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Pfarrerin Christina Schlarp und Superintendent Markus Zimmermann führen die feierliche Prozession aus der Erlöserkirche an

Bewegender Abschied beim letzten Gottesdienst in der Erlöserkirche Weidenpesch und Freude auf die neue „Kirchen-WG“

Die innere Bewegung war Superintendent Markus Zimmermann deutlich anzumerken. Mit feierlichen Worten beendete er den letzten Gottesdienst in der Erlöserkirche in Köln-Weidenpesch: Gemäß der Entscheidung des Presbyteriums und mit Zustimmung der Gemeindeversammlung und der Landeskirche werde das Gotteshaus an diesem 10. Juni 2018 entwidmet. Rund 180 Besucherinnen und Besucher sahen daraufhin zu, wie Küsterin Ruth Messerschmidt die Kerzen löschte und alles sorgfältig abräumte. Die Leuchter, aber auch die Bibel, die Paramente, die Kanne des Taufbeckens sowie das Abendmahlsgeschirr. Im Anschluss an den Gottesdienst brachte die Gemeinde alles in einer andächtigen Prozession zur Philipp-Nicolai-Kirche in die Nibelungenstraße. Dort steht das zweite Gotteshaus der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Mauenheim-Weidenpesch.

Schon bei seiner Amtseinführung vor 16 Jahren, erinnerte sich Superintendent Zimmermann, habe festgestanden, dass die Gemeinde in absehbarer Zeit aufgrund der hohen Unterhaltungs- und Betriebskosten auf eine der beiden Kirchen werde verzichten müssen. Das Presbyterium hatte sich aus Platzgründen für den Erhalt des Standorts der Erlöserkirche in der Derfflinger Straße ausgesprochen, dort soll ein Kirchenneubau entstehen. Bis zur Fertigstellung wird die Gemeinde die Philipp-Nicolai-Kirche nutzen. Zimmermann, Superintendent des Kirchenkreises Köln-Nord, der auch Pfarrer der Gemeinde Mauenheim-Weidenpesch ist, teilte mit, dass voraussichtlich im Herbst der Bauantrag für den Neubau gestellt werden könne. Über alle Schritte bis zur Fertigstellung des Acht-Millionen-Euro-Projekts werde die Gemeinde informiert. „Ich hoffe, dass wir dann 2021 umziehen können“, sagte er.

Markus Zimmermann: „Wir kommen zurück“
Zwei Tage lang nahm die Evangelische Kirchengemeinde Köln-Mauenheim-Weidenpesch Abschied von ihrer Erlöserkirche. Am Tag vor dem Entwidmungsgottesdienst entrollten Bautenkirchmeister Johannes Feyrer und sein Team ein neun Meter langes Banner am Kirchturm, auf dem der Bibelvers „Siehe, ich mache alles neu“ aus der Offenbarung des Johannes (21,5) steht. So wurde gleich der Akzent auf den Neuanfang gelegt, der sich mit dem Abbruch der Erlöserkirche verbindet, und der am selben Standort in einem neuen Gotteshaus stattfinden soll. „Wir kommen zurück“, kündigte Pfarrer Markus Zimmermann denn auch unter dem Applaus seiner Gemeinde an.

Fotos aus vielen Jahrzehnten bis zur Gegenwart
Mehr als 150 Menschen waren am ersten Tag gekommen, um sich etwa die Ausstellung mit Fotografien zur Geschichte der Erlöserkirche anzusehen, die Pfarrerin Christina Schlarp zusammengestellt hatte. Am 23. Dezember 1951 war das Gotteshaus eingeweiht worden, bis heute wird es „Trümmerkirche“ genannt, weil zum Aufbau Trümmer verwendet wurden, die der Zweite Weltkrieg hinterlassen hatte. 1954 kam eine Orgel hinzu, 1965 der Kirchturm mit dem Geläut. Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus der Bauzeit waren an einer Wand im Kirchenraum aufgehängt, aber auch Fotos aus späteren Jahrzehnten bis hin zur Gegenwart.

Als die Erlöserkirche zum „Schwarzen Kloster“ wurde
Susanne Zimmermann hing ihren Erinnerungen nach: „Mir sind insbesondere die Taufen im Gedächtnis geblieben, aber auch die Trauerfeiern für liebe Menschen“, erzählte die Pfarrerin. „Sehr berührend war das Willkommensfest für Geflüchtete im Jahre 2016. Es fand im Advent statt, und die Neuankömmlinge wollten alles über unsere Weihnachtsgebräuche wissen. Weshalb da ein Tannenbaum stand, zum Beispiel.“ Aber auch das große Festmahl anlässlich des Reformationsjubiläums 2017, als sich alle Gäste in historische Kostüme der Lutherzeit gekleidet hatten und die Erlöserkirche kurzzeitig zum „Schwarzen Kloster“ wurde, war zur Freude der Pfarrerin ausführlich dokumentiert.

Alle konnten ein Selfie mit der Kirche machen
Vor der Erlöserkirche gab es die Möglichkeit, ein Selfie vor einem mannshohen Foto des Gotteshauses zu machen, und die Kinder waren zu einer Malaktion eingeladen. Wehmütige Erinnerungen an die Zeit mit Ingrid Bonnat kamen auf, als diese am Vorabend des Gottesdienstes ein Orgelkonzert mit Werken von Jan Krtitel Kuchar und Ernst Pepping gab. Bonnat war von 1960 bis 1988 Kirchenmusikerin an der Erlöserkirche gewesen. Drei Romanzen von Robert Schumann spielten Pianistin Min Ga Seo und Oboist Volker Kriegsmann, die Jugendband Under Construction interpretierte Stücke von Amy Winehouse und John Lennon, der Chor Intact Singers trug Gospels vor und zum Abschluss gab‘s ein „Rudelsingen für Jung und Alt“ mit dem Gitarristen André Schmidt und Klassikern auf Deutsch, Englisch und Kölsch. Zwischendurch hatten die Gäste bei Kaffee und Kuchen, aber auch herzhafteren Genüssen Gelegenheit, über Geschichte und Zukunft der Gemeinde zu reden.

Im Zeichen von viel Musik stand der erste Tag der Abschlussfeierlichkeiten in der Erlöserkirche

Abschied der Berufsfeuerwehr vom Gotteshaus
Viele Weggefährten und Zeitzeugen aus den vergangenen 68 Jahren konnten das Pfarrerehepaar Markus und Susanne Zimmermann sowie Pfarrerin Christina Schlarp am nächsten Tag beim letzten Gottesdienst in der Erlöserkirche begrüßen. Er wurde von einem der ersten Täuflinge in der Erlöserkirche – von Kreiskantor Thomas Pehlken – sowie von Volker Kriegsmann an der Oboe, dem Kirchenchor unter Leitung von Michael Burt und dem Blechbläserquartett des Hardtberg-Gymnasiums Bonn festlich begleitet. Unter anderem waren Stücke von Georg Friedrich Händel und Felix Mendelssohn Bartholdy zu hören. Gemeindeglieder, Mitglieder des Presbyteriums, Menschen aus dem Stadtteil, aber auch Vertreterinnen und Vertreter der katholischen und evangelischen Nachbargemeinden waren gekommen, um sich von dem Gotteshaus zu verabschieden. Auch die Berufsfeuerwehr, die in der Erlöserkirche immer am Ewigkeitssonntag ein Gedenken für ihre Toten abhielt, gehörte dazu.

Die persönlichen Erinnerungen der Maria Schuffenhauer
Pfarrerin Schlarp erinnerte an die zahlreichen Gottesdienste, an Taufen, Trauungen, Konfirmationen, aber auch an Feste und Feiern für Senioren und  Ehrenamtliche. Sie ließ Erinnerungen aufkommen an Kindermusicals und Konzerte. „Vieles, was uns in dieser Stunde bewegt, können wir nicht in Worte fassen“, sprach sie den Versammelten aus dem Herzen. Einige teilten ihre persönliche Erinnerungen mit: Maria Schuffenhauer erzählte davon, wie ihr Vater Herbert Schuffenhauer die Fenster und das Taufbecken geschaffen hatte. Sie berichtete, wie sie als Kind dabei mithelfen durfte, und wie stolz man war, aus eigenen Mitteln eine Kirche errichten zu können. Silke Willgeroth, die in der DDR aufgewachsen war, berichtete, dass sie vor 14 Jahren als Erwachsene von Susanne Zimmermann getauft worden war: „Und ich habe nicht geweint, als du mir das Wasser über den Kopf gegossen hast.“ Bautenkirchmeister Johannes Feyrer hoffte auf einen „gesegneten Neustart in der Nibelungenstraße“, und auch Youngster Christopher Buscher wünschte sich, dass die bisherigen Aktivitäten ungemindert fortgeführt würden.

Verständnis für Trauer und Wehmut in der Gemeinde
In ihrer Predigt äußerte Susanne Zimmermann viel Verständnis für die Trauer und den Wehmut der Gemeinde und ihrer Freunde. Doch letztlich sei ein Gotteshaus auch eine profane Immobilie, die auf Zeit für die Versammlungen der Gemeinde, für Lob und Klage genutzt werde und dabei durchaus zur Heimat  werden könne. Aber ebenso wie dieses Gebäude seien auch die Menschen nur Durchreisende auf dem Weg zu einer ewigen Heimstatt. „Der Abbruch ist die Voraussetzung für einen neuen Aufbruch“, sagte die Pfarrerin, und darin liege stets eine göttliche Verheißung.

Statement gegen Einsamkeit: Gemeinde will den Wandel gestalten
Die Beschränkung auf nur eine Kirche beweise, so Pfarrerin Susanne Zimmermann, dass die Gemeinde verantwortlich mit den ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen umgehe und bereit sei, den Wandel zu  gestalten. Und der Neubau, der Kirche, Gemeinderäume, zwölf Wohnungen und eine dreigruppige Kita mit Außengelände an der Derfflinger Straße vereinen wird, sei eine Art „Kirchen-WG“, ein Statement gegen Vereinsamung. Entstehen wird das Ensemble nach den Plänen des Stuttgarter Architektur-Büros „Harris + Kurrle“. „Wie dieses Zusammenleben funktionieren wird,  können wir zunächst einmal in der Philipp-Nicolai-Kirche in ungewohnter Enge ausprobieren“, schloss die Pfarrerin, bevor es in einer viel beachteten und polizeilich gesicherten Prozession über die Neusser Straße zur Nibelungenstraße ging. Dort wurde der Abendmahlsgottesdienst zu Ende gefeiert. Danach wurden Kaffee und Kuchen aufgetischt.

Ein Windlicht aber blieb dann doch noch beim Auszug in der Kirche stehen. Denn der ökumenische Elisabeth-Korb, eine an die Kölner Tafel angeschlossene Lebensmittelausgabe für Weidenpesch, Niehl und Mauenheim, wird noch weiter in einer Doppelgarage im Wohnhaus-Teil aktiv sein. „Wir bleiben, bis der Bagger kommt“, sagte Ehrenamtler Christoph  Stein, der hier freitags mit 60 Mitstreitern bis zu 250 Bedürftige versorgt.

Text: Hans-Willi Hermans
Foto(s): Hans-Willi Hermans