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Bibelnacht Non-Stop in Köln-Widdersdorf

In dreieinhalb Tage durch die Bibel: Vom 6. bis zum 9. Juli wurden in der Evangelischen Kirchengemeinde Ichthys in Köln-Widdersdorf zwei neue Lutherbibeln „eingelesen“. Zum Jahr der Bibel 2003 hatte die Gemeinde das Projekt zum ersten Mal angeboten, im Jubiläumsjahr des 500. Reformationsgedenken war der Zeitpunkt gekommen für eine zweite Auflage.

Das Austauschen der alten Altarbibel gegen die neue Lutherbibel 2017 sollte nicht einfach so nebenher geschehen, sondern zu einem besonderen Erlebnis werden. Pfarrerin Liane Scholz lag es am Herzen, auf die Bedeutung der Bibel aufmerksam zu machen und zu zeigen, dass sie für jeden zugänglich ist, „dass alle Menschen darin lesen dürfen, können und sollen“. So hatten sich nicht nur viele Gemeindeglieder für die Aktion interessiert, sondern auch katholische Christinnen und Christen.

Alle Generationen waren beteiligt
In 84 Stunden wurden 252 Lesegeschichten vom 1. Buch Mose bis zur Offenbarung des Johannes vorgelesen. Rund 160 Menschen beteiligten sich an dem Projekt, die jüngsten waren 8, die älteste Leserin 87 Jahre alt. Jeder durfte 20 Minuten lang vorlesen.

Dazu ein einladender Empfang: Vor dem Gemeindehaus in Widdersdorf standen Stehtische und Sonnenschirme, im Windfang wurden in einem Wagen Tee, Wasser und Kaffee angeboten und es gab kleine Snacks – süß und herzhaft. „Viele haben davon sofort Gebrauch gemacht“, erzählt Pfarrerin Scholz.

Keine Lücken
In der Kirche standen zwei Lesetische vor dem Altar. Darauf eine Leselampe, ein Glas Wasser, eine große Bibel, darunter ein Gesangbuch als Stütze. Gelesen wurde kontinuierlich, einer las, eine andere bereitete sich vor. So entstanden keine Lücken. Auch zwei Schulklassen besuchten den Kirchraum in Widdersdorf. Sieben Achtjährige lasen je zehn Minuten, der Rest der Klasse hörte aufmerksam zu.

Tolles Zusammengehörigkeitsgefühl
Der 11-jährige Lars kam mit seiner Mutter Ulrike und mit Schwester Anja. Auch er hat ein Stück aus der Bibel vorgelesen: „Da war manchmal der Satzbau anders als normal, aber es ging schnell vorbei und es hat Spaß gemacht“, fasst er seine Eindrücke zusammen. Seine 15-jährige Schwester haben die vielen Namen in den Paulusbriefen beeindruckt. Mutter Ulrike, die schon immer gerne vorgelesen hat, nimmt das Gefühl mit nach Hause, „Teil von einem großen Ganzen zu sein“. Sie schwärmt: „So ein tolles Zusammengehörigkeitsgefühl!“

Ökumene praktisch
Pastoralreferent Hubert Schneider arbeitet im kirchlichen Alltag häufig mit Pfarrerin Liane Scholz zusammen. Nach 45 Minuten in der Kirche gibt er zu, dass er es nicht mehr gewohnt sei, so lange zuzuhören. Andererseits fand er es sehr spannend, den Paulusbrief mal nicht nur abschnittweise, sondern an einem Stück zu hören. „Vieles kenne ich, aber ich habe jetzt noch mal einen neuen Zugang gefunden.“

Nächtliche Atmosphäre
Im Kirchraum herrschte eine ganz besondere Atmosphäre, nachts noch intensiver als am Tag. „Je nachdem, welcher Text dran war, kamen mir ganz neue Gedanken, auch zu Texten, die ich schon kannte“, meint Liane Scholz. Ursprünglich hatte sie sich nur für den Start eingetragen, den Donnerstag um 6.30 Uhr mit einem Morgengebet begonnen und damit die erste Schicht übernommen. Während der dreieinhalb Tage hat sie dann aber auch Lücken gefüllt – zum Beispiel, wenn jemand im Stau stecken geblieben war.

Zur Ruhe kommen
Viele Gespräche in den beiden lauen Sommernächten, aber auch tagsüber, fanden draußen vor dem Gemeindehaus statt, um die Vorlesenden in der Kirche nicht zu stören. Die Menschen genossen die Gespräche und das Gefühl, zur Ruhe zu kommen, sich zu entschleunigen. Am Sonntagabend wurde die Aktion dann mit einem gemeinsamen Festgottesdienst mit Harfenspiel beendet. „Jede Geschichte, jeder Text, Genealogien, Psalmen, unmögliche Texte, bluttriefende Texte, alles was so in der Bibel zu finden ist, ist einmal laut vorgelesen worden“ fasst die Pfarrerin die drei Tage zusammen.

Einsatz an zwei Predigtstellen
Zur Ichthys-Gemeinde gehört der Kölner Stadtteil Widdersdorf und die zu Pulheim (Rhein-Erft-Kreis) gehörenden Stadtteile Geyen, Sinthern und Manstedten. Die Gemeinde ist an zwei Standorte vertreten: im Gemeindehaus „Unter Gottes Gnaden“ in Widdersdorf und im Kirchenladen in Pulheim-Sinthern. An den beiden Predigtstätten kommen nun zwei „eingelesene“ neue Lutherbibeln zum Einsatz.

Zahlreiche Rückmeldungen
Für Liane Scholz hat sich der hohe Organisationsaufwand gelohnt, „allein dadurch, dass sich so viele Menschen beteiligt haben“. Zahlreiche Rückmeldungen habe es gegeben: „Das habe ich mir vorher gar nicht so intensiv vorgestellt“, „Was habe ich denn da gelesen, darüber müssen wir mal reden“, „Ich habe noch niemals in der Bibel gelesen, aber jetzt interessiert es mich einfach, auch da genauer hinzuschauen“. Der Gesprächsbedarf sei durch die Aktion deutlich gestiegen, freut sich Scholz.

Text: Jutta Hölscher
Foto(s): Jutta Hölscher