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Bernhard Mattes im dialogischen Gottesdienst in der Antoniterkirche

Das Verhältnis der Bibel zur Arbeitswelt ist nicht ganz einfach zu bestimmen, so werden etwa die beiden populärsten Stellen zum Thema meist mit gegensätzlichen Absichten zitiert.

Eine Stunde im Weinberg
Da ist einerseits das gestrenge „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“ aus dem zweiten Paulusbrief an die Thessalonicher, aber eben auch das Gleichnis vom Weinberg aus dem Matthäus-Evangelium, Kapitel 20. Darin wirbt ein Gutsbesitzer im Verlauf des Tages Arbeiter an, zahlt am Ende denen, die zwölf Stunden gearbeitet haben, aber ebensoviel aus wie jenen, die nur eine Stunde im Weinberg unterwegs waren: „Die Letzten werden die Ersten sein und die Ersten die Letzten“, bescheidet der Chef knapp die murrenden Frühaufsteher.

AntoniterQuartett lud ein
Markus Herzberg, Pfarrer der Antoniterkirche, las diese beiden Passagen aus dem Neuen Testament vor, als er kürzlich Bernhard Mattes, Vorsitzender der Geschäftsführung der Ford-Werke, zu einem dialogischen Gottesdienst an der Schildergasse begrüßte. Er fand im Rahmen des AntoniterQuartetts zum Thema „Arbeitswelten“ statt. Die „Quartett“-Reihe nähert sich einem ausgesuchten Thema stets unter vier Aspekten: Neben dem Gottesdienst werden jeweils eine Veranstaltung mit dem Schwerpunkt Kirchenmusik, eine Podiumsdiskussion sowie eine Stadtführung angeboten.

Modernste Informationstechnologie
Im Verlauf des Gesprächs, zu dem sich Pfarrer Herzberg und Bernhard Mattes an einen Tisch vor den Altar gesetzt hatten, gestand der Geistliche, die Haltung des Gutsbesitzers sei ihm „sympathisch“ und das Weinberg-Gleichnis doch so etwas wie „eine frühchristliche Diskussion über den Mindestlohn“. Ford-Chef Mattes betonte eher die enorme Komplexität der heutigen Arbeitswelt im Gegensatz zu biblischen Zeiten. Die unterschiedlichen Herausforderungen – von hartem körperlichen Einsatz bis zum Umgang mit modernster Informationstechnologie – ließen sich kaum noch miteinander vergleichen: „Wichtig ist ein Menschenbild, das gegründet ist auf dem Respekt vor der Leistung und den Fähigkeiten der anderen.“ Dazu gehöre in einem Unternehmen, dessen Mitarbeiter aus 57 verschiedenen Nationen stammten, selbstverständlich Toleranz. So habe man bei Ford eine aus Vertretern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammengesetzte Gruppe gebildet, die sich mit anonymen oder persönlich vorgebrachten Klagen über Mobbing – beziehungsweise „nicht-partnerschaftliches Verhalten“ – im Betrieb beschäftige.

Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben
Ein Problem der neuen Arbeitswelt sei auch, so Mattes, dass die Trennung zwischen Beruf und Privatleben häufig tendenziell aufgehoben werde, was zu permanentem Stress führe: „Es gibt bereits Unternehmen, die ihre Server Punkt 18 Uhr abschalten, damit ihre Beschäftigten zur Ruhe kommen, Ausgeglichenheit und Freude an der Arbeit sind uns wichtig.“ Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei in diesem Zusammenhang ein wichtiger Faktor: „Wenn einer unserer Mitarbeiter an einen anderen Standort versetzt wird, dann kümmern wir uns darum, dass der Partner dort ebenfalls einen Arbeitsplatz findet, sofern er berufstätig ist.“

„Sich intensiver kennenlernen“
Aber auch die Führungskräfte des Unternehmens seien angehalten, ihren Mitarbeitern Freiraum zu gewähren, ihre Eigeninitiative zu fördern: „Aber vor allem müssen wir authentisch sein und das, was wir von anderen fordern, auch selbst leisten.“ Pfarrer Herzberg erkannte in Bernhard Mattes‘ Ausführungen zahlreiche Parallelen zur Kirche, die sich nicht zuletzt aufgrund der Diskussionen um die Nicht-Einhaltung von Tarifabschlüssen oder die Einschränkung des Streikrechts in den vergangenen Monaten wieder stärker ihrer Rolle als Großunternehmen bewusst geworden ist. So konnte er Mattes‘ Schlusswort zum Verhältnis von Wirtschaft und Kirche beipflichten: „Wir sollten keine Scheu voreinander haben, sondern uns intensiver kennenlernen.“

Text: Hans-Willi Hermans
Foto(s): Hans-Willi Hermans