Nähmaschine und Spindel gehörten dazu, bunte Teppiche hingen an den Wänden, auf dem selbst gezimmerten Mobiliar standen Babuschka-Puppen und ein Samowar. Und dann war da noch das altertümliche Bett, auf dem tagsüber vier oder fünf Matratzen übereinander gestapelt waren, die nachts auf dem Fußboden verteilt der ganzen Familie eine Schlafgelegenheit boten. So oder so ähnlich sah es aus, „Das Russland-Deutsche Haus“, das eine Woche lang im Bürgerhaus Hürth nachgebaut war und im Rahmen der gleichnamigen Ausstellung einen Eindruck von Lebensverhältnissen und Alltag der deutschstämmigen Russen in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts vermittelte.
Ein besonderes Projekt
„Besonders typisch sind diese gehäkelten und bestickten Decken“, erklärte Hilda Kessler den Besuchern. Sie gehörte zu den Spätaussiedlern, die abwechselnd vor Ort waren, um die Fragen der Besucher zu beantworten. Ständig anwesend war Anita Fietz, Vorsitzende des Vereins Zusammenarbeit mit Osteuropa (ZMO), Kreisverband Erft, der die Ausstellung in Kooperation mit der Integrationsbeauftragten und dem Kulturamt der Stadt Hürth sowie der Matthäus Kirchengemeinde Hürth-Hermülheim und dem Ernst-Mach-Gymnasium veranstaltete. „Das ‚Russlands-Deutsche Haus’ wurde vor 13 Jahren von der Aussiedlerarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen entwickelt und seither in zahlreichen Städten gezeigt“, berichtete Fietz. Erst im vergangenen März war es von der EKD-Internetplattform „Kirche im Aufbruch“ zum Projekt des Monats gewählt geworden.
Landbesitz und Steuerfreiheit
Zum Konzept der Ausstellung gehört eine Einführung in die Geschichte der deutschen Einwanderung nach Russland im 18. und 19. Jahrhundert. 1789 etwa, so zeigt es eine Karte, wanderten mehr als 6000 Mennoniten aus der Gegend um Danzig an die Wolga ins Gebiet um Samara aus, in den Jahren 1804 – 1824 siedelten mehr als 17.000 Baden-Württemberg in die Ukraine um und wurden am Schwarzen Meer sesshaft. Insgesamt waren es kaum mehr als 60.000 Menschen in dieser Zeit, angelockt wurden sie mit Versprechen von Landbesitz, Steuerfreiheit, einer eigenen Verwaltung und – während die russischen Bauern noch vielfach Leibeigene waren – Unabhängigkeit von den Fürsten vor Ort. Auch blieb den jungen Männern der Militärdienst erspart, was speziell für die streng religiösen Gruppen, die meisten von ihnen protestantisch, bedeutsam war.
Erfolgreiche Aussiedler
„Häufig wurden die deutschen Auswanderer in menschenleeren Steppen angesiedelt, auch weil die Zaren hofften, auf diese Weise Aggressoren aus Asien fernzuhalten“, so Fietz. Zwar wurden die Vergünstigungen bereits 1871 wieder kassiert, doch die deutschen Aussiedler waren erfolgreich, zumeist als Landwirte, und hatten eine große Nachkommenschaft – das beweisen schon die rund 3 Millionen deutschstämmige Russen, die in den neunziger Jahren nach Deutschland umsiedelten.
"Sondersiedlungen" unter Stalin
Vom stalinistischen Terror in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren die deutschstämmigen Russen allerdings genauso betroffen wie andere ethnische Gruppen in der Sowjetunion, zahlreiche Männer starben in den Lagern als Zwangsarbeiter. Im Zweiten Weltkrieg dann wurden die Deutschrussen ab 1941 häufig in „Sondersiedlungen“ weit im Osten der Sowjetunion umgesiedelt. Die aus der Ukraine stammende Familie von Hilda Kessler etwa wurde zunächst gezwungen, den Rückzug der deutschen Truppen im Jahre 1941 mitzumachen und wurde nach Polen verbracht, bevor sie nach dem Sieg der russischen Armee eine Stadt in Kasachstan als neuer Wohnort festgelegt wurde.
Der Verlust der Staatsangehörigkeit
Zwar hatten die deutschstämmigen Russen stets ihre Traditionen gepflegt, auch war es ihnen freigestellt, in ihrem Pass zusätzlich zur russischen Staatsangehörigkeit ihre deutsche Nationalität anzugeben. „Aber das habe viele nicht getan, weil sie dann vom Bildungssystem ausgeschlossen wären“, erklärte Emma Widhalm, die mit ihrer Familie in Kirgisien lebte. Dieser fehlende Verweis auf die deutschen Wurzeln wiederum habe dann die spätere Umsiedlung nach Deutschland erschwert.
Eine Geschichtsstunde
Auch auf das dunkle Kapitel der sowjetischen Lager geht die Ausstellung ein, ebenso auf den langen Weg der Aussiedlung nach Deutschland, daneben sind Original-Bibeln aus der Mitte des 18. Jahrhunderts ausgelegt und Gesangsbücher, die handschriftlich von den Originalen kopiert wurden. „Das alles zu sehen, war vor allem für die Schulklassen sehr aufschlussreich“, erzählte Anita Fietz, „meist ist ja nur von der Aussiedlung nach Amerika die Rede.“
Foto(s): Hans-Willi Hermans