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v. l.: Sammy Wintersohl, Michael Eyll-Vetter, Präses Manfred Rekowski, Michael Kreuzberg, Almuth Koch-Torjuul, Gebhard Müller.

Besonnenheit und Umkehr – Podiumsdiskussion über die Frage „Wie erreichen wir die Klimaziele?“

„Umkehr“ hieß das Zauberwort des Abends und war zugleich die zentrale Antwort auf die Frage der Veranstaltung: „Wie erreichen wir die Klimaziele?“

Auf dem Podium

Diesem Thema stellten sich auf dem Podium im Elsdorfer Lutherzentrum Manfred Rekowski, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Michael Kreuzberg, Landrat des Rhein-Erft-Kreises, Michael Eyll-Vetter, Leiter der Tagebauentwicklung bei RWE Power, Almuth Koch-Torjuul, Pfarrerin in Kerpen und Frechen, sowie Gebhard Müller, Pfarrer in Bedburg. Die Gesprächsrunde moderierte Sammy Wintersohl, Leiter des Amtes für Presse und Kommunikation im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region.

Klimaschutz und Umkehr

Koch-Torjuul nannte den Begriff „Umkehr“ zutiefst christlich. „Wir müssen uns alle von lieben Gewohnheiten verabschieden“, appellierte sie an die Verantwortung eines jeden einzelnen. Jeder Weg mit dem Auto – und das so schnell wie möglich, sei genauso wenig zukünftig angesagt, wie alles an die Haustüre liefern zu lassen. Man habe sich lange in dem Segen, der RWE für die Region bedeutete, bequem „eingenistet“.

Klimaschutz sei eine Bewegung der Umkehr. Die Gesellschaft müsse vor allem materiell bescheidener werden und anspruchsvoller im Miteinander. Bei unterschiedlichen Ansichten müsse man immer auch das Körnchen Wahrheit in der Argumentation des Gegenübers erkennen. „Mich haben die Friday for Future-Demonstrationen jedenfalls sehr nachdenklich gemacht“, schloss Koch-Torjuul.

„Eine Umkehr, die aber kein Rückschritt ist“, forderte Pfarrer Müller. Er hat beobachtet, dass sich Kirchengemeinden spalten wegen Meinungsverschiedenheiten über die Braunkohleförderung. „Wir als Kirchen müssen die Menschen an einen Tisch bringen und sie gesprächsfähig machen und halten.“

Klimaschutz, regional und global

Müller mahnte beide Seiten zur Besonnenheit. Und er warf den Blick auf das größere Ganze: „Wir müssen den Begriff Klimaschutz viel weiter fassen. Wir exportieren beispielsweise Autos, die wir hier nicht mehr fahren dürfen, nach Brasilien. Und importieren im Gegenzug von dort Rinder, obwohl wir doch eigentlich hier genügend haben. Was macht das mit dem Klima? Wir müssen vieles zusammendenken.“

Eyll-Vetter gab sich pragmatisch: „Wir erreichen die Klimaziele, wenn wir in Deutschland vormachen, was andere dann nachmachen. Wir müssen nur darauf achten, dass durch Klimaschutz unser Wohlstand nicht verloren geht.“ Eyll-Vetter versicherte, dass RWE die Empfehlungen zur Reduzierung des Kohlendioxidausstoßes der sogenannten Kohlekommission eins zu eins umsetzen werde. „Für uns ist es wichtig, dass wir Planungssicherheit haben. Dann eröffnen sich auch Chancen für die Region.“ Der RWE-Vertreter warnte aber auch: „Wenn der Strukturwandel hier funktioniert, werden andere Länder das nachmachen. Aber nicht, wenn das hier im Chaos endet.“

Bewahrung der Schöpfung, Ausstieg aus der Braunkohle

Präses Rekowski erinnerte daran, dass die Bewahrung der Schöpfung Pflicht eines jeden Christenmenschen sei. Aber genauso wichtig sei die Gerechtigkeit im Strukturwandel. „Wir brauchen eine gerechte Lösung für alle Beteiligten. Wir können nicht sagen ,Seht zu, wo Ihr bleibt‘. Der gesellschaftliche Frieden ist ein hohes Gut.“ Wichtig seien auch Verlässlichkeit und Planungssicherheit.

Kreuzberg, seit 2013 Landrat im Rhein-Erft-Kreis, erinnerte daran, dass er im damaligen Wahlkampf bereits klar gemacht habe, dass der Ausstieg aus der Braunkohle alternativlos sei. Der sei nun schneller Thema geworden als erwartet. „Das löst natürlich bei den Betroffenen Traurigkeit aus. Und RWE hat immer ohne staatliche Subventionen profitabel gearbeitet. Ich bin froh, dass das Unternehmen nach harten Verhandlungen nun mitzieht und die Empfehlungen der Kohlekommission umsetzt.“

Zahlreiche Gäste nutzten die Gelegenheit, sich an der Diskussion aktiv zu beteiligen.

Voten des Publikums

Ein Mann im Publikum berief sich auf bestimmte wissenschaftliche Studien, die negativen Hochrechnungen folgend, eine Klimaerwärmung bis 2100 um vier Grad prognostizieren. „Dann leben auf der Erde höchstens noch 500 Millionen Menschen.“ Eyll-Vetter nannte derartige „Horrorszenarien schlechte Ratgeber bei der politischen Willensbildung“. Die Politik sei nun aufgerufen, die Rahmenbedingungen für die Kohlendioxid-Reduzierung zu setzen. Dabei müssten aber auch der Verkehr und der Gebäudesektor in den Blick genommen werden. Auch dort gebe es noch viel Potenzial für Einsparungen.

Arbeitsplätze

Ein Mann aus dem Publikum widersprach vehement. „Wir leben in einem geschlossenen System. Wenn wir das versauen, haben wir es für immer versaut. Was für Unsummen sollen unsere Nachkommen bezahlen, um das zu reparieren, was wir kaputt gemacht haben. Es geht nicht mehr in erster Linie um Arbeitsplätze. Es geht um eine lebenswerte Welt. Und die Politik traut sich nicht, den Leuten zu sagen, dass wir ab sofort auf vieles verzichten müssen.“

Da war der Politiker Kreuzberg gefragt. „Besonnen heißt ja nicht schläfrig. Natürlich geht es um Arbeitsplätze. Wir müssen vor dem Abschalten der Kraftwerke neue Arbeitsplätze schaffen. Und zwar solche, die enkelsicher sind. Die Agentur für Arbeit wird vor den Toren sitzen und beraten.“

Zukunft

Präses Rekowski hat großen Respekt vor dem, was Politiker leisten: „Vor allem bei der ständigen Suche nach Kompromissen.“ Klimaziele erreiche man wohl nicht kostenneutral. Aber man müsse auch in den sozialen Frieden investieren. Kreuzberg nannte den Ausstieg aus der Braunkohle einen großen gesamtgesellschaftlichen Erfolg, der für die Region auch Chancen eröffne. Er nannte als Beispiel die Gründung von Start-up-Unternehmen mit dem Wissen von den drei Exzellenz-Universitäten Aachen, Köln und Bonn, die in der Nähe lägen.

Und auch RWE will weiterleben. Eyll-Vetter nannte Energiespeicher für Wind- und Sonnenenergie als Zukunftsfeld. Darüber hinaus verfüge man über Flächen, die nicht zuletzt als Bauland ausgewiesen werden könnten. Die Region um Köln wachse kontinuierlich. Auch Rekowski bescheinigte dem Rhein-Erft-Kreis beste Chancen, den Strukturwandel gut hinzukriegen. Und: „Wir als Kirche plädieren für eine Kultur des Genug.“

Birgit Jansen und Martin Böer von bikablo® begleiteten den Abschluss der Veranstaltungsreihe als graphic recorder. Sie setzten das Gesagte grafisch in Szene.

 

Kirche diskutiert anders

Von April bis Juli 2019 veranstalteten der Evangelische Kirchenverband Köln und Region, der Evangelische Kirchenkreis Köln-Nord und der Evangelische Kirchenkreis Köln-Süd jeden Monat in einer Kirchengemeinde in der Braunkohleregion eine Podiumsdiskussion. „Die Proteste und Diskussionen über die Themen Braunkohle und Energiewende haben viele Menschen verunsichert. Die unterschiedlichen Standpunkte fordern Familien, Gemeinden und ganze Orte heraus. Mit den vier Abenden leistet die Evangelische Kirche einen Beitrag zum Diskurs auf dem Weg in eine gemeinsame Zukunft“, schreiben die Veranstalter über die Reihe.

Video zur Podiumsdiskussion

Die Podiumsdikussion wurde auch per Video aufgezeichnet und kann hier erneut angesehen werden:

https://www.youtube.com/watch?v=zMN_L2l6YeM

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann/APK