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Bergisch Gladbach: In 365 Tagen durch die Bibel, ein Lese-Marathon

„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Das Buch, das Elfriede Pick aufschlägt, ist viel benutzt, sein Rücken zerfranst, der Einband abgegriffen. Ein Bestseller ist es, und doch ein Buch, das kaum jemand ganz liest: die Bibel. Die Kölnerin kennt den ersten Satz allerdings genauso gut wie den letzten. Denn Elfriede Pick ist gewöhnt, das „Buch der Bücher“ von vorne bis hinten durchzulesen. „In 365 Tagen durch die Bibel“ nennt sie ihre literarisch-religionsgeschichtliche Reise, bei der sie stets viele Weggefährten hat. Derzeit in der Bergisch Gladbacher Gnadenkirche.

Drei Generationen auf der Kirchenbank
„Haben Sie sich schon ein Bonbon genommen?“ Die Dose mit der süßen Begrüßung kreist durch die Kirchenbänke. Etwa 20 Personen sind da. Sie haben ihre eigene Bibel mitgebracht, auch Stift und Papier für Notizen. Mehr Reisevorbereitungen sind unnötig. Seit der Bibel-Marathon im Februar begonnen hat, ist Nina Schmitt (11) dabei. „Ich komme immer“, sagt die Schülerin, die durch einen Zettel in der Schule von der Veranstaltung erfuhr. Neben ihr spitzen Mutter und Opa die Ohren. „Eigentlich hat sie mich mitgeschleppt“, sagt Renate Schmitt lächelnd. Gereut hat sie das nicht. „Es gefällt mir sehr. Die Frau Pick macht es sehr gut.“

Schon 14 Mal den „Marathon gelesen“ – und immer wieder neu
Kein Wunder: Elfriede Pick ist ein alter „Bibel-Hase“. Sie kennt sich aus, erzählt engagiert, jeder spürt, dass sie fasziniert, worüber sie spricht. Als sie den ungewöhnlichen Lese-Marathon in der Gnadenkirche startete, war es für sie das 14. Mal und damit im Grunde ein alter Hut. Doch jedes Mal gestaltet sich die Reise durchs „Buch der Bücher“ etwas anders – abhängig von den Mitlesern, die sich allwöchentlich mit ihr treffen, um sich ungewohnte Begriffe, seltsame Bräuche und geschichtliche Hintergründe erläutern zu lassen. Dieses Mal geht es ums jüdische Fest Jomkipur, und nebenbei erfahren die Anwesenden, dass darauf der sprichwörtliche „Sündenbock“ zurückgeht. Denn an dem Fest, erzählt Elfriede Pick, sei stets ein Bock als Opfer geschlachtet worden und ein zweiter – symbolisch mit Sünden beladen – als „Sündenbock“ in die Wüste gejagt worden.

Nicht immer leichte Kost
Nina Schmitt findet solche Geschichten spannend. „Dann weiß man, wie die gelebt haben.“ Ähnlich denkt Johanna Rahtgens, auch sie ist an der Auslegung der Schriften „hochinteressiert“. Ob sie vom 1. Buch Mose bis zur Offenbarung des Johannes durchhält? „Ich hoffe!“ Leicht ist es nicht. „Das ist ein Marathon, das ist hart“, schenkt Elfriede Pick ihren Lesegefährten stets reinen Wein ein. Nicht jeder Text ist verständlich wie Hoheslied oder Wundergeschichte. Es gibt auch trockene, langweilige Passagen. „Manche Bücher sind ganz schwer zu lesen.“ Eine Teilnehmerin erinnert sich an aufgelistete Brandopfer bei Mose. „Furchtbar“ sei das. „Immer wieder dasselbe.“ Und dann die vielen Namen, die sich unmöglich jemand merken könne! „Muss man ja auch nicht“, setzt sie lächelnd hinzu. Jeder kann aus der Heiligen Schrift für sich bewahren, was sie oder ihn anspricht.
Ist es nicht etwas verrückt, die Bibel komplett zu lesen? Für Elfriede Pick nicht mehr. Schon als Kind interessierte sie sich für Religion. „Aber meine Fragen konnte mir niemand beantworten. Ich habe mit meinen Lehrern immer im Streit gelegen.“ Ein Beispiel? „Das fing mit der Schöpfungsgeschichte an. Wie soll ich glauben, dass die Welt in sieben Tagen geschaffen wurde? Jetzt weiß ich: Das ist ein Schöpfungslied.“ Der erste Entwurf einer monotheistischen Welt zur Zeit der Vielgötterei. „Was ja frappierend ist: Die Reihenfolge der Entstehung stimmt.“ Sie studierte zunächst Deutsch und Geschichte fürs Lehramt, später auch Evangelische Theologie. „Da habe ich Blut geleckt.“ Das meistverbreitete Buch der Welt faszinierte sie – als Glaubensbuch, Geschichtsbuch und literarisches Kunstwerk.

„Wer’s durchhält, den lade ich zum Essen ein“
Trotzdem wäre es zur 365-Tage-Reise durch alle 66 Bücher der Bibel wohl nie gekommen, wäre Elfriede Pick nicht 1987 am Strand von Norderney einer Bad Liebenzeller Missionsschwester begegnet, die 34 Jahre auf einer Südseeinsel verbracht und die Bibel in zwei Eingeborenensprachen übersetzt hatte. „Das war für mich das Ereignis. Ich dachte: Wenn diese Frau die Bibel zweimal übersetzt, kannst du sie wenigstens einmal von vorne bis hinten lesen.“ Und warum dafür nicht Mitleser unter den Schülern des Heinrich-Heine-Gymnasiums in Köln-Ostheim gewinnen, an dem sie unterrichtete? Obwohl dieses Ansinnen durchaus mit klassischem „Balla-balla-Handzeichen“ quittiert wurde, entpuppte es sich als Renner.
„Wer’s durchhält, den lade ich zum Essen ein“, versprach Elfried Pick, als im Februar 1990 der erste Bibel-Marathon startete. Rund 100 schafften es und am Tisch saß auch die Missionsschwester. „Die ist 97 inzwischen“, und der Bibel-Marathon ein Selbstläufer. An ihrer Schule gab es ihn bis zu ihrer Pensionierung zehn Mal, zudem in den Gemeinden Buchheim und Merheim. Im oberbergischen Denklingen, wo sie nur das Alte Testament las, war die Nachfrage nach dem Neuen so groß, dass sie es nun von April bis Juli dort „nachholen“ wird.

Hier wird nichts ausgespart
Für das Bibel-Projekt hat Elfriede Pick eigens einen Bibelleseplan erstellt. „Natürlich gibt es Bibellesepläne“, erzählt sie. „Aber die bieten ein Bröckchen Altes Testament, ein Bröckchen Neues Testament und zur Belohnung ein paar Sprüche oder einen Psalm.“ Das genügte ihr nicht. „Ich bin Germanistin. Ich wollte ein ganzes Buch vor Augen haben.“ Durch das begleitet sie, sie hilft, die Bildersprache zu verstehen. „Der rote Faden der Bibel ist, die Harmonie mit Gott wieder herzustellen. Ohne Leistung.“ Das fasziniert sie immer wieder neu. Auf der Kirchenbank liegt der Leseplan für den nächsten Monat. Wer ihn noch nicht hat, greift beim Abschied zu. „Hier wird nichts ausgespart.“ Bis zum letzten „Amen“.

Bibel-Marathon, Daten
Die Treffen mit Infos und Anleitung finden in der Gnadenkirche Bergisch Gladbach, Hauptstraße 256, statt. Jeden Dienstag von 19.30 bis 21 Uhr – außer in den Schulferien. Neue Teilnehmer sind jederzeit erwünscht und können einfach kommen.
Das Lesen macht jeder für sich, allerdings nach einem gemeinsamen Leseplan. Die tägliche Lesezeit beträgt 15 bis 20 Minuten.
Veranstalter sind der Pfarrbezirk Gnadenkirche der Evangelischen Kirchengemeinde Bergische Gladbach, die Pfarre St. Laurentius des katholischen Pfarrverbands Bergisch Gladbach-Mitte und die Stadtbücherei Bergisch Gladbach.
Infos: Gemeindebüro Gnadenkirche, Telefon (0 22 02) 3 80 37, und Elfriede Pick, Telefon (02 21) 69 28 21.

Text: Ute Glaser
Foto(s): Ute Glaser