Wo sollte Kirche deutlicher Farbe bekennen? Welche Chancen und Aufgaben können Frauen wahrnehmen? Welche Potenziale haben sie? Diese Fragen waren Ausgangspunkt des Rheinischen Frauenmahls, das der Theologinnenkonvent des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Nord vor kurzem veranstaltet hatte.
Dazu hatten sich in der Evangelischen Kirche Weiden 82 Frauen eingefunden, fünf davon hielten eine Tischrede. „Wir hätten auch mehr als 100 Karten verkaufen können, waren aber froh, es nicht gemacht zu haben, sonst wäre es doch zu eng geworden“, meinte Pfarrerin Sybille Noack-Mündemann, eine der Veranstalterinnen, die sich freut, dass die „Redebeiträge so sinnvoll ineinander gegriffen haben, als hätten sich die Frauen vorher abgesprochen“. Das war jedoch nicht der Fall. Der von vielen wahrgenommene perfekte Ablauf des Abends war vielmehr der guten Organisation durch die Pfarrerinnen Ulrike Graupner, Sybille Noack-Mündemann, Sabine Petzke, Christina Schlarp, Uta Walger, Reinhild Widdig und Susanne Zimmermann zu verdanken.
Zukunft von Kirche und Gesellschaft
„Die Tischreden, die im Mittelpunkt der Frauenmahle stehen, lehnen sich an die Praxis im Hause Martin und Katharina Luthers an, wo während des Essens heftig diskutiert, theologisiert, gelacht und über Gott und die Welt gesprochen wurde“, begrüßte Pfarrerin Christina Schlarp die Anwesenden. „Wir wollen an den Tischen miteinander ins Gespräch kommen über die Zukunft von Kirche und Gesellschaft.“ Gekommen waren neben Frauen aus den Gemeinden des Kirchenkreises Köln-Nord auch weitere Interessierte sowie katholische Nachbarinnen. Die 25 Euro für den Eintritt waren gut angelegt, denn es gab neben den Reden noch ein ausgewähltes Menü mit Kürbissuppe, Düsseldorfer Senfbraten, Kartoffelgratin, Festböhnchen und dreierlei Nachtisch. Und Denise Seidel unterhielt die Gäste mit schwungvollen, jazzigen Tönen am Klavier und Debora Nancupil mit ihrem Saxophon.
„Tugendpfad der Harmonie verlassen“
Das Thema des Abends lautete „Farbe bekennen“. Klare Worte dazu fand die Politikerin und Autorin Dr. Lale Akgün: „Statt sich auf die Seite der Mächtigen zu stellen und das Frauenbild der orthodoxen Muslime zu tolerieren, sollten Sie sich für diejenigen einsetzen, die unter den gegebenen Zuständen leiden“, forderte sie die Frauen auf, „mutig ihren eigenen Weg zu gehen“ und nicht zu „farblosen Imitationen der Männer“ zu werden. Nicht minder eindringlich war ihr Appel an die evangelische Kirche, „den Tugendpfad der Harmonie zu verlassen“ und dabei „frecher und mutiger und nicht so verzagt“ zu werden bzw. zu sein.
Sich für reformfreudige Muslime einsetzen
„Ich wünsche mir, dass die evangelische Kirche sich noch viel mehr ihrer Aufgabe bewusst wird, sich für die reformfreudigen Muslime einzusetzen, statt mit den orthodoxen Islamverbänden ertraglose Dialogveranstaltungen durchzuführen“, so die SPD-Politikerin. Mit diesen Ritualveranstaltungen stärke sie die „Ewiggestrigen“ statt sich für eine Reform des Islam einzusetzen. Akgün: „Wer, wenn nicht die Protestanten, sollten sich stark machen, für reformfreudige Muslime?“ Es brauche einen aufgeklärten Islam, der es den Menschen ermögliche, ihren Alltag mit ihrem Glauben im Einklang zu leben.
Die evangelische Kirche sei „sehr heterogen“, meinte Akgün, aber es gebe Mutige in ihren eigenen Reihen. Beispielhaft nannte sie den ausgeschiedenen EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider, der „offene Worte zu den Islamverbänden“ gesagt habe. Auch der Kölner Pfarrer Hans Mörtter sei ein „guter Mitstreiter für die liberale Sache“. Er habe seine Kirche geöffnet, damit sich dort die erste liberale muslimische Gemeinde in Deutschland treffen könne.
Konfessionsübergreifende Vernetzung der Frauen
„Weiblicher bis in die Führungsspitzen“ müsse die Kirche werden, formulierte die Leiterin des Frauenmuseums Bonn, Marianne Pitzen, ihren Wunsch, dem Anliegen der Frauen Gehör zu verschaffen. Das bedeute weitaus mehr als „nur dabei sein zu dürfen“ und Ämter inne zu haben. „Der Blick auf die Welt ist ein anderer, wenn Gott weiblich erlebt und angesprochen wird“, erklärte sie. Dabei gehe ihr die geschlechtergerechte Bibel „selbstredend nicht weit genug“. Von der Tatkraft der Frauen, von deren sozialer Kompetenz, Empathie und Sachlichkeit sei sie jedoch überzeugt. Ebenso wie davon, dass eine konfessionsübergreifende Vernetzung der Frauen in den Kirchen die Probleme der Gesellschaft lösen könnten. Armut und Migration seien die „brandaktuellen Themen“, denen sich Frauen in der Kirche mit ihrer ganzen Energie stellen sollten. Ihren Vortrag schloss sie mit den Worten: „Wenn wir weltweit zusammenhalten würden, könnten wir diese Welt Stück für Stück lebenswerter gestalten und vor allem Frieden schaffen.“
Reformation: laut, frech, unkonventionell
„Die Reformation war vor 500 Jahren eine Protestbewegung – mit allem, was dazu gehört: laut, frech, unkonventionell“, begann Elisabeth Müller, Pfarrerin und Feministische Theologin, ihren Vortrag, „und manchmal wünschte ich, unsere gesetzte, leicht biedere und immer auf Ausgleich bedachte Kirche würde sich auch an dieses Erbe der Reformation ein bisschen öfter und ein bisschen mehr erinnern“, verlautbarte die Pfarrerin. In Zürich habe die Reformation mit dem berühmten Wurstessen in der Fastenzeit begonnen: „Das war ein echtes Happening, eine symbolische Protestaktion, ein öffentlicher Tabubruch“, so Müller. Wurstessen in der Fastenzeit sei schließlich verboten gewesen, sogar eine Straftat! Die Aktion habe die Menschen dennoch so beeindruckt, „dass einige Tage später – noch immer in der Fastenzeit – in Basel öffentlich ein Spanferkel verzehrt wurde.“ Man habe die „Bevormundung durch die Kirche“ nicht mehr hinnehmen wollen und die Gründe für die Regeln nicht mehr akzeptiert.
Kirche soll für die Freiheit des Gewissens eintreten
Die Feministin erinnerte an einen weiteren Tabubruch im Jahr 1971, als sich Frauen dazu bekannt hatten, abgetrieben zu haben. Die evangelische Kirche habe „in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs letztlich die Gewissensfreiheit und Gewissensentscheidung der Frau verteidigt“, betonte Müller. „Und das ist für mich 500 Jahre nach der historischen Reformation noch immer ein guter Grund evangelisch zu sein: Ich schätze meine Kirche, weil sie für die Freiheit des Gewissens eintritt.“ Letztlich zähle in allen Belangen des Lebens die eigene Gewissensentscheidung. Und die sei auch am Ende des Lebens zu respektieren. Pfarrerin Müller: „Es ist ein legitimes religiöses Bedürfnis von Menschen, wenn sie heim zu Gott wollen. Wir sollten ihnen beistehen.“
Mädchen auch weiterhin benachteiligt
Als Mitarbeiterin des Vereins „Lobby für Mädchen“ beteiligte sich Frauke Mahr, Diplom-Sozialpädagogin und Supervisorin, am „Rheinischen Frauenmahl“. Farbe zu bekennen sei das Fundament ihrer Arbeit. Sich mit den verschiedenen Lebenslagen von Mädchen und jungen Frauen auseinanderzusetzen, sei ein Prozess, aus dem sich folgerichtig die Aufgabe ergebe, diesen Prozess „öffentlich zu machen und zu vertreten“. Mahr fragte in die Runde: „Wie reagieren Menschen, wenn sie hören, dass Mädchen, trotz Girl’s Days, besserer Schulnoten und der ersten Bundeskanzlerin auch weiterhin benachteiligt werden? Was sagen sie, wenn die Forderung, die Mittel in der Jugendarbeit zu quotieren, gestellt wird? Was passiert, wenn eigene Räume für Mädchenarbeit gefordert werden?“
Breites Netz engagierter Frauen in Köln gefordert
Viele hätten eine dezidierte Meinung in Sachen Gleichberechtigung, Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit, „auch ohne sich damit wirklich auseinandergesetzt zu haben“, machte die Pädagogin deutlich. Noch heute gelte die alte Botschaft an Mädchen und junge Frauen, sich in Bescheidenheit zu üben. „Aber – und das ist meine These – nur eine enge Verzahnung von Frauen- und Mädchenpolitik wird wirklich effektiv, nachhaltig und erfolgreich sein“. Die Vernachlässigung des Themas „Mädchenpolitik“, auch durch frauenpolitisch aktive Frauen, sei sehr zu bedauern. Es fehle in Köln ein breites Netz engagierter Frauen in der Jugendarbeit, in der Politik, in der Verwaltung und in den Kirchen, ein Netz, „das sich intensiv und kontinuierlich mit Lebenslagen von Mädchen und jungen Frauen“ befasse und die daraus resultierenden Erkenntnisse auf das Leben von Mädchen und jungen Frauen im 21. Jahrhundert anwende.
Kirche, die aufrüttelt und für den Frieden eintritt
„Mein persönlicher und beruflicher Anspruch war und ist es, Farbe zu bekennen gegen Dogmatismus, gegen Rassismus, gegen Ausgrenzung von Andersdenkenden und für Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit“, begann SPD-Politikerin Gabriele Hammelrath, Mitglied des Landtags, ihre Tischrede. Um sich sofort der Frage „Wo sollte Kirche ‚Farbe bekennen‘“ zuzuwenden. „Wenn ich heute mit Kirche, das heißt, mit ihren Vertreterinnen und Vertretern zu tun habe, erlebe ich sie durchweg als Farbe bekennend“, erzählte Hammelrath und erinnerte an „Köln stellt sich quer“ und an Nikolaus Schneider und an sein Eintreten bei der Schließung von Thyssen-Krupp in Duisburg „gegen soziale Kälte und seelenlose Profitgier“. Als moralische Instanz erlebe sie Kirche als eine „die aufrüttelt, die auffordert, hinzuschauen und zu handeln, einzutreten für Frieden und Gerechtigkeit“.
Wehrhaft bleiben gegen Neonazis
Keine Schattierung und kein Farbenspiel gebe es, wenn es um die Demonstrations- und Redefreiheit gehe. „Meine Überzeugung von der Freiheit des Andersdenkenden kommt angesichts des hier in Köln als Demonstration getarnten Neonazi-Aufmarschs ins Wanken. Wenn die Farbe bekennen, dann ist das ein tiefes Braun“, so Hammelrath, die zu der nachdenkenswerten Frage anregte: „Wie können wir so nachhaltig Farbe bekennen, dass wir wehrhaft bleiben gegen diese Gefahr für unsere Gesellschaft, für unser Gemeinwesen, für uns alle?“
Foto(s): Uta Walger