieren wie die Christen in der arabischen Welt. Es wurde deutlich, dass er die Rolle arabischer Christinnen und Christen vor allem als Mittler zwischen den Konfliktparteien sieht.

„Ein modernes Wunder“
Ein Zeichen der Hoffnung sah Younan in der Gründung des Rates der religiösen Institutionen im Heiligen Land (Council of Religious Institutions in the Holy Land) 2005, den er mitbegründete.“Diese Gründung war ein modernes Wunder“, betonte er. Eine der ersten Handlungen des Rates sei ein Forschungsauftrag zur Darstellung der jeweils anderen Religionen in den Schulbüchern gewesen. „In der Parallelgesellschaft des Heiligen Landes war das ein Durchbruch“. Keine Überraschung seien einseitigen Darstellungen, beispielsweise, dass Jerusalem nur als heilige Stadt der eigenen Religion genannt werde. Die Rolle arabischer Christen sah Younan auch hier als die der Brückenbauer.

Situation arabischer Christen
Ernüchternd waren dennoch die Tatsachen, die Younan zur Situation arabischer Christen nannte: Arbeitslosigkeit, zunehmender Extremismus und Krieg ließen immer noch viele emigrieren. Die Etablierung einer Zwei-Staaten-Lösung mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt und heiliger Stadt für zwei Nationen und drei Religionen gehört vor diesem Hintergrund zu den Kernforderungen Younans für eine politische Lösung – mit einem Israel in den Grenzen von 1967 und mit aufgeteilten Ressourcen.

Kirchen geben keine Antworten
Beifall und Skepsis erntete Younan vom Publikum für seine überzeugt vorgetragene Vision und Hoffnung auf eine friedliche Zukunft für sein Land. „Ist ein Dialog zwischen Besatzern und Besetzten wirklich möglich?“, war eine der Fragen, denen sich Younan stellen musste. Dabei wurde auch auf das umstrittene Kairos-Palästina-Dokument verwiesen, in dem arabische Geistliche ihre Position darlegten, und das auch von deutschen Theologen diskutiert wurde. Dieses Papier, so ein Besucher, stelle die Probleme – Besatzung und Checkpoints – zwar dar, allerdings nur am Rande. Younan betonte in diesem Zusammenhang, dass er zwar Unterstützer, aber nicht Mitverfasser des Dokumentes sei. Er erläuterte, dass man dieses Dokument nicht mit der Situation in Deutschland oder den USA vergleichen könne. Allerdings sei es entschieden in seinem Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit. Hoffnung schaffe es durch die Auseinandersetzung arabischer Christen mit der aktuellen Situation. „Die Menschen haben ihren Glauben in Christus verloren, weil ihnen die Kirchen (vorher) keine Antwort gegeben haben“.

Doppelte Verantwortung
„Gilt der gegenseitige Respekt nur für Religionen untereinander oder auch für antireligiöse Haltungen?“ war eine weitere Frage, vor allem vor dem Hintergrund des Streits um die dänischen Mohammed-Karikaturen 2005. „Keine Angst“, erwiderte Younan augenzwinkernd, und forderte das Publikum auf, die Situation nicht im europäischen Kontext zu betrachten. „Was im Nahen Osten als säkular gilt, ist im Kern immer noch religiös geprägt“. Eine Trennung von Religion und Staat wie in Westeuropa sei noch nicht selbstverständlich. Allerdings betonte er auch seine Rolle als Vertreter einer gemäßigten Minderheit. Eine Säkularisation sei allerdings auch in den palästinensischen Kirchen spürbar. An deutsche Politiker ebenso wie an die deutschen Kirche appellierte Younan vor allem, bei Besuchen in Israel auch das Gespräch mit palästinensischen Christen zu suchen. „Wir haben eine doppelte Verantwortung – gegenüber der jüdischen Bevölkerung ebenso wie gegenüber der palästinensischen“.

Zur Person:
Dr. Munib Younan (* 1950) ist seit 2003 Vizepräsident, seit 2010 Präsident des Lutherischen Weltbundes. Er wuchs als Sohn palästinensischer Flüchtlinge in Ostjerusalem auf und studierte Theologie in Ramallah, Järvenpää (Finnland) und Helsinki. Er tritt ein für die Zwei-Staaten-Lösung mit gemeinsamer Hauptstadt für Palästinenser und Israelis, die als heilige Stadt für Juden, Christen und Muslime offen steht.

Das Kairos-Palästina-Dokument:
(„Kairos“ = der günstige Zeitpunkt für eine Entscheidung). Das Kairos-Palästina-Dokument wurde 2009 von arabischen Vertretern christlicher Kirchen verfasst und unter dem vollen Titel „Die Stunde der Wahrheit: Ein Wort des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe aus der Mitte des Leidens der Palästinenser und Palästinenserinnen“ veröffentlicht. Younan betonte in seinem Vortrag, dass er nicht zu den Mitverfassern zähle, sondern lediglich zu den Unterstützern. Dr. Mitri Raheb stellte die Thesen des Kairos-Palästina-Dokuments im November 2010 in der Melanchthon-Akademie vor.

Text: Annette von Czarnowski
Foto(s): Annette von Czarnowski