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Begeisternde Premiere von „Turn of the Screw“ in der Trinitatiskirche

„Die Akustik war toll, die Stimmen sind wahnsinnig schön rübergekommen“, sagte eine Besucherin spontan nach der Premiere von Benjamin Brittens Kammeroper „Turn of the screw“ in der evangelischen Trinitatiskirche Köln. Mit dem „Musical Dome“ oder der geplanten neuen Veranstaltungshalle in Vogelsang kann es die Trinitatiskirche in puncto Sitzplätze zwar nicht aufnehmen. Als Aufführungsort für die Opernpremiere am 11. Februar fand sie jedoch großen Anklang. „Das Konzept von Herrn Laufenberg geht auf“, befand die gleiche Besucherin nach der begeistert aufgenommenen Premiere – und meinte damit den Intendanten der Oper der Stadt Köln, Uwe Eric Laufenberg, und dessen Konzept, das durch die Verlagerung an verschiedene Spielstätten während des Umbaus der Kölner Oper unterschiedliche Besuchergruppen erreichen will.
Die Herausforderung, eine Oper in der Trinitatiskirche zu spielen, meisterten Regisseur Benjamin Schad sowie der musikalische Leiter und Dirigent Raimund Laufen in der Tat mit Bravour. Obwohl in einem Seitenschiff „versteckt“, war das Gürzenich-Orchester gut hörbar. Den Versuch, den Altarraum als winzige „Guckkastenbühne“ einzusetzen, machte Bühnenbildner Tobias Flemming erst gar nicht, sondern nutzte gleich den ganzen Raum. Außer auf dem Steg inmitten des Zuschauerraums agierten die Sängerinnen und Sänger auch auf der Empore, und Schad ließ die Kinderdarsteller durch das Publikum toben. Die Verteilung auf mehrere Orte unterstützte das Surreale der Handlung von Henry James´ leicht angestaubter Novelle, die mehrere Regisseure zu Verfilmungen und Britten zu seiner Oper inspirierte.

Die Schraube des Geisterwahns
England im 19. Jahrhundert: Eine junge Gouvernante (Claudia Rohrbach) tritt ihre erste Stelle als Erzieherin der Waisenkinder Miles (Carlo Wilfart) und Flora (Ji-Hyun An) auf einem einsamen Landsitz an. Engagiert hat sie der Vormund und Onkel der Kinder, ein weltgewandter, vielbeschäftigter Londoner, in den sich die behütete junge Frau beim Vorstellungsgespräch sofort verliebt. Versehen mit dem Auftrag, ihn auf keinen Fall mit Erziehungsfragen zu belästigen, reist sie zum Landsitz Bly, auf dem die Kinder mit der Haushälterin Mrs. Grose (Helen Donath) leben. Die Aussichtslosigkeit ihrer Schwärmerei im Hinterkopf, ist sie fest entschlossen, ihre Aufgabe umso besser auszuführen, um wenigstens auf diesem Wege dem Angebeteten nahe zu sein.
Auf Bly angekommen, lösen sich ihre Ängste angesichts des einsamen Anwesens und ihrer ersten Aufgabe in Luft auf: Sie wird von der Haushälterin Mrs. Grose warmherzig empfangen, von den hübschen, lebhaften, liebenswürdigen Kindern ist sie begeistert. Einziger Wermutstropfen ist ein Brief von Miles´ Schulleiter, aus dem sie erfährt dass der Junge vom Internat verwiesen wurde.
Nach einigen Wochen sieht sie auf einem Abendspaziergang einen unbekannten Mann auf einem Turm. Von Mrs. Grose erfährt sie, dass die Beschreibung auf Peter Quint passt, einen früheren Bediensteten, der auf unklare Weise ums Leben kam. Er hatte ein Verhältnis mit der ebenfalls verstorbenen, früheren Gouvernante, Miss Jessel, die ihm hörig war und deren Liebe er ausnutzte. Beide standen den Kindern nahe, auf die sie einen schlechten Einfluss hatten. Auch der Erscheinung vom Miss Jessel begegnet die Gouvernante von nun an. Überzeugt, dass die Kinder die Geistererscheinungen ebenfalls sehen, aber nicht wagen, darüber zu sprechen, beschließt sie, beide zu beschützen. Sie begegnet den Erscheinungen immer häufiger und ist sich immer sicherer, dass diese die Kinder vom Jenseits aus unter ihren Einfluss bringen wollen.
Ihr Verhältnis zu den Kindern, die abstreiten, dass sie die Geister sehen, verschlechtert sich. Die Gouvernante schreibt an den Vormund, aber Miles stiehlt den Brief. Als Flora ihrem Kontrollwahn einmal entwischt und wiederum Miss Jessel begegnet, reist Mrs. Grose mit ihr nach London ab. Alleingeblieben mit Miles, versucht die Gouvernante, ihn zum Reden zu bringen. Noch einmal erscheint Quint, Miles bricht zusammen und stirbt.

Wahn, „echter“ Horror oder „Hysterie“?
Schon der Titel ist mehrdeutig: „Turn of the Screw“ kann das Drehen oder Durchdrehen einer Schraube bedeuten. Und so lässt sich auch die Novelle von Henry James (1843 bis 1916) auf verschiedene Weise lesen: Ist es eine klassische Schauergeschichte, in der das Grauen auf leisen Sohlen kommt, beschreibt er den wachsenden Wahn einer jungen Frau oder ist es gar eine Schilderung der Verklemmtheit des viktorianischen Englands? Überträgt die junge Frau ihre unerfüllten erotischen Phantasien gegenüber dem Vormund auf Quint, ihre emotionalen Bedürfnisse auf Miles und ist fasziniert von der zerstörerischen Bindung zwischen Quint und Miss Jessel? Geht es um den geistigen Missbrauch von Erwachsenen an Kindern, die zur Projektionsfläche von deren emotionaler Bedürftigkeit werden?
James überließ es seinen Leserinnen und Lesern, sich für eine Richtung zu entscheiden. Britten und seine Librettistin Myfanwy Piper dagegen gaben den Geistern Stimme und Gestalt, lenkten die Handlung also eher in die Richtung einer Geistergeschichte. In einer Szene begegnen sich Quint und Miss Jessel im Jenseits und beschließen, die Kinder unter ihren Einfluss zu bringen. In Pipers Libretto befiehlt Quint Miles, den Brief an den Vormund zu stehlen, in James Vorlage ist davon nichts zu finden.
Die Kölner Inszenierung von Benjamin Schad bietet auch die psychologisierende Interpretation an, dass die Gouvernante ihren Wahn auf die Kinder projiziert, unterstützt von Tobias Flemmings Bühnenbild: Ein Beleuchtungselement, das einem Vollmond ähnelt, symbolisiert den wachsenden Wahn (englisch: „lunatic“). Miles stirbt nicht in den Armen der Gouvernante, sondern wird von Quint weggetragen, sie steht am Ende allein mit ihrem Wahn auf der Bühne. Ein großer Spiegel im rückwärtigen Teil des Kirchenraums verstärkt die Deutung als Projektion.
Papier als Inszenierungselement
Der Erzähler, in einer Doppelrolle mit Quint von John Heuzenroeder verkörpert, lässt sich in Schads Inszenierung auch mit dem Vormund gleichsetzen. Während er erzählend in das Geschehen einführt, wird die Gouvernant als Figur von ihm richtiggehend „wachgeküsst“.
Papier ist, neben einem zertrümmerten Flügel und einem Schreibtisch, ein bestimmendes Element in Flemmings Bühnenbild. Es hält Geschichten und Erinnerungen fest, die Figur der Gouvernante wird vom Erzähler unter einem Stapel Papier hervorgezogen. Auch in James´ Novelle bildet die Lesung eines Manuskripts den erzählerischen Rahmen. In der Trinitatiskirche ist der Altarrraum anfangs von einer Papierwand verhüllt, aus dem der Schulbrief geschnitten wird, auf dem die Kinder malen und das im Laufe der Handlung weggerissen wird, um den Blick auf eine schultafelartige schwarze Fläche freizugeben, auf der mit Kreide eine Zeichnung angebracht ist, die sich als Landschaft oder Horrorfratze anbietet.

Weitere Aufführungen
Flemmings Verzicht auf die „Guckkastenbühne“ in der Trinitatiskirche unterstützt das surreale Element der Erzählung: Ein rundes Podium inmitten der Zuschauer trägt die zertrümmerten Bürgermöbel Klavier und Schreibtisch, zwischen Altarraum mit Papierbild und dem Podium verläuft ein Steg. Die Zuschauer sitzen entlang des Stegs und erleben die Sänger hautnah.
Opernliebhaber können sich auf ein Wiedersehen mit Helen Donath freuen, hinter der die übrigen Akteure, besonders Carlo Wilfart, Solist des Knabenchors der Dortmunder Chorakademie, kein bisschen zurückstehen.
Die nächsten Aufführungen der Oper Köln von „Turn of the Screw“ in der Trinitatiskirche, Am Filzengraben 5, sind am Samstag, 19., Freitag, 25. und Sonntag, 27. Februar sowie am Samstag, 19., Donnerstag, 24. und Samstag, 26. März sowie am Samstag, 2. April jeweils um 19.30 Uhr. Es herrscht freie Platzwahl, frühes Erscheinen ist darum ratsam.
Karten gibt es im Vorverkauf an der Kasse des Opernhauses, bei allen bekannten Vorverkausstellen von KölnTicket, unter der Maildresse tickets@buehnenkolen.de oder bei der Oper Köln im Internet www.operkoeln.com, Telefon 0221/284 00. Die Karten kosten 50,60 Euro.

Einführung in das Stück – direkt auf der Opernbühne
Ein ganz besonderes Angebot im Rahmen der Opernaufführungen macht die Melanchthon-Akademie des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region am Freitag, 27. Februar, von 16 bis 17 Uhr. Bernd Schaumann führt direkt auf der Probenbühne der Oper Köln in das Stück ein – anschließend können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gemeinsam die Aufführung in der Trinitatiskirche besuchen. Schaumann kennt das Metier: Er ist Komponist, Arrangeur, Orchesterleiter, Musiker und Musikpädagoge. Zur Führung sollte man sich in der Akademie (Telefon 0221/93 18 03-0) unter Kursnummer 7007K anmelden, sie kostet 6 Euro pro Person. Treffpunkt ist der Künstlereingang der Oper, Krebsgasse. Karten für die Operaufführung in der Trinitatiskirche müssen bitte selbst organisiert und bezahlt werden – siehe oben.

Text: Annette v. Czarnowski
Foto(s): Klaus Lefebvre